Название | Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Eduard von Keyserling |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962814601 |
»Ja, Rosa.« – »Lange schon?« – »Nicht allzulange. Aber Sie, Rosa, haben Sie sich nicht gefürchtet, so allein bei Nacht?«
»O doch!«
Beide sprachen halblaut und hastig.
Herweg erhob sich. Ihm war sehr gefühlvoll ums Herz, bis auf die kleine Befangenheit, die er sich nicht eingestehen wollte. »Rosa«, sagte er ein wenig heiser und fasste die dunkle kleine Gestalt fest an die Schultern. »Oh!« rief Rosa und hüllte sich fester in ihr Tuch. So standen sie aneinandergelehnt: »Kollhardt«, versetzte Rosa, auf den Fluss hinausdeutend, »das dort, es ist doch Nebel?«
Unzweifelhaft war es Nebel. Ein durchsichtiges weißes Band, lag er auf dem Wasser und stieg die Ufer hinan. Jenseits des Flusses breitete sich das Land flach und dunkelgelb aus, hie und da von einzelnen Bäumen und Büschen mit schwarzen Flecken versehen.
Dahinter – am Horizont – hing ein ganz mattes weißes Leuchten.
Herweg drückte inbrünstig Rosas Schulter. Eine große Aufregung stieg in ihm auf, und laut hörte er das träge Schülerherz in seiner Brust pochen. »Rosa!« flüsterte er, »kommen Sie – komm – wir setzen uns aneinander.« Er breitete seinen Mantel auf das Heidekraut und drückte das Mädchen auf ihn nieder. Rosa ließ es geschehen. Fest in ihr Tuch gehüllt, saß sie da und schaute stet auf das Land hinaus.
Herweg näherte sich ihr behutsam, wie einem scheuen Vogel, fasste sie, beugte sie zu sich heran – sie gehorchte willig, dann küsste er eine der kühlen Wangen. Er wollte auch die Hände aus dem Tuch hervorholen, sie sträubten sich jedoch, und er musste stärker an dem schwarzen Stoffe zerren. All das geschah schweigend; nur das tiefere Atemholen der beiden Kinder war vernehmbar.
Rosa machte sich von Herweg los und saß wieder gerade da. »Wissen Sie, Kollhardt«, sagte sie, »bei Lanins ist heute der Neue angekommen.«
»Nun, da wird sich Sally freuen.«
»Glauben Sie, dass er sie heiraten wird?«
»Nein.«
»Ich glaube das auch nicht.«
Ein Windstoß fuhr über das Land, jenes flüchtige Wehen, das die Runde durch die Sommernacht macht, ein kurzes Rauschen erweckt, uns streift, uns hastig Düfte ferner Gärten zuwirft und weiterzieht. Ringsum erwachten die Feldgrillen und begannen eifrig zu wetzen und zu sprechen; ein fast betäubendes Schrillen zog den Fluss entlang und antwortete vom Garten hinter dem Zaun und vom anderen Ufer. Aus einem entlegenen Felde drang der Ruf des Wachtelkönigs herüber, ein stetes Knarren, als zöge jemand eine rostige Uhr auf und würde nimmer fertig.
»Hörst du?« fragte Rosa und wandte ihr Gesicht der Richtung zu, aus der der Ton kam.
»Ja«, erwiderte Herweg begeistert und schlang seine Arme fest um das Mädchen. Rosa ließ nur einen tiefen Seufzer hören und lehnte ihren Kopf auf Herwegs Arm; er aber küsste ihr laut und stürmisch Wangen und Lippen, dann hob er ihren Kopf empor, um das Gesicht deutlich zu sehen; regungslos sah es zu ihm empor, bleich und ernst, in jenem Ernst, mit dem die Sinnlichkeit ein Frauenantlitz zu verschönen pflegt. Die Augen grellblau und gedankenlos. »Rosa, was ist Ihnen?« fragte Herweg erschrocken. Da richtete sich Rosa hastig auf.
Der Nebel war vom Wasser bis zu ihnen herangeschlichen. Wie weiße Gazefetzen lag er auf dem Kraut und glitzerte. Fern in der Stadt schlug die Turmuhr zehn. Ihre heisere Stimme rief missgelaunte Töne in die Nacht hinaus, als wäre sie aus tiefem Schlummer aufgefahren, um verdrießlich ihre Pflicht zu tun.
»Es ist zehn Uhr«, sagte Herweg.
»Ja – ich gehe heim«, erwiderte Rosa, und während Herweg sich in seinen Mantel hüllte, ging sie unruhig hin und her und griff mit den Händen in die Nebelflocken, die über dem Grase hingen,
»Sind Sie fertig, Kollhardt?« fragte sie.
»Ja, ich führe Sie nach Hause. Nicht?«
»Nein, Kollhardt, das darf nicht geschehen. Sie gehen hier hinauf. Ich finde mich schon zurecht. Leben Sie wohl.«
Sie reichten sich ein wenig steif und ungelenk die Hände. Herweg wollte dann Rosa küssen, sie aber entwand sich ihm schnell und eilte den Pfad hinan.
Siebentes Kapitel
Herrn Lanins Neuer war wirklich angelangt. In einer offenen Post-Chaise hielt er um sieben Uhr abends vor dem Laninschen Hause. Drei Koffer, elegant mit Leder überzogen, waren vor ihm aufgetürmt. Er selbst trug einen grauen Staubmantel. Ganz wie Herr Herz es seiner Tochter berichtet hatte.
Herr Lanin befand sich gerade in seinem Studierzimmer, dem geachtetsten Gemache des Hauses. Die Fenster, die auf den Hof hinausgingen, standen offen, und ein kräftiger Stallgeruch strömte herein. Das Gemach selbst hatte ein strenges, ernstes Aussehen. Die Wände waren mit blankem holzfarbenen Papier beklebt. Ein einziger Lehnsessel und ein einziges Rohrstühlchen befanden sich in dem Gemach, und beide standen vor dem Schreibtisch. Auf dem Lehnsessel saß Herr Lanin, auf dem Rohrstühlchen Conrad Lurch. Herr Lanin war eben dabei, Conrad Lurch zu kontrollieren. Er setzte einen Kneifer mit großen runden Gläsern auf die Nase und beugte sich über ein schmales Buch, langsam mit dem Finger die Zahlenreihe hinabfahrend. Lurch machte ein sehr freundliches Gesicht; er lachte sogar, aber diese Freundlichkeit war seltsam starr, dieses Lächeln unnatürlich stetig und gekniffen. Es schien, als sei dieses Lächeln, einst vielleicht lustig und gewöhnlich, alt geworden; man hatte vergessen, es fortzuwischen; nun stand es eingetrocknet und eingerostet auf dem gelben Gesicht.
»Schweizer Käse!« rief Herr Lanin und blickte auf. »Ja – Schweizer Käse«, erwiderte Lurch höflich. Der Prinzipal aber lehnte sich zurück und sah vor sich hin auf die Wand. An der Wand hing, in goldenem Rahmen, Herrn Lanins Bild. Dort trug er weiße Hosen und einen schwarzen Rock. in der einen Hand hielt er seinen Hut, die andere legte er wohlwollend auf ein Album, das neben ihm auf einem Tischchen lag. Rechts hing das Bild der Frau Lanin, auf dem der Glanz des schwarzen