Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Wilhelm Raabe |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962816056 |
Das war denn freilich ein Gewühl zu nennen!
Längst wusste niemand mehr, wofür er sich schlug und weshalb er geschlagen wurde. Nicht einer in dem heitern Durcheinander konnte mehr Rechenschaft darüber geben, weshalb er eigentlich so sehr außer sich geraten sei. Nicht einer wusste mehr, wofür er hatte Rache nehmen, worüber er Rechenschaft hatte fordern wollen. Wie seit Jahrhunderten in jeglichem deutschen Bürgerkriege wusste fünf Minuten nach dem Ausbruch der Feindseligkeiten niemand mehr, warum er den Gegner hasse, und weshalb er den Prügel gegen ihn führe. Die Lust und das Behagen, den Prügel zu führen, ersetzte jedweden Rechtsgrund und es war jedermann einerlei, wohin der Schlag fiel, den er schlug, wenn er nur irgendein Ziel traf und einen blutrünstigen Striemen oder eine blaue Anschwellung, wie es sich gehörte, auf irgendeinem Körperteile irgendeines gleichfalls mit einem Knittel bewaffneten Nebenmenschen, deutschen Mitbürgers und Vaterlandsgenossen hervorrief.
Es war groß, und um den alten glorreichen Bergkegel über dem Dorfe wetterleuchtete es jetzt noch zu allem übrigen. Unbedingt saß da die tapfere Mutter Germania, sah hinab auf ihre fröhlichen Kinder, lächelte seelenvergnügt und strich leise probend an der Schärfe ihres Schwertes hinunter und hinauf und hatte in altgewohnter genialer Sorglosigkeit beide Füße auf den Schild gesetzt, mit mehr Furcht vor dem einheimischen Schnupfen, als vor den Dolchstößen und Streichen auswärtiger heimtückischer Feinde. Wir aber wollen das Gleichnis und Bild hier nicht weiter verfolgen und können uns begnügen, mitzuteilen, dass unser Freund Christoph Pechlin den Grundgedanken in einem durch mehrere Nummern der Beilage der Augsburger Allgemeinen Zeitung laufenden Aufsatze trefflich verarbeitet hat und zwar nach dem Jahre Achtzehnhundertsechsundsechzig, was denn auch, gottlob, einige Jahre später, wie wir alle erfahren haben, die trefflichsten Früchte getragen hat.
In solchen wie in verschiedenen anderen Dingen können wir versichert sein, dass unser Freund Pechle den Nagel auf den Kopf zu treffen weiß, und lobenswürdig ist dabei auch, dass er in seiner Bescheidenheit sich das nicht einmal hoch anrechnet. Und wenn in diesem Augenblicke alle Geister der alten Kaiser von dem Staufenberge herniedergestiegen wären, so hätten sie dem Aufruhr in Hohenstaufen, dem Dorfe, nicht mit größerer Befriedigung und tieferem Sachverständnis zusehen können, als ihm Christoph Pechlin zusah.
Bis jetzt, das heißt, fünf Minuten nachdem er das Gasthaus zum Lamm verlassen hatte, sah er dem Kampfe nur zu. Er musste das wohl seiner jetzigen Lebensstellung und Würde, seinem jetzigen Alter für angemessen erachten; aber die Zeit, in welcher er sich ohne Aufenthalt persönlich eingreifend in die Schlacht gestürzt haben würde, lag wahrlich noch nicht weit ab.
Auf einem erhöhten Punkte, einem weich, nachgiebig und doch elastisch aus den mannigfaltigsten vegetabilischen Stoffen zusammengesetzten Hügel stand er und blickte mit untergeschlagenen Armen auf das durch die Nacht herauwogende Kampfgewirr, auf den schattenhaften in jeglicher Tier- und Menschenstimme seinen Gefühlen lautgebenden Knäuel. Er hatte sich sehr bald in der Sachlage zurechtgefunden und rief nach niemandem, um sich den Gang der Schlacht und die Waffen und Wappen der hervorragenden Streiter deuten zu lassen.
Sämtliche männliche Hochzeitsgäste aus dem Ochsen hatten diesen verlassen und vergnügten sich mit den Gegnern aus dem Lamm in der Gasse. Wenn zuerst jeder blind darauf losgeschlagen hatte, so hatten sich jetzt die Parteien doch allmählich voneinander gesondert. Sie hatten sich besser kennen gelernt, jeder wusste, was er tat, und die Leute aus dem Lamm befanden sich unbedingt im Rückzuge.
Derjenige, welcher mit der besten Laune in die Schlacht zieht, hat die meisten Aussichten, dieselbe zu gewinnen, und die Leute aus dem Ochsen befanden sich in festtäglicher Stimmung. Es ist kein Wunder, dass ein Bräutigam in seiner Hochzeitsstimmung, alle übrigen Umstände dazu gerechnet, Wunder der Tapferkeit tut; und es ist kein Wunder, dass ihm die Verwandtschaft und die Gäste seines freudigen Festes mit aller Muskelkraft frohmutig zur Hand gehen. Schon schlugen die wilden Wogen an den erhöhten Standpunkt Pechles heran, schon war, dicht vor seinen Füßen, ein breitschultriger Kämpfer mit dem Gesichte tief in die vorhin angedeuteten Bestandteile des Hügels hineingefahren, und ein nägelbeschlagener Bundschuh hatte ihn noch tiefer hineingedrückt! Schon hatte ein anderer ritterlicher Mann oder Jüngling mit dem Körperteil, auf welchen die Stiefel in solchem Durcheinander zu treffen pflegen, sich weich neben ihm niedergelassen! Schon war auch er, der stille Beobachter, nur mit genauer Not einem Steinwurfe entgangen, der auch ihn, wenn er getroffen hätte, unbedingt bewogen haben würde, seine aufrechte Stellung im Leben, in der Philosophie, der Ästhetik, Literatur und Politik für immer mit der entgegengesetzten Lage zu vertauschen! Schon… doch was schon?! Einem daherfliegenden Knüttel durch einen zweiten Seitensprung ausweichend, gab Pechle jauchzend und jubilierenden Herzens, wie Moses auf dem Berge in der Schlacht gegen die Amalekiter, dem Handgemenge seinen Segen, als plötzlich seine ganze Aufmerksamkeit allen fliegenden Geschossen zum Trotz durch eine höchst außergewöhnliche Erscheinung gefesselt wurde. Eine hell in der Dunkelheit leuchtende Figur tauchte zappelnd inmitten des Gewühles auf, schlug um sich wie die anderen Schattentänzer, verschwand im Haufen und erschien von neuem, länger und zappelnder.
»Was ist denn des?« fragte der Exstiftler unentwegt aber erstaunt. »Herrgottssakrament, woher stammt denn dieses Phänomen?« und in dem nämlichen Moment schon erhielt er die bündigste Antwort auf seine Fragen.
Von der Wucht und Gewalt verschiedener kräftiger, auf den umliegenden