Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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der Stube, auch bei schönstem Wetter, ja vergißt sogar manchmal ein Fenster aufzumachen; die dumpfige, rauchige und von Wein- und Menschendunst durchsetzte Luft mutet ihn sonntägig an. Aber heute war alles draußen. Es war nämlich dort das Unerhörteste zu sehen, was je in Altenmoos sich ereignen konnte. Der Guldeisner verkaufte sein Haus.

      Breit an den Lindenbaum hingelehnt saß der Großbauer da und stemmte die Fäuste auf den Tisch. Er hatte eine kohlschwarze Fellhose an, die von den Knien ab mit steifem Leder besetzt war bis nieder zu den beschlagenen Bundschuhen; dann eine schwarze Weste mit einer Reihe großer Silberknöpfe. Und er hatte eine kurze Jacke aus dunkelbraunem Tuche an und einen schwarzen seidenwolligen Hut mit schmaler eingeringelter Krempe auf. An seinen Ohrläppchen blinkten zwei goldene Scheiblein. Um den Bauch trug er einen breiten, mit weißer Seide ausgesteppten Ledergurt, auf dessen Schild unter vielem Zierat die Buchstaben F. G. standen. Das war der Franz Guldeisner in seiner Großbauerntracht.

      Ihm gegenüber saß ein Herr mit blondem, gutmütig lächelndem Gesicht, kurzgeschnittenem Vollbart und Augengläsern. Er hatte ein graues Tuchgewand am Leibe und feine Wäsche, die an Hals und Ärmeln weiß und glatt hervorblinkte. Er war noch nicht alt, tat recht behaglich und gab sich schlicht und zuvorkommend gegen jeden. Dort unter dem Vordache der Stallung stand sein Wagen, an dem alles funkelte und der voran zwei Laternen aufgesteckt hatte. Ein Bauer bemerkte darüber, da wäre es leicht, bis in die Nacht im Wirtshaus sitzen, wenn man nachher in einem Wagen, der zwei Augen habe, heimfahren könne. Da glaube er schon, daß kein rauschiger Herr in den Bach falle.

      Die beiden Männer, der Guldeisner und der graue Herr, hatten vor sich auf dem Tisch hohe schmale Flaschen stehen, »herrische Röhrln«, wie der Wirt dartat, aus dem der Herr dem Bauer das Trinkglas füllte, so oft es hohl war.

      Die übrigen Bauern hielten sich in gemessener Entfernung, plauderten halblaut unter sich über Feld und Vieh, Wind und Wetter, spitzten aber insgeheim die Ohren den beiden Männern unter der Linde zu. Der Guldeisner und der Kampelherr! – Unter den Bauern war auch der Waldmeister, was der Dreisam durch das Fenster hinein mit Wohlgefallen wahrnahm. Es sollte hernach ja an den Bart gehen. Der Waldmeister hatte eine kleine Gruppe um sich, der er allerhand Unterhaltung vormachte. Er konnte einen Silbertaler durch die Tischplatte stecken, ohne daß ein Loch war. Er konnte durch zwei Zauberworte ein entzweigeschnittenes Schürzenband wieder zusammenfügen, ohne daß eine Spur des Schnittes zurückblieb. Er konnte einen langen Karrenstrick verschlucken und bei den Ärmeln wieder herausspinnen. Mit Spielkarten machte er unzählige Künste, und allemal bedurfte er nur ein paar Beschwörungsformeln in der Kirchensprache (im Lateinischen), um die Zaubereien zu vollführen. Einige Zuschauer waren von diesen Dingen vollends gefangen genommen; mit schallender Verwunderung oder nachdenklichem Kopfschütteln begleiteten sie die unheimlichen Taten des Waldmeisters. Anderen jedoch waren und blieben die Vorgänge am Lindentisch wichtiger, als der »Leutzumbestenhaber«. Aus der Stube waren sie hervorgekommen, und sie rückten sachte um die beiden Männer zusammen.

      Der Guldeisner hatte seinen schwarzen struppigen Kopf noch tiefer als sonst zwischen seine Schultern eingezogen. Der Hut lag neben ihm auf der Bank. Manchmal fuhr er sich mit der Hand rasch ins Haar, zauste an ihm, ergriff dann ebenso hastig das Trinkglas und goß dessen Inhalt in die Gurgel.

      »Teufel!« brummte er jetzt, »es steigt mir der Graus auf!« Es war ihm verdächtig geworden, daß der Kampelherr für sein Gut eine so hohe Summe geboten hatte. Er schloß daraus, daß es noch weit mehr wert sein müsse und daß ihn der Herr überlisten wolle.

      »Ich habe niemals«, sagte der Kampelherr überaus gelassen, »auch draußen im Flachlande nicht, das Joch durchschnittlich teurer als mit sechzig Gulden bezahlt. Aber ich habe es bezahlt mit dreißig Gulden und habe es bezahlt mit fünfundzwanzig. Ihr Nachbar, der Knatschel, hat zweiundzwanzig Gulden bekommen und steht noch im Vorteil. Das Joch zu fünfundzwanzig trägt mir als Waldboden kaum anderthalb Prozent, kaum! Auf den Guldeisnergrund dreißigtausend Gulden zu dreiviertel Prozent anzulegen ist eine Torheit. Nur der Jagd wegen, offen gesagt, hätt's mir dafür gestanden. Mit Feldbau und Viehzucht haben Sie drei Prozent; so gut wie der Bauer verwertet den Boden keiner. Behalten Sie Ihren Hof, Guldeisner, ich rate Ihnen gut, behalten Sie ihn! – Gefällig?«

      Das Zigarrentäschchen hielt er dem Bauer hin, er selbst hatte sich während der Auseinandersetzungen eine frische in den Mund gesteckt.

      Die Umsitzenden hatten mit gemischten Empfindungen und Gebärden zugehört. Einerseits waren sie überrascht von den hohen Preisen, die sie hier nennen hörten, dann wurmte es sie, daß der Fremde ihre Grundstücke doch so wegwerfend abtat; anderseits hofften sie, daß deswegen der Handel nicht zustande kommen würde.

      »Herr!« sagte nun der Guldeisner hastig, »da mögen Sie weit umgehen, einen Hof, wo alles so beisammensteht, das Vieh, die Fahrnisse doppelt und dreifach, die Gebäude in gutem Zustand, so was finden Sie nicht mehr.« Fast im Flüstertone sagte er es, denn er war nicht gewohnt, sein Besitztum mit Worten zu loben, er wußte zu gut, es lobte sich selbst.

      »Die Gebäude«, antwortete der Kampelherr, »schätze ich nach dem Holzwert. Ich würde sie zu Kohlen verbrennen lassen.«

      Das wollte dem Guldeisner schier ans Herz zucken. Seinen stattlichen Guldeisnerhof zu Kohlen brennen! – Allein das Herrenschlössel draußen in Krebsau, das er sich bereits beschaut hatte, ist noch vornehmer, als das alte Bauernhaus da oben, es ist aus Backsteinen gebaut und mit Schiefern gedeckt, das kann nicht zu Kohlen gebrannt werden. Holz ist Holz, und Geld ist Geld. Jeder ein Narr, der sich's besser machen kann und tut's nicht...

      »Herr Kampelherr«, sagte der Großbauer und seine Stimme bog sich weicher, als es ihm selber lieb war, »das einunddreißigste Tausend machen Sie voll! Werden nachher mit der Wirtschaft um so mehr Glück haben.«

      »Dreißigtausendsiebenhundert Gulden und keinen Kreuzer mehr«, sagte der Kampelherr gleichmütig.

      »Wenigstens«, flüsterte der Guldeisner und legte sich mit dem Oberkörper über den Tisch hin, »wenigstens einen guten Leihkauf dazu!«

      »Pfui Teufel!« brummte einer am Nebentische, »der Großbauer bettelt!«

      »Leihkauf?« fragte der Kampelherr, »für wen denn? Der Guldeisner hat ja, so viel ich weiß, keine Frau.«

      »Das nicht, Frau nicht. Ist eh' so«, stotterte der Bauer und trank.

      »Ich bitte Sie, Stepper!« rief der Kampelherr dem vorübergehenden Wirt zu, »sagen Sie meinem Kutscher, daß er einspannen soll.«

      »Geschwind wie der Wind«, entgegnete der dienstfertige Mann und eilte davon.

      Der Guldeisner hatte sehr rote Wangen bekommen, seine Nasennüstern zuckten stark, seine Augen rollten lebhaft hin und her, und mit den Fingernägeln trommelte er auf dem Tische. Plötzlich riß er sein rotes Taschentuch aus dem Sack und rieb sich damit von der Stirne die Schweißtropfen. Hoch vom Bergesrücken herab winkten ihm die alten Tannen und Lärchen seines Waldes. Hinter jungem Anwuchs ragten die Kronen auf, von den Schirmbäumen seines Hauses. Einen Augenblick war ihm, als ob eine Stimme durch die Luft weine: Franz! Franz, bleib' uns getreu! – Die Stimme der Vorfahren, die im Grabe schliefen. – Der Kampelherr zog die Geldtasche hervor, um dem Wirte die Zeche zu bezahlen, und als der Guldeisner die großen Banknoten sah, die ganz unordentlich in das Lederfach hineingepfercht waren, da verlor er die Besinnung. »Gottswill, Kampelherr, der Guldeisnerhof gehört dein!« rief er und schlug in die Hand.

      Mehrere der Umsitzenden sprangen von ihren Bänken auf.

      »Schade um die braven Eltern, die du gehabt hast!« sagte einer halblaut. Das hörte der Guldeisner; sonst hätte er derlei Anzüglichkeiten mit stiller Verachtung bestraft, jetzt fühlte er die Notwendigkeit, sich zu verteidigen.

      »Meine Eltern!« schmetterte er scharf auffahrend, »was habt ihr mit ihnen?« Dann sagte er gemütlicher: »Unsere Vorfahren – euere wie meine – sind selbst nicht in Altenmoos geblieben. Keiner! Kein einziger.«

      »Freilich sind sie nicht in Altenmoos geblieben«, lachte der jetzt herbeigekommene Dreisam, »weil man sie hat hinausgetragen auf den Sandebener Kirchhof.«

      »Schon gut. Ganz gut«, sagte der Guldeisner,