Название | Gesammelte Werke |
---|---|
Автор произведения | Wilhelm Raabe |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962816056 |
»Siehst du, mein Lieber«, sagte sie, »da sind wir! wo du uns nicht erwartet hast… natürlich! Siehst du, o, wir benutzten die Freiheit, unser Leben einzurichten… die ihr uns so gern gönnt!… Du scheinst nicht recht wohl zu sein?… Kommt dir dieses Zusammentreffen… wirklich so überraschend?«
»O Teure, – Lucie, es ist freilich –«
»Was ist freilich?… So sprich doch! – der Herr Doktor, dein Freund, wird dich nicht genieren – was wünschtest du, wie wünschtest du, dass… dein Weib sich gegen dich stelle?… Nicht wahr, du wünschtest uns – meine arme Christabel und mich – als die Hüterinnen deines Hauses… deines Herdes ruhig daheim dich… erwartend zu finden? O sprich dich ruhig aus, geniere dich nicht vor Christabel! Ist es nicht so? war es nicht so? wird es so nicht sein?«
»Gewiss nicht, Liebe!… Ich habe gar nicht darüber –«
»Nachgedacht?! Natürlich! Siehst du, Christabel, mein armes Herz?! Gewiss, du hattest recht, und ich hatte recht, wir beide hatten recht, als wir es für das einzig Rechte, das einzig Menschenwürdige hielten, unsere eigenen Wege zu gehen! Du hast mich vor dem Wahnsinn gerettet, Christabel, und deinetwegen einzig und allein in der weiten Welt, danke ich dir, und nun wollen wir die Herren nicht weiter aufhalten.«
»Aber liebste Lucie?!« stammelte Ferdinand, der von seiner Menschenwürde jetzt für immer Abschied genommen haben würde, wenn nicht in diesem Augenblick der höchsten Not und jammervollsten Zerschmetterung, das Schicksal sich unseres Freundes Christoph Pechlin bedient hätte, ihn, den königlich sächsischen Assessor a. D., noch einmal zu retten.
Pechle mischte sich in die Unterhaltung. Er erlaubte es sich, sich in die Unterhaltung zu mischen! Mit einer Harmlosigkeit, die in der Bresche einer belagerten Festung, vor den Bajonetten der andringenden Sturmkolonne, von Wirkung hätte sein müssen, sagte er freundlich:
»Aber, gnädige Frau – lieber Freund, du hast bis jetzt mich noch nicht dem gnädigen Fräulein vorgestellt! Willst du nicht die Güte haben?«
Und der Baron griff mit beiden Händen zu; – er stellte vor – unter dem heftigsten Feuer der Breschbatterien stellte er Miss Christabel Eddish und Herrn Christoph Pechlin einander vor.
»Mein gnädiges Fräulein«, sagte der Exstiftler, »ich habe mich während des ganzen Marsches durch jene Berge auf ein demnächstiges Zusammentreffen mit Ihnen gefreut; aber dass mir das Glück heute schon und gerade auf diesem glorreichen Punkte zuteil werden würde, habe ich mir doch nicht träumen lassen. Ja, hier mein Freund Rippgen hat mir fast bei jedem Schritt von Ihnen gesprochen. O, Sie hätten ihn sprechen hören sollen, Miss Eddish! Gnädige Frau, wie befinden Sie sich denn? Das lass ich mir gefallen! Es war ein herrlicher Gedanke, uns müden Landstreichern bis hierher auf den Hohenstaufen entgegenzukommen.«
Die englische Maid war vor dem fröhlichen Wortfluss in stummer Hoheit zur Seite getreten; aber die beleidigte Gattin warf ihm sich natürlich entgegen. »Mein Herr«, rief sie, »ich bitte Sie, überzeugt zu sein, dass wir nicht hofften, Sie hier zu treffen!«
»Umso besser! Umso besser und erfreulicher! Mein Gott, und drunten im Lamm übernachten wir auch zusammen. Siehst du, Rippgen, dass unsere Dämonen über uns wachen und uns die richtigen Wege zu führen wissen! Ich hab’ es dir immer gesagt, und du hast nur allzu oft an deinem Schutzengel gezweifelt. Ich an seiner Stelle würde es dir zuletzt übel genommen haben!«
Die gnädige Frau murmelte auch etwas von einem »Dämon« und das scharfe theologische Ohr fasste das Wort und die Bezüge desselben sofort in der richtigsten Weise auf.
»O, gnädige Frau«, rief Pechle mit beiden Händen ablehnend und abwehrend, »wie verkennen Sie mich, gnädige Frau!«
»Wie du aussiehst, Ferdinand?!« wandte sich die Baronin kurz um und an ihren Gatten. »Wie angegriffen! Wie heiß! Wie erschöpft!«
»Teure, liebe Lucie!«
»Findest du nicht auch, Christabel, dass er ganz und gar den zwischen uns ausgetauschten Schreckbildern entspricht? Herr Doktor Pechlin, ehe wir uns trennen, bitte ich Sie gehorsamst, mir zu sagen, was Sie mit meinem Mann während der letzten Tage angefangen haben.«
»Gnädige Frau, ich hab’ ihn wie ein Lamm auf die Weide meines schönen Heimatlandes geführt. Stellen Sie sich ein seidenes, himmelblaues Band an seinem Halse vor –«
»Herr Doktor?!«
»Und erlauben Sie mir nunmehr, Ihnen hier das Ende wieder in die eigenen, treuen, sorgenden Hände zurückgeben zu dürfen.«
»Mein Herr?!«
»Frau Baronin, verlassen Sie sich ganz ruhig darauf, Ihrem Herrn Gemahl ist unter meiner Führung, wenn Sie das wirklich so nennen wollen, nichts zugestoßen, was Ihre Besorgnisse seines körperlichen Wohles wegen erregen könnte. Was aber sein geistig Teil betrifft, so bringt er Ihnen auch das unverringert und unvermindert zurück. Unter meiner Leitung hat er dies Kapital nicht angegriffen und wird also wohl immer noch von seinen Zinsen leben können. So rede doch, sprich doch, Ferdinandle, oder noch besser, küsse deiner guten Frau die Hand, und dann, meine Herrschaften, lassen Sie uns heiter und gehoben die Stelle und die Stunde genießen. Fräulein, wie g’fällt es Ihne denn bei uns in Schwabe?«
Die Miss, welche mit größter Aufmerksamkeit, so gut es ihr möglich war, den häkligen Verhandlungen zwischen Mann, Gattin und Hausfreund gefolgt war, trotzdem dass sie anscheinend zerstreut und mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt mit der Spitze ihres Sonnenschirmes imaginäre Figuren auf den Grasboden der romantischen Höhe gezeichnet hatte, sah auf und sagte:
»Oh indeed, nicht übel, Sir. Und wie gefällt es Ihnen selbst, Sir?«
Das dreizehnte Kapitel.
Das ist das Leiden, dass wir es wahrscheinlich keinem außerhalb der Grenzen des Königreichs Württemberg Geborenen werden begreiflich machen können, wie sehr die Gegenfrage der englischen Miss den schwäbischen Autochthonen überraschte.
»Wie es mir selber g’fällt?« lallte er, die schöne Fragestellerin