Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

Читать онлайн.
Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



Скачать книгу

neu oder verdorrten auch, wie es eben war. Die umliegenden Ortschaften, so weit viele derselben auch von diesem Waldrande entfernt lagen, hatten an ihrer Markung einen Galgen errichtet als Willkomm für die Besucher aus Trawies. Und das waren nunmehr die einzigen Grenzpfähle. Wohl waren von einsichtsvollerer Seite auch Versuche gemacht worden, mit den Leuten von Trawies eine Art von freundschaftlichem Verkehr zu pflegen, den Bann still zu umgehen und so die Gemeinde allmählich wieder zur Gesellschaft heranzuziehen. Aber die Rotten in den Wäldern waren damit nicht einverstanden. Die wilde Freiheit behagte ihnen und sie trugen gar kein Verlangen nach Steuern und Robot, nach dem Kriegshandwerk, wo der Mann wohl das Leben verlieren, aber nichts gewinnen könne.

      Aus Neubruck war nun ein von den Türken verscheuchter Mann vertrauensselig nach Trawies gekommen. Der erzählte was draußen vorging. Krieg in Ost und Krieg in West, und Krieg mitten in der Heimat. Heuschrecken hätten die Ernte gefressen, Osmanen hätten die Speicher geleert, die Kirchen geschändet und Städte verbrannt. Der Landesfürst läge mit den Bischöfen in Fehde, die Bischöfe riefen als ihre Verbündeten die Magyaren ins Land, und das wären neue Feinde und an Grausamkeit nicht viel geringer, als die Türken. Ferner hätten sich in den letzten Jahren Semiten eingenistet, Hausirhandel getrieben, Kinderblut getrunken und Brunnen vergiftet. Sie seien ausgewiesen worden, aber nicht gegangen, und wären nur erst die feindlichen Einfälle überdauert, dann dürfte es ein fröhlich Judenerschlagen abgeben. Trawies sei dazu eingeladen.

      Ein Trawieser antwortete: »Was gehen uns die Juden an, wir erschlagen Pfaffen und Herren!«

      Aber man müsse bedenken, meinte der Mann aus Neubruck, daß die Semiten eine schreckbare Seuche ins Land geschleppt und in den Brunnen großgezogen hätten. Dort und da fiele Einer um und wäre todt und würde nach kurzer Zeit schwarz und verwese. Es wären dieses Sterbens wegen schon angesteckte Häuser verbrannt und ganze Ortschaften abgesperrt worden. Einen Juden habe man dabei erwischt, da er just Gift in einen Brunnen warf; der sei zwischen zwei Hunden aufgeknüpft worden. Einen Anderen habe man durch peinliche Fragen zum Geständniß treiben wollen und ihm jede Stunde einen Zahn ausgerissen, bis er endlich mit zerstörtem Kinnbacken bekannte, daß er Hostien entweiht habe.

      Mit lustigen Mienen hörten die Leute von Trawies derlei Geschichten, und als der Fremde alles erzählt hatte, was er wußte, und zur Ergötzung der Zuhörer vielleicht etwas mehr, nahmen sie ihm seinen Geldvorrath ab, seinen Mantel und seine Stiefel und luden ihn ein, mit ihnen auf die Jagd zu gehen.

      Er schlich einige Tage im reifigen Waldschatten herum, nährte sich von Kraut und Preiselbeeren, legte sich in eine halbzerstörte Hütte und starb in derselben. Als man ihn fand, war er schwarz angelaufen und hatte am Körper grause Beulen.

      »Den rühr’ ich nicht an!« sagten die Leute und liefen davon. Und zogen einen weiten Ring um die Hütte, ächteten den Platz, wie sie selbst geächtet waren.

      Aber es war vergebens. Der schwarze Tod hatte sein Ei in Trawies gelegt und es begann in dem ungezügelten, ausschweifenden Haufen ein böses Sterben.

      Aus der unteren Trach kamen anfangs die meisten Nachrichten; bald hieß es, auch im Dürrbachgraben sei die Seuche aufgetaucht. Im Trasankthale liege ebenfalls ein Todter; und von den Häusern des Rockenberges kamen die Bewohner geflohen mit dem Bericht, die Seuche sei auf dem Berge, und noch ärger als im Thale. Vor diesen Leuten flohen nun die Anderen, aber sie wußten nicht wohin, von allen Seiten kamen ihnen die Berichte und die Spuren der wilden Geißel entgegen.

      Medicin hilft nicht, das wußten sie; aber durch Orakelsprüche und Amulette suchte man sich zu schützen.

      Doch die Himmlischen erkannten keine fromme Meinung aus Trawies.

      Dem Verstorbenen Brot auf den Mund legen, damit sich das Gift in dasselbe ziehe! So lautete ein Rath. O Gott, wer wollte sich dem Todten nahen! Mittel gab es übergenug, aber sie halfen nicht.

      »Gegen die Ansteckung nichts besser, als Ziegenböcke!« riethen sich die Leute, und Jeder trachtete im Stalle eines Ziegenbockes zu schlafen und zu wohnen; tagsüber sah man die Leute mit Ziegenböcken herumgehen, und weil dieser luftreinigenden Thiere zu wenig waren, so raubte sie Einer dem Anderen; der Ziegenbock wurde zum Zeichen der Stärke seines Herrn, wurde das Pferd der Ritter von Trawies. Da geschah es, daß auch von solch minder hohem Rosse mancher Reiter zur Erde fiel und starb. Und als die Leute sahen, daß die Seuche sich steigerte, da verfielen Diese der Verzweiflung, Andere dem Stumpfsinn; noch Andere meinten, die giftige Luft könne man nur mit giftigem Wasser besiegen und thaten nicht als Branntwein trinken. Sie fielen zu Boden, sie brachen sich vielleicht den Hals; im Ganzen waren von den Trinkern Wenige, die starben, und Ursula, die Schnapsbrennerin, stieg an Ansehen, und das umso höher, als Viele sie des Bundes mit dem »Schwarzen« ziehen. Ihr Branntwein war ganz darnach.

      Die Nüchternen trachteten, den letzten Rest von Ordnung noch immer aufrecht zu halten. Die Häuser und Hütten, wo Jemand an der Seuche gestorben war, wurden niedergebrannt oder verrammelt. Die Todten wurden mit langen Haken in die Grube gezerrt. Der Verkehr war fast ganz aufgehoben; Einer floh den Anderen. Unterredungen geschahen nur über Bäche oder über Feuer. Sie hatten die Erfahrung gemacht, daß das Feuer luftreinigend sei.

      »Wir sollten noch einen Tärn haben zu verbrennen!« meinten sie.

      »So zünden wir den Ritscher an,« riethen sie.

      »Stürzen wir uns ins Feuer, ist das beste Mittel gegen Krankheiten,« lachten sie.

      »Schon verdammt eng zieht uns der Teufel die Schlinge,« fluchten sie.

      Und in demselben Spätherbste vollzog sich noch nicht das Ärgste. Vom Winter hoffte man, daß er das Gift in der Luft zerstören werden; er ging auch vorüber, ohne viele Opfer zu fordern. Aber als die Sonne wieder hoch stand und der Schnee thaute und die Dünste aufstiegen in weißen Frühlingsnebeln, da fing es wieder an. Jetzt rächten sich die Todten, die man im vergangenen Spätherbste nicht begraben hatte. Und als die Sonnenwendnacht kam, die man in glücklichen Tagen zu Trawies so fröhlich gegangen hatte, brannten wohl auch diesmal im Thal und auf den Höhen zahlreiche Feuer, aber sie waren vergleichbar den Wachtfeuern auf dem Kriegsfelde. Hier brannte ein Haus, in welchem der letzte Bewohner hingestorben war; dort brannte ein Reisigfeuer zwischen zwei Männern, die sich beriethen; da hatte man einen Holzstoß entzündet, an dessen Gluth sich eine ganze vor Angst bebende Familie drängt. Denn dieser Rath war vom Johannesberge den Leuten wiederholt zugekommen: Nur an das Feuer möchten sie sich halten!

      »Ja,« meinte ein alter Trawieser, es war der Rocken-Paul, »das möchte ich glauben, wenn wir das Ahnfeuer noch hätten! Die Gluth vom Flammenring ist uns nicht gesund!«

      Manche der von der Seuche befallenen wütheten, beteten, fluchten, verzweifelten. Andere wieder geriethen vor dem Tode in eine seltsame Verzückung, riefen aus, sie sähen den Himmel offen und feurige Leitern seien gezogen herab auf Trawies.

      Und als das Sterben grassierte, da erzählte der alte Schummelzenz, daß er im Herbste, als noch alles gesund war, am Rockenbachwege Enzian geschnitten habe. Da sei von der Trach her ein Karren gefahren, worauf ein fremder Mann und ein fremdes Weib gesessen. Der Mann habe eine Sense, das Weib einen Rechen gehabt. Das Weib habe zum Manne gesprochen: »Du mähst Trawies, ich werde es rechen.« Und das Paar sei niemand Anderer, als die Pest gewesen. –

      Die Chronik übermittelt uns aus dieser Schreckenszeit ein einziges Bild, das geeignet ist, unser Herz zu erheben.

      Hoch im Trasankthale, hart am berge zwischen Schuttriesen, stand das Haus des Sand-Nantel. Der Nantel hatte seine Josa ohne viel Umfragens zum Weibe genommen und sie ohne viel Umschauens zum Weibe behalten. Sie mischten sich nicht in das Treiben der neuen Gemeinde, sie verstanden sich zu ernähren von dem, was zwischen den Steinen wuchs.

      Und nun, eines Tages fiel der Nantel zu Boden. Mit einem Schreckrufe sprang ihm sein Weib bei, er wehrte mit den Händen ab: »Laß mich! rühr’ micht nicht an! Gehe zu den Kindern!« Und suchte sich selbst aufzuraffen.

      »Was ist Dir, Mann? Wo willst Du hin?«

      »Dem Wasser zu. Geh’ weg. Ich will zum frischen Wasser. Die schwarzen Flecken – ich will mich waschen.«

      Der kalte Schweiß stand