Название | Jüdisches Leben in Wort und Bild |
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Автор произведения | Леопольд фон Захер-Мазох |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4064066112219 |
Der alte Rabbi erinnerte sich auch des Tages, wo es zu der verhängnissvollen Auseinandersetzung mit seinem Sohne kam. Er sah ihn in diesem Augenblicke vor sich mit seinen leicht gerötheten Wangen und seinen leuchtenden Augen. Jedes der harten Worte, die er damals im Zorn herausgestossen, war noch in seinem Gedächtniss geblieben, und er hörte in dieser einsamen Stunde der Verlassenheit noch einmal die Antwort seines Simon, der ruhig und ehrerbietig, aber muthig und begeistert wie ein Prophet sprach:
»Der Jude«, rief er zuletzt, »hat sich die unglückliche Lage, in der er sich heute noch in den östlichen Ländern befindet, nicht selbst geschaffen; er wurde durch seine Verfolger in die engen, finsteren Strassen des Ghetto gesperrt und von jeder Arbeit, jedem anderen Berufe ausgeschlossen, gezwungen sich ausschliesslich dem Handel zu widmen. Es ist aber unsere Schuld, wenn wir heute diese zweite babylonische Gefangenschaft verlängern, die Ketten sind gesprengt, die Schranken gefallen. Wer es mit seinem Volk, seinem Glauben ehrlich meint, der verlasse diese finstren Winkel, in denen nur ein kleinlicher, engherziger Geschäftsgeist zu blühen vermag, oder eine düstre, grillenhafte, unfruchtbare Wissenschaft. Heute liegt das Feld der geistigen Arbeit offen vor uns, offen jede Art menschlicher Thätigkeit. In Odessa haben erleuchtete Männer unseres Stammes sich an die Spitze einer Bewegung gestellt, welche den Juden vor allem zu der Landwirthschaft, zum Ackerbau zurückführen soll, welche das Volk Israel im gelobten Lande glücklich und mächtig gemacht hat.
Ich will nicht mein Leben bei den Büchern versitzen, ich will nicht handeln und feilschen in einem dunklen Gewölbe, ich brauche Luft und Licht, und ich will selbst meinen Acker bestellen wie Boas.«
Der Vater blieb seinen Bitten verschlossen wie seinen Gründen, und als der Sohn bei seinem Entschluss beharrte, hatte er schon den Fluch auf den Lippen, aber er sprach ihn gottlob nicht aus.
Dieselbe Nacht hatte sein Sohn die Stadt verlassen, und Darka war mit ihm entflohen.
Seither, seit mehr als zehn Jahren, hatte man nichts von ihm gehört.
Die Lampen brannten trüber, der Nebel um ihn wurde dichter, seine Augen schienen zu erlöschen. Der alte Rabbi barg sein Gesicht in den Händen und heisse Thränen flossen seine Wangen herab.
Da ging leise, ganz leise die Thüre, ein Schritt liess sich vernehmen, so sanft und zaghaft wie vormals jener seines Weibes, und dann zupfte es am Aermel, erst furchtsam und dann immer dringender.
Rabbi Abdon liess die Hände sinken und hob den Kopf. Träumte er noch weiter oder war es eine selige Vision? Vor ihm stand ein Knabe, gross und schön – Simon – sein Sohn – wie er in jenen Tagen gewesen war, als der Greis sich abgemüht hatte ihn beim Talmud und der Kabbalah festzuhalten. Langsam, immer von der Furcht geleitet, das schöne Bild könnte zerfliessen wie der Nebel, wie die Phantome, die seine Erinnerung ihm vorzauberte, hob Rabbi Abdon die zitternde Hand und berührte den Knaben.
Nein es war kein Schemen, er lebte. Der Greis, welcher die Arme nach ihm ausbreitete, um ihn zu segnen, um ihn an sein Herz zu ziehen, sprach feierlich den Namen des Ewigen aus, des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs und begann dann laut zu schluchzen.
Durch die offene Thür stürzte jetzt Simon herein und zu den Füssen seines Vaters, der den verlorenen Sohn stumm an seine Brust drückte. Darka folgte, ein kleines Mädchen an der Hand und ein zweites auf dem Arme.
Als Simon aufstand, staunte ihn der Rabbi an, er stand so gross, so kräftig vor ihm in seinen hohen Stiefeln, seinem rothen Hemde und seinem langen Tuchrock, und wie schön kleidete das junge jüdische Weib der gestickte Lammpelz und der Kokoschnik der russischen Bäuerin.
»Deine Kinder!« sprach Rabbi Abdon. Es waren die ersten Worte, die über seine Lippen kamen.
»Ja, Vater, dies ist Simon, der älteste, er hilft mir schon säen und führt die Pferde, wenn ich pflüge, und er liest auch schon die Thora und den Talmud.«
»Ihr habt Land gekauft? womit?« fragte der Rabbi.
»Aus dem Erlös unserer Arbeit«, erwiderte Simon, »wir haben gepflügt, gesäet, geerntet und gespart, und heute sind wir reiche Bauern.«
»Und es wird Dir nicht schwer, Dein Feld zu bestellen?« forschte der Greis, »kann Dein Körper es aushalten?«
»Vater, ich war auch Soldat«, rief Simon stolz, »ich habe mich gegen die Türken in Asien geschlagen und war dabei, als Grenadier, an dem Tag der Ehren, wo wir Russen die Festung Kars mit Sturm nahmen.«
»Wir sind gekommen, um Dich zu holen, Vater«, sprach jetzt Darka mit einem herzlichen Lächeln.
»Ja, Grossvater«, rief der Enkel, der zwischen seinen Knieen stand, »ich habe schon eine Laube für Dich gebaut vor dem Hause, dort werden wir zusammen die Haggadoths lesen, willst Du?«
»Ob ich will?« rief der Greis, »gewiss will ich, Simonchen.«
Heute wohnt Rabbi Abdon bei seinen Kindern und mitten unter seinen Enkeln. Die Gesetzrollen, der Talmud, der Sohar und der Ilan haben die Reise mitgemacht, er sitzt aber lieber in der Laube vor dem Hause, die der kleine Simon ihm erbaut hat und noch lieber in dem Haus aus Garben, das der Knabe ihm aufrichtet jedesmal, wenn die Ernte begonnen hat. Dann leuchtet der blaue Himmel über ihm, um ihn wehen die Halme und Gräser, klingen die Sicheln, die Lieder der Schnitter, und er sitzt mitten in dem Segen mit seinem Talmud, ein Patriarch.
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