Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Prosa, Reportagen, Gedichte. Kurt Tucholsky

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Название Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Prosa, Reportagen, Gedichte
Автор произведения Kurt Tucholsky
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783954185214



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von Billie. Wie rund ihr Gesicht war, wie rund. »Ge … Geweihe –!« schrie Billie. »Geweihe! Für Jagdtrophäen! Siehst du, das haben wir vorhin nicht gewußt! Aber wohin gehört chrys – chrys …« – »Ich auch!« Nun lag ich halb auf dem Bett, bei der Prinzessin, und starrte angestrengt auf die Bleistiftschreiberei. »Chrysopras!« sagte ich plötzlich. »Chrysopras! Gebt mal her!« Die beiden schwiegen bewundernd, und ich genoß meine lexikalische Bildung. Wir horchten. Ein Windstoß fuhr gegen die Scheiben, draußen trommelte der Nachtregen.

      »Kalt ist das …«, sagte ich. »Komm zu mir!« sagte die Prinzessin. »Du erlaubst doch, Billie?« Billie erlaubte. Ganz still lag ich neben der Prinzessin.

      »Gestalt aus Shakespeares Sturm …« Allmählich rann die Wärme Lydias zu mir herüber. Mir lief etwas leise den Rücken hinunter. Billie rauchte und sah an die Decke. Ich legte meine Hand hinüber – sie nahm sie und streichelte mich sanft. Ihr Ring blitzte matt. Noch lagen wir beieinander wie junge Tiere – wohlig im Zusammensein und froh, daß wir beisammen waren: ich in der Mitte, wie geborgen. Billie fing an, in der Kehle zu knurren. »Was knurrst du da?« sagte Lydia. »Ich knurre«, sagte Billie. Gestalt aus Shakespeares Sturm … War es das Wort? Das Wort Sturm? Wenn Bienen andre Bienen zornig summen hören, werden sie selber zornig. War es das Wort Sturm? Oben in den Schulterblättern begann es, ich dehnte mich ein ganz klein wenig, und die Prinzessin sah mich an. »Was hast du?« Niemand sagte etwas. Billie knackte mit meinen Nägeln. Wir hatten das Blatt sinken lassen. Es war ganz still.

      »Gib mal Billie einen Kuß!« sagte die Prinzessin halblaut. Mein Zwerchfell hob sich – ist das der Sitz der Seele? Ich richtete mich auf und küßte Billie. Erst ließ sie mich nur gewähren, dann war es, wie wenn sie aus mir tränke. Lange, lange … Dann küßte ich die Prinzessin. Das war wie Heimkehr aus fremden Ländern.

      Sturm!

      Als Zephir begann es – wir waren »außer uns«, denn jeder war beim andern. Es war ein Spiel, kindliche Neugier, die Freude an einer fremden Brust … Ich war doppelt, und ich verglich; drei Augenpaare sahen. Sie entfalteten den Fächer: Frau. Und Billie war eine andre Billie. Ich sah es mit Staunen.

      Ihre Züge, diese immer ein wenig fremdartigen Züge, lösten sich; die Augen waren feucht, ihre Gespanntheit wich, und sie dehnte sich … Der Pyjama erblühte bunt. Nichts war verabredet, alles war wie gewohnt – als müßte es so sein. Und da verloren wir uns.

      Es war, wie wenn jemand lange mit seinem Bobsleigh am Start gestanden hatte, und nun wurde losgelassen – da sauste der Schlitten zu Tal! Wir gaben uns jenem, der die Menschen niederdrückt und aufhebt, zum tiefsten und höchsten Punkt zugleich … ich wußte nichts mehr. Lust steigerte sich an Lust, dann wurde der Traum klarer, und ich versank in ihnen, sie in mir – wir flüchteten aus der Einsamkeit der Welt zueinander. Ein Gran Böses war dabei, ein Löffelchen Ironie, nichts Schmachtendes, sehr viel Wille, sehr viel Erfahrung und sehr viel Unschuld. Wir flüsterten; wir sprachen erst übereinander, dann über das, was wir taten, dann nichts mehr. Und keinen Augenblick ließ die Kraft nach, die uns zueinander trieb; keinen Augenblick gab es einen Sprung, es hielt an, eine starke Süße erfüllte uns ganz, nun waren wir bewußt geworden, ganz und gar bewußt. Vieles habe ich von dieser Stunde vergessen – aber eins weiß ich noch heute: wir liebten uns am meisten mit den Augen.

      »Mach das Licht aus!« sagte Lydia. Das Licht erlosch, erst die große Krone im Zimmer, dann das Lämpchen auf dem Nachttisch.

      Wir lagen ganz still. Am Fenster war ein schwacher Schein. Billies Herz klopfte, sie atmete stark, die Prinzessin neben mir rührte sich nicht. Aus den Haaren der Frauen stieg ein Duft auf und mischte sich mit etwas Schwachem, was die Blumen sein mochten oder das Parfüm. Sanft löste sich Billies Hand aus der meinen. »Geh«, sagte die Prinzessin, fast unhörbar.

      Da stand ich nebenan im Zimmer Billies und sah vor mich hin. Kikeriki – machte es ganz leise in mir, aber das war gleich vorbei, und ein starkes Gefühl der Zärtlichkeit wehte zu denen da hinüber. Ich legte mich nieder.

      Sprachen sie? Ich konnte es nicht hören. Ich stand wieder auf und kroch unter die Dusche. Eine süße Müdigkeit befiel mich – und ein fast zwanghafter Trieb, hinzugehn und ihnen Rosen auf die Decke … wo bekommt man denn jetzt nachts Rosen her … das ist ja – Jemand war an der Tür.

      »Du kannst gute Nacht sagen!« sagte die Prinzessin. Ich ging hinein.

      Billie sah mich lächelnd an; das Lächeln war sauber. Die Prinzessin lag neben ihr, so still. Zu jeder ging ich, und jede küßte ich leise auf den Mund. »Gute Nacht …« und »Gute Nacht …« Kräftig rauschten draußen die Bäume. Eine Sekunde stand ich noch am Bett.

      »Wie ist denn das alles so plötzlich gekommen?« sagte die Prinzessin leise.

      Fünftes Kapitel

      Das war ein Wurf! sagte Hans –

      da warf er seine Frau zum Dachfenster hinaus.

1

      Einer von den Tagen, wie sie sonst nur im Spätsommer vorkommen: bunt, gesättigt und windstill. Wir lagen am Seeufer.

      Ein paar Meter vor uns schaukelte ein Boot, unser Badeboot – das Wasser gluckste leise gegen das Holz, auf und ab, auf und ab … Wenn man die Hand ins Wasser hielt, gab das ein winziges Kältegefühl, dann zog man sie wieder heraus, und dann trockneten die Tropfen in der Luft. Ich rauchte einen Grashalm, die Prinzessin hielt die Augen geschlossen. »Heute ist vorgestern«, sagte sie. Das war so ihre Art der Zeitrechnung; da wir übermorgen fortfahren wollten, so war heute vorgestern.

      »Wo mag sie jetzt sein?« fragte ich. Die Prinzessin sah auf die Uhr: »Jetzt ist sie zwischen Malmö und Trälleborg«, sagte sie; »in einer Stunde steigt sie auf die Fähre.« Dann schwiegen wir wieder. Billie – dachte ich – Billie …

      Sie war abgefahren: leise, heiter, froh – und es war nichts gewesen, es war nichts gewesen. Ich war glücklich; es hatte keinen Schatten gegeben. Gott sei Dank nein. Ich sah zur Prinzessin hinüber. Sie mußte den Blick gespürt haben; sie öffnete die Augen.

      »Wo bleibt die Frau Collin? Watt seggst to det Ei? Hett de Katt leggt!«

      Die Frau Collin hatte nicht geschrieben – und wir wollten doch fort. Wir mußten fort; unser Urlaub war abgelaufen. Noch einmal telephonieren? Schließlich und endlich … »Diese dämliche Person«, schimpfte ich vor mich hin. »Man muß doch das Gör da herauskriegen! Himmelhergottdonner …« – »Daddy, du repräsentierst ein Volk!« sagte die Prinzessin würdevoll, als ob uns die schwedischen Bäume hören könnten. »Du sollst des Anstands gedenk sein!« Ich sagte ein zweisilbiges Wort. Woraufhin mich die Prinzessin mit etwas Mälarsee anspritzte. Und da wollte ich sie in den See werfen. Und da lag ich drin.

      Ich pustete sie mit Wasser voll wie ein Elefant, sie warf mir Hölzchen an den Kopf … dann legte sich das alles. Ich kroch heran, und wieder saßen wir friedlich zusammen.

      »Was machen wir aber wirklich?« fragte ich triefend. »Warten? Wir können nun nicht mehr warten! Du mußt am Dienstag zu Hause sein, und auf mich lauern sie auch. Mal muß der Mensch doch wieder arbeiten! Hier vertue ich meine kostbare Zeit mit dir …« Sie hob drohend den Arm. Ich rückte ein Stückchen weg. »Ich meinte nur. Aber wollen wir telephonieren? Ja?«

      »Nun wollen wir erst mal zu Ende baden«, sagte die Prinzessin. »Wenn wir nachher nach Gripsholm kommen, werde ich dir alles sagen. Holla – hopp!«

      Und wir schwammen.

      »Paß auf –«, pustete ich dazwischen, »sie wird es nicht tun, die Frau Collin. Wahrscheinlich hat sie sich das überlegt – ich hatte so den Eindruck, daß sie den kleinen Gegenstand gar nicht bei sich haben will – vielleicht führt sie ein uhrenhaftes Leben …« Die Prinzessin kniff mich ins Bein. »Oder sie traut uns nicht und denkt, wir werden das Kind entführen. Aber der Frau Adriani hat sie getraut. Na, du wirst es sehen! Diese Weiber! Aber das sage ich dir, Alte: wenn sie heute nicht schreibt! Nie wieder in meinem Leben kümmere ich mich um fremde Kinder. Um fremde nicht! Um deine auch nicht! Um meine auch nicht! Himmelkreuzund …« – »Daddy«, sagte die Prinzessin. »Solang as ich dir kenn, hältst du ümme weise Redens über das, wasse tun wirst, und mehrstenteils kommt nachher allens