Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | George Sand |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962816148 |
Der Arzt langte an, und da er den Fall bedenklich fand, erklärte er, man habe ihn sehr spät gerufen und er stehe für nichts. Man hätte schon am vorigen Abend zur Ader lassen sollen, jetzt sei der Augenblick nicht günstig. Der Aderlass würde die Krise zurückführen. Es wäre schlimm, schlimm!
– Er wird sie allerdings zurückführen, sagte Albert, aber man muss dennoch Blut lassen.
Der deutsche Arzt, ein schwerfälliger Mann, sehr von sich eingenommen, und gewohnt, in jener Gegend, wo er ohne Nebenbuhler praktizierte, wie ein Orakel gehört zu werden, schlug seine dicken Augenlider empor und blinzelte den Menschen an, der sich erkühnte, so den Knoten zu durchschneiden.
– Ich sage, man muss zur Ader lassen, wiederholte Albert mit Nachdruck. Mit oder ohne Aderlass wird die Krise zurückkehren.
– Mit Verlaub! sagte der Doctor Wetzelius, dieses ist keinesweges so leicht, als Sie zu vermeinen scheinen.
Hierbei lächelte er etwas verächtlich und ironisch.
– Wenn die Krisis nicht wiederkehrt, entgegnete Albert, so ist alles verloren, das müssen Sie wissen. Diese Schlafsucht würde geradesweges zur Lähmung der Nerventätigkeit, zum Schlagfluss, zum Tode führen. Es ist Ihre Pflicht, sich der Krankheit zu bemächtigen, ihre Gewalt wieder zu wecken, um sie zu bekämpfen, mit einem Wort, zu arbeiten. Wo nicht, wozu sind Sie da? Gebet und Bestattung ist nicht Ihres Amtes. Schlagen Sie die Ader oder ich tue es selbst.
Der Doctor wusste wohl, dass Albert recht hatte, und er hatte sich selbst sogleich vorgenommen, zur Ader zu lassen, aber es ließ einem Manne von seiner Bedeutung nicht gut, so geschwind seinen Ausspruch zu tun und zu handeln. Da hätte man denken können, dass es ein einfacher, leicht zu entscheidender Fall gewesen wäre, und unser Arzt hatte die Gewohnheit, den Bedenklichen zu spielen und die Verlegenheit auffallend zu machen, um dann wie durch eine plötzliche Eingebung seines Genies zu siegen, damit es wie schon tausend Male bei seinen Kuren hieße: »Es stand so schlimm, dass Doctor Wetzelius selber nicht wusste, was er tun sollte. Kein anderer hätte so den Nagel auf den Kopf getroffen. Das ist ein Mann! Er weiß immer noch Rat. In Wien selbst ist nicht der Zweite.«
Als er durch Albert’s Ungeduld seinen Gang gekreuzt und sich ohne Umstände das Messer in die Hand gegeben sah, hob er an:
– Wenn Sie Arzt sind und hier zu sagen haben, so sehe ich nicht ein, wozu man mich hat rufen lassen, und ich gehe nach Hause.
– Wenn Sie sich nicht entschließen wollen, so lange es noch Zeit, so gehen Sie immerhin! sagte Albert.
Der Doctor Wetzelius fand sich schwer beleidigt, dass man ihn einem unbekannten Kollegen beigesellt hatte, der ihm mit so wenig Achtung begegnete, stand auf und begab sich in Amaliens Zimmer, um sich mit den Nerven dieser jungen Person zu beschäftigen, die ihn sogleich verlangt hatte, und sich dem Stiftsfräulein zu empfehlen; aber Wenceslawa hielt ihn zurück.
– Lieber Doctor! sagte sie, Sie dürfen uns in einer solchen Lage nicht im Stiche lassen. Sehen Sie nur, welche Verantwortung auf uns liegt. Mein Neffe hat Sie beleidigt, aber warum wollen Sie die Hitze eines Mannes, der sich so wenig beherrschen kann, ernstlich nehmen! …
– Wie, war das Graf Albert’s fragte der Doctor verblüfft. Ich hätte ihn meiner Tage nicht wieder erkannt. Ist der verändert! …
– Natürlich! es sind fast zehn Jahre, dass Sie ihn nicht gesehen haben, es hat sich seitdem viel mit ihm geändert.
– Ich glaubte, er wäre gänzlich hergestellt, sagte der Doctor spitz, weil man mich seit seiner Rückkehr kein einziges Mal hat rufen lassen.
– Ach, bester Doctor! Sie wissen, dass Albert sich den Vorschriften der Kunst nie hat fügen wollen.
– Und nun ist er selber Arzt, wie ich sehe?
– Er versteht von allem etwas, aber er behandelt alles mit seiner ungestümen Art. Der schreckliche Zustand, worin er dieses junge Mädchen sah, hat ihn sehr aufgeregt, sonst würden Sie ihn gewiss höflicher, vernünftiger und erkenntlicher für die Bemühungen, die Sie ihm in seiner Kindheit widmeten, gefunden haben.
– Ich besorge, dass er sie jetzt nötiger hat als jemals, entgegnete der Doctor, der, ungeachtet seines Respekts vor der Familie und dem Schlosse, doch lieber dem Stiftsfräulein durch diese harte Äußerung wehe tun, als seine verächtliche Haltung aufgeben und der kleinen Rache, Albert als einen Tollen zu behandeln, entsagen wollte.
Das Stiftsfräulein empfand diese Grausamkeit umso schmerzlicher, als sie zugleich bedachte, dass der Ärger den Doktor verleiten konnte, den Zustand ihres Neffen, den sie so sorgfältig zu verheimlichen suchte, überall bekannt zu machen. Um ihn zu entwaffnen, verschluckte sie ihre Empfindlichkeit und fragte ihn bescheidentlich, was er von dem Aderlasse dächte, den Albert angeraten hatte.
– Ich denke, dass es in dem Augenblick eine Dummheit ist, sagte der Doctor, welcher sich die Initiative und seinem verehrten Munde den entscheidenden Ausspruch durchaus vorbehalten wollte. Ich werde ein Stündchen warten, oder zwei, ich werde die Kranke nicht aus den Augen lassen, und wenn der Augenblick gekommen sein wird, wäre es auch eher als ich jetzt vermuten kann, so werde ich handeln; aber in der gegenwärtigen Krisis erlaubt mir die Beschaffenheit des Pulses noch nicht, etwas Bestimmtes zu tun.
– Sie bleiben also? Gesegnet sollen Sie sein, prächtiger Doctor!
– Bei so bewandten Sachen, da mein Widersacher der junge Graf ist, sagte der Doctor mit einem vornehm bemitleidenden Lächeln, so wundre ich mich weiter über nichts und lasse ihn reden.
Er wollte eben wieder in Consuelo’s Zimmer gehen, dessen Türe der Kaplan, damit Albert das Gespräch nicht höre, zugemacht hatte, als der Kaplan ganz bleich und verstört von der Kranken herauskam, und zu dem Doctor eilte.
– Um Gottes willen, Doctor! rief er, kommen Sie, gebrauchen Sie Ihr Ansehen! das meinige gilt bei dem Grafen Albert nichts mehr, und ich glaube, wenn Gott selbst vom Himmel käme, würde er nicht danach fragen. Er hat sich darauf gesetzt, der Sterbenden zur Ader zu lassen, Ihrem Verbot zum Trotze, und er wird es wahrhaftig tun, wofern es uns nicht so oder so gelingt, ihn abzuhalten. Weiß der Himmel, ob er je eine Lanzette in der Hand gehabt hat. Er wird sie verstümmeln, wenn er sie nicht gar auf der Stelle durch eine unzeitige Blutentziehung tötet.
– Nun seh’ Eins! sagte der Doctor in läppischem Tone,