Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Isolde Kurz
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962812515



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be­rühm­ter Mann wird, um gleich mit Gu­stav-Borck-Erin­ne­run­gen auf­zu­war­ten. An Borcks Stel­le wür­de ich ihn an die Luft set­zen. Aber ihm kommt die Schma­rot­zer­pflan­ze ge­le­gen, weil er den Ab­stand von ihm zu sich ge­nie­ßen kann. Es ist Zeit, dass eine Freun­des­hand ihn rüt­telt und ihm die Zie­le weist, die ihm zu ent­glei­ten dro­hen. Und Sie, Herr Ewers, sind der Nächs­te dazu.

      Ich ver­sprach’s. Aber als ich mich nur von wei­tem und mit Vor­sicht der Fra­ge nä­her­te, da war es, als ob man ein über­vol­les Ge­fäß an­ge­sto­ßen hät­te, und es brach aus dem Ar­men her­vor wie ein lan­ge an­ge­sam­mel­ter, un­er­träg­lich ge­wor­de­ner Schmerz!

      Nicht ich ver­las­se mei­ne Zie­le, sag­te er, sie ver­las­sen mich! Seit mei­ner Hei­rat ist es so. Die glück­li­che Lie­be ver­trägt sich nicht mit der Kunst, we­nigs­tens nicht mit der tra­gi­schen. Wer stark sein will, der blei­be al­lein. Du frag­test mich ein­mal in Lu­zern: Was hast du dei­ner Frau vor­zu­wer­fen? – Nichts, nichts, als dass sie mir die Göt­ter ver­trie­ben hat. Nein, nicht sie, die Arme, ver­steh’ mich recht, nicht ihre Per­son, es ist die Ehe, das stän­di­ge Zu­sam­men­sein mit ei­nem an­de­ren We­sen, was die star­ken Ge­sich­te nicht auf­kom­men lässt, die Ge­mein­sam­keit des Le­bens. Aus mei­ner ärm­li­chen Stu­den­ten­bu­de im Türm­chen des ir­ren Dich­ters, wo ich man­chen Tag ohne Es­sen saß, da ka­men die Göt­ter zu mir. Hier in dem schö­nen Stu­dier­zim­mer, das alle be­wun­dern, fliegt mich nur das Ge­ring­wer­ti­ge an.

      Nichts Ge­ring­wer­ti­ges, be­schwich­tig­te ich. Et­was Ge­ring­wer­ti­ges wirst du nie­mals ma­chen. Nur ist es nicht das, was du sel­ber von dir for­derst.

      Lass es gut sein, ant­wor­te­te er. Es be­darf kei­ner Be­schö­ni­gung. Meinst du, ich wüss­te nicht, was un­ser all­wei­ser Ruh­land ges­tern Abend über mich zu dir ge­re­det hat, als ihr zu­sam­men weg­gin­get? Es ist mir, als wäre ich da­bei­ge­we­sen. Und er hat ja recht, ganz recht. Das sind wahr­haf­tig kei­ne Ad­ler­flü­ge, was auch Freund Ber­ka sa­gen mag. Es ist über­haupt kein Flie­gen, nur ein Flat­tern mit ge­bun­de­nen Schwin­gen. Aber was soll ich denn ma­chen? Mit zu­sam­men­ge­leg­ten Hän­den sit­zen und war­ten, bis eine große Ein­ge­bung sich mei­ner be­mäch­ti­gen will und mich un­ter­des­sen von mei­ner Frau er­näh­ren las­sen? So bin ich we­nigs­tens ein flei­ßi­ger Ar­bei­ter ge­wor­den. Ich sit­ze mei­ne Stun­den am Schreib­tisch ge­wis­sen­haft ab wie ein Be­am­ter und be­schrei­be un­end­li­che Stö­ße von Pa­pier. Da­von wan­dert dann frei­lich die grö­ße­re Hälf­te in den Ofen und die an­de­re – du hast es ja ge­se­hen – die taugt auch nicht viel.

      Es war der strahlends­te April­tag, wir gin­gen in den frisch­be­laub­ten An­la­gen ge­gen Kann­statt hin. Durch die dich­ten Zwei­ge der Kas­ta­ni­en fie­len die Ju­bel­tö­ne der Am­sel her­un­ter, die ro­ten Blü­ten­ker­zen leuch­te­ten, und hier ver­zwei­fel­te ei­ner, weil er zu glück­lich war.

      Wenn du wie­der ein­mal die Blät­ter der Tri­lo­gie her­vor­hol­test, warf ich ein, und dich in die Stim­mung vom Höl­der­lin­sturm zu ver­sen­ken such­test?

      Er lach­te bit­ter.

      Wenn ich mei­ne al­ten Blät­ter her­vor­ho­le, so sieht mich ein Stoß Pa­pier mit schwar­zen Buch­sta­ben an. Das ist al­les. Aber die Ge­sich­te, die uns vie­re da­mals be­rausch­ten, wo sind die? Fort, fort, ver­flo­gen!

      Er hat­te den Hut ab­ge­nom­men, um sich die ge­röte­te Stirn zu lüf­ten. Jetzt riss er auch den Hemd­kra­gen auf, als ob er am Er­sti­cken wäre.

      Das kann doch nicht sein, sag­te ich. Ge­hen sie ja mir, der ich nicht ihr Er­zeu­ger bin, durchs Le­ben nach. Den­ke nur gleich an die Sze­ne, wie Ar­min den Va­rus in Che­rus­ka be­glück­wünscht.

      Und ich be­gann aus dem Ge­dächt­nis die Stel­le, wie sie mir ein­fiel, ihm vor­zu­sa­gen. Die zwei stei­ner­nen Ros­se­bän­di­ger mit­ten im Grü­nen, die aus­sa­hen wie ein nach Thuis­ko­land ver­setz­tes Stück Rom, ga­ben den rech­ten Hin­ter­grund dazu, und als ich mit den Wor­ten schloss:

      Wal­hal­la lä­chelt, weil Ro­mas Göt­ter uns­re Gäs­te sind, – da stand er still und horch­te, horch­te noch lan­ge fort wie auf das fer­ne Rau­schen ei­nes Was­ser­falls.

      Ja, sag­te er end­lich, so war es. Wenn ich den Fa­den wie­der­fin­den könn­te.

      Ei was, rief ich, du musst ihn fin­den! Denk’ an den, der die Wor­te sprach: So kom­man­diert die Poe­sie!

      Er konn­te sie kom­man­die­ren. Er war ihr Kö­nig, gab er zur Ant­wort. Und selbst Er, – wenn er et­was Gro­ßes vor­hat­te, so flüch­te­te er in sein Gar­ten­haus, und Chris­tia­ne – durf­te ihm das Es­sen schi­cken.

      In sei­nem Ge­sicht ar­bei­te­te es grim­mig, wie wenn Wel­ten sich be­kämp­fen.

      Ich muss sie bre­chen, ich muss sie bre­chen, die­se Fes­seln! Ich muss, ich muss! hör­te ich ihn vor sich hin sa­gen, und als wir an den Schwa­nen­wei­her ka­men, war er plötz­lich von mei­ner Sei­te ver­schwun­den.

      Da hast du was Schö­nes an­ge­rich­tet, sag­te ich vol­ler Angst zu mir sel­ber, er ist im­stan­de und ver­lässt sie.

      Und mein bö­ses Ge­wis­sen er­laub­te mir nicht, Sel­ma an die­sem Abend vor Au­gen zu tre­ten, da ich über­zeugt war, es müs­se heu­te ir­gend et­was Ent­schei­den­des zwi­schen den Gat­ten vor­ge­hen.

      Am an­dern Mor­gen, der für mei­ne Abrei­se be­stimmt war, pack­te ich eben mei­ne Wä­sche in das Hand­köf­fer­chen und über­leg­te wie viel Zeit mir bis zur Ab­fahrt des Zu­ges blei­be, um von den Freun­den, de­nen mein Hier­sein doch nur Ver­wir­rung stif­te­te, Ab­schied zu neh­men, als Gu­stav bei mir ein­trat. Er sah ganz ver­wan­delt, strah­lend aus, als ob er sich über Nacht ver­jüngt hät­te, und sag­te schnell:

      Liebs­ter, bes­ter Freund, ich kom­me mit der drin­gen­den Bit­te, heu­te noch nicht ab­zu­rei­sen.

      Da­bei fuhr er mit ei­nem mut­wil­li­gen Griff in den Hau­fen schön ge­fal­te­ter Ge­gen­stän­de, die ich zum Ein­pa­cken zu­recht­ge­legt hat­te, und streu­te sie aus­ein­an­der.

      Du weißt, dass am 15. mein Schiff in Ham­burg ab­ge­ht, sag­te ich.

      Ein Tag ver­schlägt nichts, ich bit­te dich nur um einen. Du hast mir ges­tern einen so großen Dienst er­wie­sen, dass du heu­te fort­fah­ren und mir den zwei­ten er­wei­sen musst. – Als du mir ges­tern mei­ne ei­ge­nen Ver­se vor­sprachst, da kam es auf ein­mal über mich wie im Turm­stüb­chen des ir­ren Dich­ters. Da­rum ver­ließ ich dich so rasch, ich muss­te al­lein sein. Und den­ke dir, in der Nacht stell­te sich plötz­lich der Che­rus­ker wie­der ein und Va­rus mit sei­nen Rö­mern und die rei­zen­de At­this, die un­sern Olaf ent­zück­te, alle die al­ten Freun­de aus der Jung­ge­sel­len­zeit. Das war ein Fest. Ich brach­te die gan­ze Nacht im Stu­dier­zim­mer zu, mir ei­li­ge Auf­zeich­nun­gen ma­chend. Sie hat­ten mir nach der lan­gen Zeit so viel zu sa­gen, dass ich mit Schrei­ben kaum nach­kom­men konn­te. Und es braus­te und wog­te um mich her wie Welt­ge­richts­po­sau­nen. Die Nacht­stun­den, die wa­ren im­mer mei­ne bes­te Ar­beits­zeit. Das muss wie­der so wer­den. Mei­ne arme Frau hat sich ge­ängs­tet, na­tür­lich, ich kam ja nicht zu Bet­te. Ich hör­te sie mehr­mals vor die Tür schlei­chen, aber sie rief mich zum Glück nicht an. Hät­te ich ge­öff­net und nur ein Wort ge­spro­chen, so wä­ren die Gäs­te viel­leicht ent­flo­hen, wer weiß wo­hin! So ließ ich sie ste­hen. Die­se glück­li­che