Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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Название Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke
Автор произведения Eduard von Keyserling
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962814601



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Um­stand nicht aus den Au­gen – die­ser Vor­rat also – sei zu Ende. Wa­rum? Sa­gen Sie nur, warum?«

      Herr La­nin lä­chel­te und schau­te Lurch scharf an.

      »Ja, Herr Prin­zi­pal, er ist aber doch zu Ende«, ant­wor­te­te Lurch sen­ti­men­tal. Herr La­nin lach­te wie­der; er war sei­ner Sa­che zu ge­wiss. Er setz­te sich zu­recht, nahm den Knei­fer von der Nase, drück­te die Au­gen zu­sam­men, als gel­te es, scharf zu den­ken: »Sa­gen Sie das doch nicht! Ge­hen wir sys­te­ma­tisch vor. Wol­len Sie so gut sein und auf mei­ne Fra­gen ant­wor­ten, nur das, Lurch; so kom­men wir am schnells­ten ins rei­ne. Eine Par­tie ech­ten Schwei­zer Kä­ses – eine Par­tie in­län­di­schen Kä­ses nie­de­rer Qua­li­tät und eine ers­ter Qua­li­tät lang­ten vor vier Wo­chen an. Gut! Kann der ech­te Schwei­zer Käse jetzt schon alle sein? Da­rauf kommt es an!«

      »Herr Prin­zi­pal brau­chen nur die Pos­ten durch­zu­se­hen. Es stimmt«, ent­geg­ne­te Lurch mit hals­star­ri­ger Freund­lich­keit.

      »Pos­ten? Las­sen Sie das. Mei­ne Fra­ge, Lurch; nichts wei­ter.«

      »Der Käse ist alle, der Baron Pod­dor hat sehr viel ho­len las­sen; bei Koll­hardts hat man viel ver­braucht. Über­haupt weiß ich nicht, was die Leu­te in letz­ter Zeit mit dem ech­ten Schwei­zer Käse ma­chen. Vom in­län­di­schen ers­ter Qua­li­tät ist noch die gan­ze Par­tie da.«

      »Zur Sa­che!« dräng­te Herr La­nin.

      »Ja – mehr – Herr Prin­zi­pal – –«

      »Sanc­ta sim­pli­ci­tas! Sie ver­ste­hen mich nicht. War­ten Sie, ich will es aus Ih­nen her­aus ent­wi­ckeln. Sie spre­chen von Koll­hardt, vom Pod­dor – was will das sa­gen. Mer­ken Sie auf. Ich neh­me an: Ver­langt wird x und z – ver­ste­hen Sie, nur x und z. Ich las­se glei­che Quan­ti­tä­ten von x, von z und noch von y kom­men, das fast so gut wie z ist. Also – sa­gen Sie mir, warum las­se ich auch y – im­mer noch die An­nah­me – kom­men?«

      Lurch blick­te vor sich nie­der.

      »x, y und z –« wie­der­hol­te der Prin­zi­pal und lä­chel­te. – »Neh­men Sie sich Zeit.«

      »z?« frag­te Lurch.

      »Ja; x, y und z.«

      Lurch be­weg­te laut­los die Lip­pen; end­lich stieß er ein hei­se­res »Ja« aus.

      »Ha­ben Sie’s?« frag­te Herr La­nin.

      »Ja – ich mei­ne«, be­gann Lurch vor­sich­tig. »Wenn je­mand käme und ver­lang­te y – –«

      »Ei, ei!« un­ter­brach ihn Herr La­nin. »Was ma­chen Sie für Sa­chen! Es ist nicht zu glau­ben.«

      Lurch senk­te wie­der den Kopf und rech­ne­te. Er hät­te die Lö­sung schwer­lich ge­fun­den, und es war ihm lieb, dass die Türe stür­misch auf­ge­ris­sen wur­de und Fräu­lein Sal­ly in sehr ho­her Stimm­la­ge in das Zim­mer hin­ein­rief: »Papa! Er ist da.«

      »Wer?« frag­te Herr La­nin ver­stimmt.

      »Ko­mi­sche Fra­ge! Der Neue na­tür­lich«, er­wi­der­te sei­ne Toch­ter.

      »Ah!« Herr La­nin er­hob sich.

      »Ge­hen Sie, Lurch. Ich muss fort. Sie wer­den nie rech­nen ler­nen.«

      Mit die­sen Wor­ten eil­te er auf den Flur hin­aus. Dort fand er sei­nen Nef­fen, der dem klei­nen Dienst­mäd­chen mit sehr lau­ter Stim­me Be­feh­le we­gen des Her­ein­schaf­fens der Kof­fer gab. Als er Herrn La­nin er­blick­te, ging er auf ihn zu und rief, ein we­nig durch die Nase: »Ah! Sie sind wohl der On­kel?«

      »Al­ler­dings! Al­ler­dings!« er­wi­der­te Herr La­nin und streck­te dem jun­gen Mann mit ei­nem fei­nen, geist­rei­chen Lä­cheln bei­de Hän­de hin: »Du er­kennst mich nicht? Na­tür­lich! Es ist lan­ge her, seit ich bei euch war. War­te! – Es sind fünf­zehn Jah­re – ganz recht – fünf­zehn Jah­re. Ha ha! Eine hüb­sche Zeit. Wie geht es zu Hau­se?«

      »Ich dan­ke, der Alte hat mir Grü­ße für Sie und die Frau Tan­te auf­ge­tra­gen. Müt­ter­chen krän­kelt ein we­nig.«

      »So – so! Lege nur ab, dann stel­le ich dich mei­ner Fa­mi­lie vor.«

      Die Fa­mi­lie stand an der halb an­ge­lehn­ten Türe und mus­ter­te den An­kömm­ling. Als Am­bro­si­us Tel­le­r­at und Herr La­nin sich an­schick­ten, in das Wohn­zim­mer ein­zu­tre­ten, stürz­te die Fa­mi­lie an das an­de­re Ende des Ge­ma­ches und griff nach gleich­gül­ti­gen Din­gen.

      »Da brin­ge ich euch den neu­en Vet­ter«, sag­te Herr La­nin und schlug sei­nem Nef­fen jo­vi­al auf den Rücken.

      »Will­kom­men, will­kom­men«, rief Frau La­nin, und das brei­te, wei­che Ge­sicht, der zahn­lo­se, elas­ti­sche Mund drück­ten viel süße Freund­lich­keit aus.

      »Hm – Frau Tan­te – vie­le Grü­ße«, be­gann der jun­ge Mann, aber Herr La­nin un­ter­brach ihn: »Mei­ne Toch­ter«, sag­te er und deu­te­te auf Fräu­lein Sal­ly, die mit ge­senk­ten Wim­pern an ih­rem Ar­beit­s­ti­sche stand. Am­bro­si­us stieß wie­der­um ein hef­ti­ges »Hm« aus, wipp­te zwei­mal auf sei­nen Fü­ßen auf und ab und mach­te eine tie­fe Ver­beu­gung. Fräu­lein Sal­ly ver­beug­te sich auch ih­rer­seits, schlug die Au­gen auf und sag­te: »Mein Herr« – ganz wie die Sa­lon­da­me im Lust­spiel für Lieb­ha­ber­thea­ter.

      »So!« ver­setz­te Herr La­nin. »Also – noch­mals will­kom­men!« On­kel und Nef­fe schüt­tel­ten sich ver­bind­lich die Hän­de; dann mein­te Herr La­nin, die Da­men wür­den dem Rei­sen­den wohl eine Er­fri­schung an­bie­ten wol­len. Fräu­lein Sal­ly er­griff auch, in net­ter Wirt­schaft­lich­keit, eine wei­ße Schür­ze und such­te nach Schlüs­seln. Die an­dern setz­ten sich an einen run­den Tisch, mit dem Ent­schluss, sich zu un­ter­hal­ten. Am­bro­si­us leg­te ein Bein über das an­de­re, räus­per­te sich und beug­te sich leicht vor, als woll­te er et­was An­ge­neh­mes sa­gen. Ob­gleich er nichts Un­ge­wöhn­li­ches tat, so hat­ten sei­ne Be­we­gun­gen doch et­was Ge­such­tes, aber ge­wiss nichts ver­geb­lich Ge­such­tes. Am­bro­si­us war ein hüb­scher jun­ger Mann mit ei­ner schlan­ken, gut­ge­bau­ten Ge­stalt, der ein dunk­ler An­zug nach der letz­ten Mode gut ließ. Sei­ne Züge wa­ren re­gel­mä­ßig, die Nase scharf ge­schnit­ten, die Lip­pen leuch­tend rot und zu ei­nem an­ge­nehm ju­gend­li­chen Lä­cheln be­reit, die Au­gen hart braun und sehr glän­zend. Über der ho­hen Stirn türm­te sich ge­lock­tes, dun­kel­blon­des Haar, sorg­fäl­tig über den gan­zen Kopf ge­schei­telt und wohl­rie­chend.

      »Am­bro­si­us wird sich hier hof­fent­lich glück­lich füh­len«, be­gann Frau La­nin, »hof­fent­lich.« Sie blick­te da­bei ih­ren Ge­mahl, dann Am­bro­si­us an. Die gan­ze ge­wich­ti­ge Ge­stalt der al­ten Dame, die lang­sa­men Be­we­gun­gen, die Au­gen, die Nase, der Mund, die Fül­le wei­chen, schlaf­fen Flei­sches, die lei­se Stim­me – al­les at­me­te Mil­de, al­les an ihr war sanft wie Fett, süß wie Ho­nig.

      »Ge­wiss, o ge­wiss!« er­wi­der­te Herr La­nin und zer­teil­te die Luft mit der Hand in gleich­mä­ßi­ge Stücke. »Wenn das Le­ben hier auch ein we­nig still, das heißt ernst ist, so ist es doch mit Ar­beit und Wis­sen­schaft an­ge­füllt.«

      »Hm – ja«, mein­te Am­bro­si­us, »dem Flei­ßi­gen wird die Zeit nie lang.«

      »Es gibt doch auch klei­ne Zer­streu­un­gen«,