Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Isolde Kurz
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962812515



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sich mir jetzt durch die Treu­her­zig­keit der El­vi­ra ent­hüll­te, hät­te kei­ne ih­rer Vor­gän­ge­rin­nen oder Nach­fol­ge­rin­nen mir je ver­ra­ten, näm­lich dass in der Ge­gend ganz all­ge­mein an die zeit­wei­li­ge Über­sie­de­lung der See­len Ver­stor­be­ner in Tier­lei­ber, be­son­ders in Ei­dech­sen, Krö­ten und Schlan­gen, ge­glaubt wird; man nen­ne die­se Un­glück­li­chen ani­me con­fi­na­te, ver­bann­te, das heißt an einen be­stimm­ten Ort ver­bann­te See­len, ver­trau­te sie mir an, und in die­ser Lage, ver­mu­te­te sie, wer­de nun wohl auch die arme Quin­ti­lia sich be­fin­den.

      Ich sag­te: Das wol­len wir gleich se­hen, und ging mit ihr in die Kü­che. Dort öff­ne­te ich die Gar­ten­tür und rief laut: Quin­ti­lia! – Auf mei­nen Ruf – es klingt wie eine Er­fin­dung und ist doch buch­stäb­lich wahr – kam eine Ei­dech­se blitz­schnell die Stu­fe her­auf in die Kü­che ge­schos­sen und ge­ra­de­aus auf die El­vi­ra zu, die sich be­bend ge­gen den Herd zu­rück­zog. Nach ei­nem so sinn­fäl­li­gen Be­weis war die Per­so­nen­gleich­heit nicht mehr zu be­strei­ten.

      Ich be­schloss, das Vor­komm­nis zum Bes­ten der ge­quäl­ten Tier­heit zu nüt­zen und sag­te sehr nach­drück­lich:

      Du siehst nun selbst, wie fre­vel­haft es von euch Land­leu­ten ist, die un­glück­li­chen Ei­dech­sen, Blind­schlei­chen, Frösche und ähn­li­ches Ge­tier, gleich wie sich ih­rer eins zeigt, mit dem Ab­satz zu zer­mal­men. Ihr be­denkt da­bei nicht, dass es euer Groß­va­ter, eure Groß­mut­ter oder Schwes­ter oder sonst ein Nah­ver­wand­tes sein könn­te, was euch zer­tre­ten an den Schu­hen hän­gen­bleibt. Wenn es wahr ist, dass die See­len der Ver­stor­be­nen für ei­ni­ge Zeit in den Tie­ren hau­sen müs­sen, was ich we­der be­stä­ti­gen noch in Ab­re­de stel­len will, denn ich weiß es nicht, so lasst ihr in eu­rer Grau­sam­keit auch au­ßer acht, dass ih­nen die Zeit­dau­er ih­rer Buße von oben zu­be­mes­sen ist und dass es dem Men­schen nicht ge­stat­tet sein kann, die­se ab­zu­kür­zen, in­dem er die Tie­re tö­tet und da­mit die See­len aus ih­rem zu­ge­wie­se­nen Wohn­sitz treibt. Wer es tut, macht sich nicht nur der ab­scheu­lichs­ten Tier­quä­le­rei, son­dern auch der Auf­leh­nung ge­gen eine hö­he­re Ord­nung schul­dig und wird es bü­ßen müs­sen, wenn er der­einst sel­ber als ani­ma con­fi­na­ta um­her­kriecht.

      El­vi­ra ver­si­cher­te, dass sie stets von die­ser Rück­sicht ge­lei­tet wor­den sei und nie­mals ein Tier von der Art, wie sie den See­len zum Wohn­sitz dienten, ver­letzt habe. Aber noch am vo­ri­gen Sonn­tag sei es in ih­rem Dor­fe vor­ge­kom­men, dass ein Hau­fe jun­ger Bur­schen des Abends beim Heim­wan­dern eine rie­sen­große Krö­te auf ei­nem Stein habe sit­zen se­hen. Da habe ei­ner von ih­nen ge­fragt: S’ ha a man­da­re in pa­ra­di­so? (Wol­len wir sie ins Pa­ra­dies schi­cken?), wor­auf sie einen mäch­ti­gen Stein­block auf die Krö­te ge­wor­fen hät­ten und dann auf die­sem Block her­um­ge­tram­pelt sei­en, um die Krö­te zu zer­quet­schen. Des an­dern Tags, da sie wie­der des We­ges ge­gan­gen, hät­ten sie den Stein auf­ge­ho­ben, und es sei kei­ne Spur von der Krö­te mehr üb­rig ge­we­sen.

      Die­ses Bei­spiel von See­len­wan­de­rungs­glau­ben war mir bei der ent­schie­de­nen Kirch­lich­keit des dor­ti­gen Land­volks höchst be­fremd­lich. Aber ein ge­nau­er Ken­ner des ita­lie­ni­schen Mit­tel­al­ters wies mich dar­auf­hin, dass die Lu­ni­gia­na, zu der un­ser Küs­ten­strich ge­hört, jahr­hun­der­te­lang ein Haupt­sitz der Hä­re­sie ge­we­sen und dass die Kir­che nur die Ket­zer, aber nicht die Ket­ze­rei aus­rot­ten ge­konnt, mit de­ren zum Volks­a­ber­glau­ben her­ab­ge­sun­ke­nen Über­res­ten sie sich au­gen­schein­lich ab­fin­det.

      Jah­re spä­ter be­geg­ne­te ich der glei­chen Vor­stel­lung noch ein­mal in fast noch gro­tes­ke­rer Ge­stalt. Mein Nach­bar, der Bau­er Man­su­e­to, frag­te mich ei­nes Mor­gens beim Auf­bin­den der Re­ben an mei­ner Re­ben­lau­be mit et­was un­si­che­rem Ton, ob ich schon von der großen Schlan­ge ge­hört hät­te. Ich hat­te noch nichts ge­hört. Auf der Vil­la des ver­stor­be­nen Ge­ne­rals X., die etwa einen Ki­lo­me­ter von mei­nem Hau­se ent­fernt lag, sei eine Schlan­ge von ge­wal­ti­gen Ma­ßen er­schie­nen, »groß und dick wie ein Mensch«, sie ste­he wie ein sol­cher völ­lig auf­recht und schaue mit gräss­lich fun­keln­den Au­gen durch die Git­ter­stä­be des Gar­tens. Halb For­te de’ Mar­mi strö­me nach der Vil­la X. hin­aus, um die ge­spens­ti­ge Schlan­ge zu se­hen. Er sei auch drau­ßen ge­we­sen, der An­blick sei un­heim­lich. Man habe die Finanz­sol­da­ten mit ih­ren Ge­weh­ren hin­ge­schickt, und die­se hät­ten Schuss auf Schuss auf das Un­tier ab­ge­ge­ben. Aber wenn der Rauch sich ver­zie­he, so ste­he sie auf­recht nach wie vor un­ter den Pi­ni­en und schaue die Leu­te höh­nisch an. Er rate mir drin­gend, wenn ich es nicht glau­ben wol­le, sel­ber zu ge­hen und mich zu über­zeu­gen.

      Die­sen Rat hät­te ich na­tür­lich ger­ne be­folgt, aber ich hat­te da­mals mei­ne Mut­ter schon lei­dend im Häu­schen dro­ben, die sich zu er­re­gen pfleg­te, wenn ich sie auf mehr als zehn Mi­nu­ten al­lein ließ. Von der meer­wärts ge­le­ge­nen Gar­ten­tür aus konn­te ich aber un­ten am Strand lan­ge Züge von Men­schen auf dem Hin- und Her­weg se­hen, die sich be­geg­ne­ten und ges­ti­ku­lie­rend ste­hen­blie­ben. Auf ei­nem Sand­hü­gel, we­ni­ge Schrit­te von mei­ner Haus­tür, saß ein ur­al­tes Bet­tel­weib, die rief ich an: O Groß­mut­ter! Habt Ihr auch die Schlan­ge ge­se­hen? – Sie be­jah­te düs­ter und hef­tig. Che sia lù? (Ist wohl er es?) setz­te sie lau­ernd hin­zu. Er? Was für ein Er? frag­te ich ver­wun­dert. Lù’! lù’! il ge­ne­ra­le! – Aber gute Non­na, wie käme denn der Ge­ne­ral in die Schlan­ge? – Lo sa­prà lù’! (Das wird er wis­sen), war die noch düst­re­re Ant­wort.

      Als ich mei­ner Pa­ti­en­tin die­ses Wun­der er­zähl­te, gab sie mir Ur­laub, um den Tat­be­stand zu er­grün­den. Ich be­gab mich an den Strand hin­un­ter und hielt zu­nächst eine Grup­pe der Zu­rück­keh­ren­den auf. – Die Schlan­ge, frei­lich. Es war die rei­ne Wahr­heit. Sie hat­ten sie alle ge­se­hen. Fürch­ter­lich sah sie aus. Auf­recht stand sie wie ein Mensch. Sie stand auf dem Schwanz. Und die Au­gen fun­kel­ten. – Und die Sol­da­ten mit den Ge­weh­ren? – Ja, auch die! Es hat­te al­les sei­ne Rich­tig­keit. Ob ich denn die Schüs­se nicht ge­hört hät­te? – Ich hat­te nichts ge­hört und ging nun wei­ter, um selbst zu hö­ren und zu se­hen. Da stieß ich auf den ein­äu­gi­gen Ar­man­do, einen ge­weck­ten und ver­we­ge­nen Bur­schen, der so halb und halb in mei­nen Diens­ten stand, weil ich ihn zu­wei­len mit grö­be­rer Ar­beit be­schäf­tig­te und wäh­rend mei­ner Ab­we­sen­heit mein Haus von ihm be­wa­chen ließ.

      Kom­men Sie auch die Schlan­ge se­hen? rief er mir zu. – Ja­wohl, sag­te ich, wie steht’s denn da­mit?

      Er lach­te aus vol­lem Hal­se: Hat sich was mit der Schlan­ge. Es gibt so we­nig eine Schlan­ge in der Vil­la X. wie in der Ih­ri­gen. Der Wald­hü­ter, der die Vil­la mit den Vig­nen nachts be­wa­chen soll, aber lie­ber in der Schen­ke beim Wein sitzt, hat jetzt, wo die Trau­ben zu rei­fen be­gin­nen, die Fa­bel von der Schlan­ge auf­ge­bracht. Aber das hat er wohl sel­ber nicht er­war­tet, dass die Leu­te das Un­tier auch am hel­len Tage se­hen wür­den.

      Ein sol­cher Mas­sen­wahn ging mir über alle Be­greif­bar­keit. Aber als im­mer neue Grup­pen zu­rück­ka­men und auf Ar­man­dos An­ruf über­ein­stim­mend ver­si­cher­ten, die Schlan­ge ste­he noch im­mer und bli­cke durchs Git­ter und es wer­de noch im­mer auf sie ge­schos­sen, stand ich von dem For­schungs­gan­ge ab.

      Es