Die Herrscher und Gestalten des Mittelalters. Reinhard Pohanka

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Название Die Herrscher und Gestalten des Mittelalters
Автор произведения Reinhard Pohanka
Жанр Документальная литература
Серия marixwissen
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783843802109



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Jahre immer wieder seinen Protest in theologischen Fragen und gegen die Ignoranz und die Unmoral des Klerus eingelegt hatte. Bacon verbrachte zehn Jahre in Abgeschiedenheit und starb 1292, noch immer mit seinen Studien beschäftigt. Da er keine Schule seiner Lehren gründen konnte und kaum Schüler hatte, war er bald nach seinem Tode vergessen.

      Roger Bacon hatte das Anliegen, sich von der Scholastik, die den geistigen Fortschritt allein in der Diskussion überlieferter Texte sah, abzuwenden und neue Erkenntnisse aus den Originalschriften der Antike, wozu er auch die Bibel zählte, und aus wissenschaftlichen Experimenten zu gewinnen. Dazu sollten auch die Theologen Hebräisch und Griechisch beherrschen, weil er gesehen hatte, dass viele der antiken Texte durch schlechte Übersetzungen verfälscht waren, und er meinte, dass jeder Theologe auch Kenntnisse in den Naturwissenschaften erwerben sollte. Aus seinen Studien der Mathematik und der Optik hat er erstaunliche Vorhersagen getroffen, so konnte er sich vorstellen, dass es einmal Mikroskope, große Teleskope, Dampfmaschinen, Fluggeräte und pferdelose Wagen geben würde. Er verfügte über erste Kenntnisse von Schießpulver, konnte aber noch nicht das genaue Mischungsverhältnis angeben. Er schrieb über die Fehler des Julianischen Kalenders und beschäftigte sich mit Astrologie und Astronomie.

      Roger Bacon ist einer der ersten Wissenschafter gewesen, der die Prinzipien des Wissenschaftsbetriebes anwenden und beschreiben konnte. In den Jahren nach seinem Tode fast vergessen, wuchs sein Einfluss in den folgenden Jahrhunderten stetig, und er gilt heute als einer der Begründer der modernen Wissenschaftstheorie und als grundlegender Schöpfer wissenschaftlicher Methodik.

      THOMAS BECKET

      (1118–1170)

      Selten hat ein Mann der Kirche seinem weltlichen Souverän so viel Widerstand entgegengesetzt wie Thomas Becket dem englischen König Heinrich II. Lange Zeit Freunde, wurden sie über die Frage, wieweit der König das Leben der Kirche in England mitbestimmen kann, zu erbitterten Feinden, bis Thomas Becket ermordet auf den Stufen der Kathedrale von Canterbury liegen blieb.

      Thomas Becket stammte aus einer einfachen Familie, die einige Jahre vor seiner Geburt 1118 aus der Normandie nach England gekommen war. Der Legende nach war seine Mutter eine Sarazenin. Seine Eltern dürften begütert gewesen sein, denn der junge Thomas bekam eine ausgezeichnete Erziehung. Er wurde in Merton Abbey unterrichtet und dann zum Studium nach Paris geschickt. Zurück in England fand er eine Anstellung als Sekretär, und um das Jahr 1141 trat er in die Dienste Theobalds, des Erzbischofs von Canterbury. Dieser erkannt das Potenzial in Thomas und sandte ihn nach Bologna und Auxerre, wo er Zivil- und Kirchenrecht studierte. Nach seiner Rückkehr wurde er zum Diakon geweiht und Erzdiakon von Canterbury.

      Im Jahr 1154 war König Stephan von England gestorben, und sein Cousin und Nachfolger Heinrich II. sah sich nach einem geeigneten Kanzler um, den er in »Thomas von London«, wie Becket genannt wurde, fand. Beide harmonierten ausgezeichnet, hatten Gefallen an Pomp und Luxus, liebten die Jagd und die höfischen Vergnügen und zogen gemeinsam in den Krieg. Becket setzte Reformen im Königreich durch und war als reisender oberster Richter im Königreich unterwegs. 1159 unternahm Heinrich, der als der größte König Englands im Mittelalter angesehen wird und neben Schottland, Irland, England, Wales auch Teile von Frankreich beherrschte und durch seine Heirat mit

Eleonore von Aquitanien auch Herrscher des angevinischen Reiches war, einen Kriegszug gegen Toulouse. Zu dessen Finanzierung griff er tief in die Taschen des Klerus, der bisher von der Besteuerung ausgenommen war. Thomas nahm aktiv am Feldzug teil, kämpfte mit Feuer und Schwert und fand nichts dabei, weite Landstriche Frankreichs zu verwüsten. Privat blieb er bescheiden und vermied all jene Ausschweifungen wie Trinken, Fluchen und den Umgang mit leichten Mädchen, wie er in allen Armeen der Welt vorkommt.

      1161 starb Erzbischof Theobald, und Heinrich wollte Becket an die Spitze der englischen Kirche setzen. Dieser sah aber das Konfliktpotenzial in dieser Entscheidung. »Ich kenne Eure Pläne für die Kirche«, sagte er, »und Ihr werdet Dinge verlangen, die ich Euch als Erzbischof nicht geben werde können.« Heinrich bestand auf seiner Idee, und auch die Kirche glaubte durch die guten Beziehungen Beckets zu Heinrich profitieren zu können, so ließ sich Thomas 1162 zum Priester und nur eine Woche danach zum Erzbischof von Canterbury weihen.

      Von einem Tag auf den anderen änderte Becket seinen Lebensstil, gab alle weltlichen Zeichen von Luxus und Macht auf und übte sich in Askese. Er verzichtete gegen den Willen Heinrichs auf die Kanzlerschaft und noch im selben Jahr entwickelte sich ein Konflikt zwischen ihm und Heinrich. Es ging um die Besteuerung des Klerus und um die Frage, welcher Jurisdiktion straffällige Kleriker unterstehen sollten. Der König, dem die Kirche zu mächtig war, wollte ihre Unabhängigkeit beschneiden, was Becket, der darin einen Anschlag auf die Rechte der Kirche sah, zu verhindern versuchte. Heinrich berief zur Durchsetzung seiner Anliegen 1163 die Bischöfe von England nach Westminster, konnte sich aber nicht durchsetzen. Ein Jahr später legte er den Bischöfen die 16 Satzungen von Clarendon vor, die Thomas, auch gegen den Widerstand seiner eigenen Bischöfe, ablehnte.

      Das Jahr 1164 vertiefte die Auseinandersetzung. Heinrich versuchte Thomas durch Strafen in die Knie zu zwingen. Man versuchte, ihm Unterschlagung von Geld in seiner Zeit als Kanzler anzudichten, und verlangte die unglaubliche Summe von 30.000 Pfund von ihm. Die Bischöfe rieten ihm, sich dem König zu unterwerfen, aber nachdem er eine Aussprache mit Heinrich versucht hatte, die fruchtlos blieb, floh er im Oktober 1164 nach Frankreich und fand Zuflucht bei König Ludwig VII. von Frankreich und bei Papst Alexander III. in Sens. Hier wurde er als Erzbischof von Canterbury bestätigt und nahm für zwei Jahre seinen Sitz im Zisterzienserkloster von Pontigny, ehe Heinrich den Orden in England bedrohte und er wieder nach Sens übersiedeln musste.

      Thomas Becket war nicht in allen Fragen unnachgiebig, aber gegenüber den 16 Artikeln von Clarendon blieb er starrköpfig. Er versuchte sich abermals mit dem König auszusöhnen, aber solange die Fragen von Clarendon nicht gelöst waren, wollte und konnte Heinrich seinen alten Freund und Kanzler nicht akzeptieren. 1170 drohte der Papst wegen dieser Frage den Kirchenbann über England zu verhängen und den König zu exkommunizieren. Um dies zu vermeiden, schloss Heinrich mit Becket eine unsichere Vereinbarung, die es dem Erzbischof erlaubte, nach Canterbury zurückzukehren, ohne dass aber einer in der Sache nachgegeben hätte. Thomas betrat am 3. Dezember 1170 wieder englischen Boden und erreichte zwei Tage später Canterbury. In der Zwischenzeit hatte sich Heinrich immer wieder bitter über Tomas beklagt, und als er einmal ausrief: »Kann mich denn keiner von diesem lästigen Priester befreien«, nahmen dies vier Ritter, Reginald Fitznurse, Hugh de Morville, William de Tracey und Richard le Breton, als indirekten Auftrag, Becket zu beseitigen. Am 29. Dezember 1170 suchten sie Becket in der Kathedrale von Canterbury auf, um Absolution für ihre Sünden zu erlangen, die ihnen Becket aber verweigerte. Nach einiger Zeit kehrten sie mit einer Bande bewaffneter Männer zurück, gerade als Becket die Vesper für seine Gemeinde abhielt. Sie verlangten den »Verräter« zu sehen, worauf ihnen Becket antwortete: »Ich bin kein Verräter, sondern Erzbischof und ein Mann Gottes.« Sie fielen über Becket her und versuchten ihn aus seiner Kirche zu zerren, was aber nicht gelang. Daraufhin erschlugen sie ihn in der Kathedrale, so dass sein Gehirn über den Boden spritzte.

      Beckets Ermordung entsetzte Europa. Nur zwei Jahre nach seinem Tode wurde er heilig gesprochen, und 1174 musste Heinrich, verfangen in den Wirren der Revolte seiner Söhne

Richard Löwenherz, dem jüngeren Heinrich und seiner Frau
Eleonore von Aquitanien, öffentlich für den Mord Buße tun und wurde am Sarkophag von Thomas Becket gegeißelt. Becket wurden eine Reihe von Wundern zugeschrieben, und im Mittelalter wurde sein Schrein zu einem der beliebtesten und reichsten Wallfahrtsorte in England.

      1220 wurde sein ursprüngliches Grab in die Trinity Chapel der Kathedrale von Canterbury übertragen. Es verschwand während der Zerstörung und Aufhebung der englischen Klöster 1538, ob ein 1888 gefundenes Skelett ihm zuzuschreiben ist, bleibt fraglich.

      Die Bedeutung von Thomas Becket ist im Zusammenhang mit der das Mittelalter beherrschenden Frage nach dem Supremat der Papstes oder