Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Isolde Kurz |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962812515 |
Mein Arbeitsfriede in Forte dauerte so lange, bis das kleine Segelboot, das Edgar sich nach eigenen Angaben in Livorno bauen ließ, fertig war und von nun an mit seinem Besitzer täglich draußen auf dem Meere schwamm. Weil er alles anders haben wollte als andere, hatte er sich eine eigene Takelung ausgedacht, die er auf besondere Weise regierte. Bei seinem Scharfsinn gelang ihm auch dies, nur dass man nie wusste, wie sich in kritischen Augenblicken seine Einrichtung, an der immer gebastelt werden musste, bewähren würde. Für starken Seegang war das schlanke, elegante Boot ohnehin zu leicht. Dreinreden ließ er sich nicht, und seine Mutter wagte auch gar nicht, ihn mit ihrer nagenden Angst zu belästigen; er würde ja doch nicht nachgegeben haben, nur die Freude wäre ihm verdorben worden, und der Verdruss hätte ihn zu vermehrter Waghalsigkeit veranlasst. Aber so oft das arme Mutterherz sein Segel in der Ferne kreuzen sah, jagte die Unruhe sie treppauf treppab, Zimmer aus und ein, dann wurde ich ohne Gnade vom Schreibtisch aufgetrieben und musste mit hinunter an den Strand. Was ich da sollte – das Boot beschwören, dass es nicht kentere, die Wellen, dass sie seinen Herrn nicht schädigten? das wusste sie so wenig wie ich. Hätte sie gar erfahren, was sie nie erfuhr, dass er eines Tages, weit entfernt von der Küste, beim Hantieren mit dem Segel über Bord stürzte, während das Boot weiterschoss! Zum Glück konnte er es beim Wiederauftauchen von hinten noch fassen und sich wieder hinaufziehen, denn er war am Bug abgestürzt, sonst wäre jenes Tages wirklich das kleine Schifflein ohne seinen Herrn aufgefischt worden. – Arme »Stadt des Lebens«, wie soll es dir ergehen? Es war ohnehin eine Aufgabe, bei diesem Barometerstand, den alle anderen zur Rast und Erholung benützten, zu arbeiten, aber nun auch noch diese täglichen aufgeregten Zwischenfälle! Oft waren meine Nerven am Zerreißen. Aber der Strand von Forte hatte eine zauberische Tugend, die ihm verblieben ist –, ob es der stärkende Atem des Meeres war oder, woran viele glauben, ein reiches Vorkommen von radioaktiven Kräften im Küstensand –, sobald ihn der Fuß betrat, war es, als würde ein Strom eingeschaltet, der den Geist fruchtbar machte. Oft genügten wenige Schritte am Ufer, und die abgestoppten Gedanken stellten sich mit solcher Schnelle und Fülle wieder ein, dass ich rasch ins Haus zurück musste oder sie in einem mitgebrachten Merkbüchlein durch Stichwörter verhaften. Als ich für das besagte Buch das Bacchuslied des Lorenzo de’Medici und die Strophen des Polizian mit ihrem reichen Reimschmuck übersetzte, da wollte des öftern die reimbeschränkte deutsche Sprache nicht gerne mit. Aber ich brauchte mich nur in den Ufersand zu strecken, so tat das Radium, oder was es sonst war, auf eine mich selber überraschende Weise seine Schuldigkeit: die Reime fügten sich natürlich ein, und die Verse flossen zwanglos, ohne Verrenkung. Und das rhythmische Anrollen und Zurückrollen der Wellen stellte die zerrissene Harmonie des Innern wieder her.
Oftmals kam auch Hildebrand, der in Forte seine Abhandlungen über künstlerische Dinge schrieb, mit einem Stoß Manuskript mitten in meine Arbeit hinein, damit ich ihm hülfe, seine zyklopischen Sätze für das Verständnis des Lesers zurechtzuhämmern. Diese Unterbrechung ließ ich mir gerne gefallen, denn die Erquickung, die von den stundenlangen, geistentbindenden Zwiegesprächen ausging, machte den Zeitverlust reichlich gut.
Ich habe nie den greisen Faust begriffen, den die »zwecklose Kraft unbändiger Elemente« zum Verzweifeln beängstet, weil mit dem prahlerischen Getue der Wogen nichts Nützliches geleistet ist. Wer weiß, wie bald es der Technik einfallen wird, sich auch diese Urkraft zu bändigen, indem sie Wundergestade wie diese mit höchst zweckvollen Anstalten, Kraftwerk an Kraftwerk umsäumt, jeden Fußbreit freier Schönheit vernichtend, dass der alte Meergott sein grün umkränztes Bette nicht mehr kennt. Ob dann nicht eines Tages die Urdämonen die Geduld verlieren werden, dass sie die vergreiste Erdrinde in Stücke schlagen, sich vielleicht wieder einmal den Mond herunterlangen und mit den zersprengten Kontinenten solange Fußball spielen, bis aller Platz frei wird für ein neues, wieder kindliches Geschlecht. Sie werden noch wissen, wie es gemacht wird, wenn sie auch für jetzt nur je und je kleine Probestückchen vorführen. Ich denke an gewisse Winternächte, die ich allein mit meinem Mütterchen in dem kleinen Haus verbrachte, wo keine Frau des Dorfes mit uns schlafen wollte, weil auf und ab an dem donnernden Strand in dieser Jahreszeit keine andere Menschenseele atmete als wir. Da stand ich allein die langen Stunden am Fenster, während sie schlief, und sah im wechselnden Mondlicht, das da und dort durch Wolkenritze drang, die alte Midgardschlange sich mit wütendem Gebrüll in ihrem Bette wälzen, bald hoch zum Himmel hinaufgebäumt, bald sich mit unendlichem Schwall und Schaum bis nahe vor meine Haustür ergießend. Und mehr als einmal habe ich mich da gefragt, ob wohl am Morgen dieses kleine Häuslein noch in seinen Grundmauern wurzeln oder weit da draußen mit seinen beiden Insassinnen auf den hohen Wogenkämmen treiben werde.
Da waren auch die großen Herbstmanöver am Himmel, die zum schauernden Entzücken der Zuschauer von den Wolken und Winden aufgeführt wurden:
Über dem Meere der Wolkenzug,
Wolken vom Bergessaume: