Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Wilhelm Raabe
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962816056



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Har­mo­nie im Wel­tall wie­der her­zu­stel­len. Bis tief in die Nacht hin­ein wo­gen bei­de Ro­sen, Li­li­en und Ver­giss­mein­nicht ab und zu: ver­set­zen wir uns ein­mal ih­nen ge­gen­über recht leb­haft in die Stel­le des­sen, der die Wage hielt!

      Die Tage wa­ren fast zu schön, um sich in und an ih­nen zu är­gern, und doch wie vie­le Leu­te, die sich jetzt auf Rei­sen be­fan­den, hat­ten ih­ren Är­ger, ihre Angst mit auf den Weg ge­nom­men! Von dem Ex­kan­di­da­ten der Theo­lo­gie Herrn Chri­stoph Pech­lin aus Wal­den­buch konn­te man die­ses je­doch nicht be­haup­ten, und der, wel­cher der­glei­chen er­war­te­te, täusch­te sich sehr in sei­ner Er­war­tung. Pechle ge­hör­te eben zu den durch­aus nicht spar­sam über die Welt ver­streu­ten Bie­der­män­nern, wel­che, dem bö­ses­ten Ge­wis­sen zum Trotz, bei Tage der all­er­ge­müt­lichs­ten Le­bens­stim­mung und bei Nacht des al­ler­bes­ten Schla­fes sich er­freu­en und da­durch wie­der ein­mal ei­nes der land- und welt­läu­fi­gen Dik­ta voll­stän­dig zu­schan­den ma­chen. Chri­stoph hat­te ein bö­ses Ge­wis­sen, al­lein läs­tig fiel es ihm nicht. Ja, wenn er ein­mal an das Weib sei­nes Freun­des dach­te, wur­de der Him­mel über ihm wo­mög­lich noch kla­rer, der Wald grü­ner, die Son­ne son­ni­ger und jeg­li­cher über jeg­li­cher Knei­pen­tür aus­ge­häng­te Busch ein dop­pelt ver­lo­cken­der Wink zur Ein­kehr.

      Ein schö­ner Som­mer! Ein recht schö­ner hei­ßer Som­mer! Wer in den ers­ten Ta­gen des Juni auf ei­ner Fuß­wan­de­rung im Schwa­ben­lan­de sich be­fand, der hat­te, auch ohne ge­ra­de ge­nö­tigt zu sein, die Qua­len ei­nes schlech­ten Ge­wis­sens zu er­säu­fen, man­nig­fa­che Grün­de und An­läs­se, in je­der zwei­ten Schen­ke am Wege ein­zu­keh­ren. Auch das Recht, sich in jeg­li­chem Wald­ran­des­schat­ten, sei es im Tal, sei es auf der Höhe, in das Gras zu stre­cken und den Rauch der Zi­gar­re in den Duft des Tan­nen­dickichts hin­ein­zu­bla­sen, konn­te ihm un­mög­lich ab­ge­spro­chen wer­den.

      »Nek­tar vom Fass! Am­bro­sia aus der frei­en Faust! Schlür­fe und schlu­cke, mein Sohn, es ist Vor­rat ge­nug von bei­den vor­han­den!« rief Pechle je­des Mal, wenn er den Baron zu sich nie­der auf das wei­che Moos zog. –

      »O Gott, was wird mei­ne Frau sa­gen?« ächz­te der Frei­herr je­des Mal, wenn er sich ne­ben dem Rei­se­ge­nos­sen steif zu­sam­men­klapp­te, die Arme um die Schien­bei­ne schlang und das Kinn auf die Knie leg­te.

      »Asche auf dein Haupt!« brumm­te dann wohl der Ex­stift­ler. »Potz Trä­nen­fläschle und Aschenkrü­g­le, je­des Mal, wenn ich dich so da­sit­zen sehe, tut es mir im tiefs­ten Her­zen weh, dass ich kein Geis­lin­ger Holz­schnit­zer bin. Aber den ers­ten bil­den­den Na­tur­künst­ler, der uns be­geg­net, rufe ich an und las­se dich Mo­dell hocken. Die Mög­lich­keit ist doch noch vor­han­den, dass dich dei­ne eben wie­der ein­mal von dir er­wähn­te Gat­tin mit ei­nem Sohn be­schenkt, und des­sen En­kel noch sol­len dich als An­den­ken an die schwä­bi­sche Alb von ih­ren Aus­flü­gen mit nach Sach­sen heim­brin­gen und auf ih­ren Schreib­ti­schen auf­stel­len.«

      »O Chri­stoph!« seufz­te der reichs­un­mit­tel­ba­re Fer­di­nand durch­aus nicht er­hei­tert durch die­se Aus­sicht, in sei­ner schöns­ten Si­tua­ti­on auf die Nach­welt zu kom­men, und Pechle schloss dann ge­wöhn­lich die Un­ter­hal­tung mit ei­nem:

      »Na, dann lass uns wei­ter mar­schie­re, ’s wird mir all­mäh­lich o’a’g’­nem, hier als ein be­hag­li­cher Mensch bei dir zu lie­ge.«

      Nim­mer ver­nah­men die kö­nig­lich würt­tem­ber­gi­schen Drya­den und Ha­ma­drya­den so vie­le Zi­ta­te aus dem Ari­sto­pha­nes, als wäh­rend die­ser Rei­se­ta­ge der bei­den Tü­bin­ger Freun­de. Es war je­doch nur der eine der­sel­ben, wel­cher zi­tier­te, näm­lich der Pla­to-Über­set­zer. Und wenn ein Ex­kan­di­dat der Theo­lo­gie und ein Über­set­zer des Pla­ton in das Zi­tie­ren des Ari­sto­pha­nes hin­ein­ge­rät, so zi­tiert er ge­wöhn­lich mit vie­lem Ge­schmack. Es ging wie ein brei­tes Lä­cheln – Grin­sen durch den Wald und über die son­ni­gen Hü­gel. Die Drya­den und die Orea­den ta­ten zwar, als ob sie die Ohren zu­hiel­ten, aber sämt­li­che Fau­ne und Sa­ty­re rings in der Um­ge­gend wur­den mit ei­nem Male wach und sehr le­ben­dig und hüpf­ten mit Bockss­prün­gen ne­ben, vor und hin­ter den bei­den Wan­de­rern auf ih­rem Pfa­de durch den rei­zen­den Tag, wäh­rend alle Bä­che vor dem scheu­en, er­rö­ten­den Un­ter­tau­chen ih­rer Nym­phen stär­ker rausch­ten und ihre Trop­fen mut­wil­li­ger auf den Weg spritz­ten. Es ist un­glaub­lich zu sa­gen, wie lus­tig sich sämt­li­che schwä­bi­sche Berg- und Wald­göt­ter über den Baron Fer­di­nand von Ripp­gen aus Dres­den mach­ten, und umso ver­drieß­li­cher ist es, dass wir die zwei Her­ren samt ih­rem Ge­fol­ge nicht von Stun­de zu Stun­de durch die hol­den Tage be­glei­ten konn­ten. Erst zu Owen (sprich: Auen!) un­ter Teck le­gen wir wie­der die Hand auf sie. –

      Zu Owen un­ter Teck, in der nied­ri­gen, schwarz ge­rauch­ten Gast­stu­be des Wirts­hau­ses zur Kro­ne, sa­ßen der Baron und Chri­stoph Pech­lin beim Früh­stück und hat­ten man­cher­lei hin­ter sich. Sie hat­ten den Grü­nen Fel­sen, Sankt Jo­hann, den Ura­cher Was­ser­fall, Ho­hen-Urach, die Stadt Urach und den Ho­hen-Neuf­fen hin­ter sich, und als sie an die­sem jet­zi­gen Mor­gen von Er­ken­brechts­wei­ler nach Owen hin­un­ter­ge­stie­gen wa­ren, da moch­te es wahr­lich zwei­fel­haft er­schie­nen sein, wer dem an­de­ren in Hei­ter­keit und Selbst­zu­frie­den­heit den Rang ab­ge­won­nen hat­te, der Ex­stift­ler Chri­stoph Pechle aus dem Schön­buch auf dem stei­len Berg­pfa­de oder das Len­nin­ger Tal zur Rech­ten des Wegs, flim­mernd im Son­nen­schein, und sei­ne Kirsch­baum­pracht mit be­rech­tig­tem Stolz dem blau­en Him­mel und den Ber­gen hin­brei­tend.

      »Wird des en Geischt in die­sem Jahr ge­ben!« hat­te Chri­stoph, den Beglei­ter auf die Üp­pig­keit der Na­tur auf­merk­sam ma­chend, in Ek­sta­se ge­ru­fen; aber der Baron war lei­der geis­tig so her­un­ter, dass ihn selbst die Aus­sicht auf das Len­nin­ger Tal mit al­len den ver­lo­cken­den Hoff­nun­gen und Ver­hei­ßun­gen auf ein au­ßer­ge­wöhn­lich zu lo­ben­des Kir­sch­was­ser nicht auf­rich­ten konn­te.

      »O ja – aber mei­ne Frau! mei­ne arme Lu­cie!« hat­te Fer­di­nand ge­stöhnt, und so wa­ren sie nach Owen in die Kro­ne hin­ab­ge­stie­gen, und Pechle hat­te das Früh­stück be­stellt.

      Sie be­fan­den sich jetzt auf der Rück­rei­se. Schon wur­den die Pfer­de des Post­wa­gens, der sie nach Kirch­heim zur Ei­sen­bahn­sta­ti­on brin­gen soll­te, vor der Tür an­ge­schirrt, und an dem braun­ge­mal­ten Ti­sche in der Gast­stu­be stieß der Freund dem Freun­de den El­len­bo­gen in die Sei­te und sag­te:

      »Du! Ripp­gen! jetzt nimm noch ein­mal das Ge­sicht aus den Hän­den und schau dem Wel­ten­schick­sal in die Au­gen. Heu­te Abend se­hen wir vom Ho­hen­stau­fen aus die Son­ne un­ter­ge­hen und mor­gen über­lie­fe­re ich dich den Ar­men der zärt­lichs­ten Gat­tin von neu­em und ver­tre­te al­les, was wir bei­de in Kom­pa­nie wäh­rend der letz­ten Tage ge­sün­digt ha­ben.«

      »Du? uh! o!« stöhn­te der Baron, das Ge­sicht zwar er­he­bend, je­doch nicht dem Wel­ten­schick­sal, son­dern dem Rei­se­ge­nos­sen asch­grau vor Ge­wis­sens­angst in die Au­gen star­rend. »Ei ja; du wirst die Glo­cke an mei­ner Tür zie­hen, wirst mich auf mei­nen Vor­saal schie­ben, wirst einen Au­gen­blick hor­chen, wirst zu dei­ner ei­ge­nen Woh­nung hin­auf­stei­gen, wirst über mei­nem