Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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      Wie oft dachte er an Sela! Und da machte er an sich eine Erfahrung, die ihm viel zu sinnen gab, und gern hätte er wissen mögen, ob es Anderen auch so ergehe. Nur wenn sein Gram schwieg, wenn er sich zufrieden fühlte, konnte er mit heißer Sehnsucht an das Mädchen denken. War ihm weh, flog ihn die Stimmung der Trostlosigkeit an, da wollte ihm Sela’s Bild schier vergehen.

      Wer frägt, ob das die rechte Liebe ist, dem sei die Antwort: Ja. Die Liebe will nur glücklich machen und Seligkeiten des Herzens verschenken. In Elend und Jammer hat sie keinen Boden und keinen ihr eigenen Wirkungskreis. Sie mag dem Geliebten das leid ab- und es auf sich nehmen, aber sie wird schwer in ihm einen Mitträger eigenen Schmerzes suchen. Das Glück wird der Liebende dem Geliebten geben; das harte und Wehe wird er in sich selbst vergraben, wird sich absondern, wird vielleicht nach dem Freunde suchen, der ihm tragen hilft. Die Liebe für sich liegt zu solcher Zeit im Winterschlafe, wie Vöglein den Winter über in hohen, blätterlosen Bäumen schlafen. Und einst, wenn Frühling wird und es wieder Freude zu verschenken giebt, wach sie auf. – Echte Liebe sucht sich nur fürs Glück Gefährten.

      Der Dienstherr war mit dem flinken, fleißigen Burschen wohlzufrieden, aber dieser selbst war es mit sich nicht. Eine Unruhe war in ihm, gerade so, als ob der böse Feind in ihm Hause. Erst seit dem letztvergangenen Herbste fühlte er, daß Gott verloren war – für Trawies und für ihn selbst. Allerlei Begierden und Leidenschaften waren wach; er suchte sie nicht mehr zu bekämpfen, denn er wußte, wem er sich verschrieben. Tagsüber verfolgte ihn eine tiefe Bangigkeit, ohne daß er den Grund derselben kannte, und des Nachts schreckte er oft plötzlich vom Schlafe auf, als hätte sich eine kalte Hand an seine Brust gelegt.

      Jene süßen Träume aus der Kindeszeit am Gestade, von seinen heiteren Spielen, in welchen er eine Welt gefunden, von seiner Mutter, welche ihn geleitet wie ein Engel, von seinem Vater, in dessen religiösen Gesprächen er den Himmel offen gesehen und darin in ewiger Majestät sitzend den großen heiligen Gott – diese Träume, die ihn sonst fast jede Nacht heimgesucht hatten, um dem Jüngling, dem verbannten Sohne eines verbannten Vaters, stets ein Stück jener goldenen Zeit wieder zu bringen, sie waren seit dem Tage, da er sich im Rausch der Begierde auf den grauen Stein schrieb, nicht mehr erschienen. Die Vergangenheit war ihm ein versunkenes, verlorenes Paradies. Dafür hatte etwas ganz Anderes Besitz genommen von seinen nächtlichen Stunden. Da kauerte an seinem Bett der alte Roderich mit den stechenden Augen. Anstatt den Händen hatte er Klauen und mit diesen Klauen schürte er glühende Kohlen auf einen grauen Stein, und aus der Gluth rieselten Blutstropfen hervor. Dann wieder grinste der Alte zu Erlefried auf und flüsterte ihm lüsterne Worte zu und stäubte aus den Kohlen Funken auf seine Glieder, daß diese zuckten und der Schläfer erwachte und Fiebergluth in sich empfand, daß er meinte, er müsse aufspringen und nach Genossen suchen, um den brand zu bekämpfen.

      Wieder ein andersmal lag es wie ein Berg auf seiner Brust und erwachend hörte er eine laute Stimme: »Thust Du, was Du willst, Du bist mein!«

      Die Leute, mit denen er war, hatten den hübschen, stillen, gutmüthigen Burschen alle gern; aber zwei Kinder waren im Meierhofe, die schlossen sich ihm nicht an, sie fürchteten sich vor ihm. Sie fühlten es, daß seine Heiterkeut eine erzwungene, sein Spiel mit ihnen ein seelenloses war. Er stierte oft so wunderlich vor sich hin, dann lachte er wieder so grell auf, dann war er wieder so blaß – er war ihnen unheimlich.

      Wenn das Gesinde zu Tische oder zum Abende laut betete, daß die Stimmen wie Glockenläuten melodisch ineinander klangen, war seine Stimme gedämpft oder übermäßig laut und seine Finger klammerten sich krampfhaft aneinander. Asu der Kirche kehrte er jedesmal trübsinniger zurück, als er in dieselbe getreten war. Anfangs that ihm Glockenklang und Orgelton und der in Weihrauch mild verschleierte Kerzenschimmer unsäglich wohl. Er fühlte sich neu geboren und neu getauft. Aber als er einst am heiligen Tische kniete und der Priester auf seine Zunge die Hostie legte, da wurde es dunkel vor seinen Augen, er bedeckte sein Angesicht mit den Händen, wankte und murmelte: »Jetzt habe ich den Tod gegessen.«

      Am heiligen Ostersonntage war’s, da hörte er eine Predigt von dem todten und begrabenen Heiland. »Ihr Menschen, die Ihr ihn mit Eurer Sünde getödtet und begraben habt; Ihr verlaßt die heilige Gruft und geht den Weltfreuden nach. Aber zwischen den Schätzen und der Luft dieser Welt werdet Ihr glücklos irren, werdet hungern und dürsten und nicht gesättigt sein, werdet Euch selbst verzehren, werdet verloren und verdammt sein. Selig, der noch zu seiner Stunde umkehrt zu seines Heilandes stillem Grab. Die Thränen der Reue werden tönend auf die Felsgruft fallen und den Heiligsten erwecken. Er wird auferstehen und seine Liebe und Gnade dem Menschenkinde wieder schenken. Darum, Du armer, gottloser, gottverlorener Sünder, heute, an diesem glorreichen Tage des Sieges wende Deine Wege, kehre um, und dort suche Deinen Gott, wo Du ihn verloren hast.«

      Diese Worte des Predigers schlugen tief in das Gemüth des träumerischen Jünglings und er beschloß, zurückzukehren nach Trawies. Er sagte sich, daß er Antheil habe an der Schuld seiner Heimatsgemeinde, und, daß er ein treuloser Wicht sei, wenn er sich der Sühne entziehen wolle. Stets gefesselt im Wahne, dem Bösen verfallen zu sein, war er nun entschlossen, sich demselben wieder zu entringen, jenen Namen, den er auf den stein geschrieben, auszulöschen.

      Andererseits hatte ihn, das Kind der Berge, Heimweh erfaßt, Heimweh, die dämonische Macht, die schon Manchen aus besseren Gehenden in die Leiden und das Elend der Heimat zurückgezogen hat. endlich hatte ihn die Sehnsucht gepackt nach dem Hause des Bart am Tärn und seinen Bewohnern, die Sehnsucht nach Sela, der lieben Verlassenen. Sie muß ihm verzeihen, sie ist sein Engel, in ihre Arme will er sich flüchten ...

      Erlefried trat vor seinen Dienstherrn hin: »Habet Dank für das Gute, das mir in Eurem Haus zu Theil geworden ist. Nun will ich wieder davongehen.«

      »ich weiß es wohl,« antwortete der Bauer, »aber bis zur Hochzeit wirst Du Dir bei mir doch Zeit lassen.«

      »Bis zu welcher Hochzeit?«

      »So! Du gestehst es heute noch nicht ein? Wollt’ mich gefreut haben, Erlefried, wenn Du mich werth gehalten hättest, daß ich Deine Sach’ nicht erst von fremden Leuten hätt erfahren müssen. Aber so seid Ihr jungen Leut’, vermeint weiß was für ein geheimniß in Euch zu hüten, dieweilen weiß es der ganze Haus. Bigott, ‘s ist viel von Dir, daß Du alle Anderen ausgestochen hast, ‘s ist viel! Vermeine schier, das kommt, weil Du im Kloster bist aufgewachsen. Donners-Junge, wie Du dahstehst! Nun, ich wünsche Dir Glück, bist jung, bist brav, bist gut genug für sie.«

      Der Bursche schaute drein. Mit Mühe wurde es ihm klar, was dahinter stak. Nachbar Erhard hatte eine Tochter, die schöne Trull genannt, des Bauers einziges Kind und heiratsmäßig. Aber stolz! Sie gehörte zu Jenen, die darauf aus sind, den Männern das Herz zu brechen. Sie wußte Manchen anzuwärmen, um dann plötzlich ihren Spott wie einen eiskalten Sturzbach über ihn zu gießen. Als ihr aber Keiner mehr anbiß, sagte sie ganz laut: In der Gegend gefiele ihr Keiner! Seit Erlefried in der Gegend war, sagte sie es nicht mehr. Sie lauerte dem Burschen nach und that es so auffällig, daß alle Leute es merkten, bis auf Einen: Erlefried merkte es nicht.

      Und als es ihm nun laut und deutlich gesagt wurde, die schöne Trull habe ihn lieb, wollte ihn heiraten! Da kam eine wunderliche Freude in sein Herz, er wußte nicht, was er that, er lief allsogleich ins Haus des Erhard und fragte der Trull nach.

      Der Erhard war nicht mehr jung, empfing den Burschen gar freundlich und konnte nicht genug sagen, wie es ihn freue, daß der junge Knecht des Nachbars, von dem er schon so viel Braves gehört habe, sich endlich einmal in seinem Hause sehen lasse. Ja so, die Trull suche er, na, die würde sich erst recht freuen, sie sei in ihrer Kammer, er möge nur eintreten. – Die Trull war nicht mehr in den Jahren, in welchem das Mädchen unwillkürlich erröthet, wenn ein junger Mann eintritt, sie erröthete daher etwas willkürlich, aber deshalb nicht minder reizend. Auch schlug sie die Augen nieder – und schön war sie wirklich. Erlefried müßte nicht vom Teufel besessen gewesen sein, hätte er den guten und braven Gedanken, mit dem er eingetreten war, ganz rein bewahren können. Aber noch rechtzeitig dachte er daran, was er sich vorgenommen hatte, und so sagte er: »Es geht, meine liebe Jungfrau Trull, ein Reden um bei den Leuten. Sie wird gewiß auch schon davon gehört haben, und wenn es wahr sollt’ sein, daß mich die Jungfrau leiden mag, so müßt’