Название | Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) |
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Автор произведения | Ðртур Шницлер |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027209330 |
Er stand oben am Gartengitter und sah zum Waldesrande auf, zu seiner Bank, auf der er oft geruht hatte, und ihm war, als wäre auch Wald und Wiese und Bank früher sein Besitz gewesen und er müsse nun auch das hergeben, wie so vieles andere. Im Winkel des Gartens stand ein dunkelgraues, vernachlässigtes Lusthäuschen mit drei kleinen Fensterhöhlen und einer schmalen Türöffnung. Er hatte es nie leiden mögen und nur einmal auf ein paar Augenblicke betreten. Heute zog es ihn hinein. Er setzte sich auf die rissige Bank hin und kam sich plötzlich geborgen und beruhigt vor, als wäre nun alles, was geschehen, weniger wahr oder in irgendeiner unbegreiflichen Weise rückgängig zu machen. Doch schwand dieser Wahn bald wieder dahin, er verließ den unwirtlichen Raum und trat ins Freie. Ich muß jetzt wohl ins Haus zurück, dachte er müde und faßte es doch nicht ganz, daß in dem dunkeln Zimmer, das er von hier aus hinter der Veranda, wie eine unergründliche Finsternis liegen sah, der Leichnam seines Kindes ruhen sollte. Langsam ging er hinab. Auf der Veranda stand Annas Mutter mit einem Herrn. Georg erkannte den alten Rosner. Im Überzieher stand er da, den Hut hatte er auf den Tisch vor sich hingelegt, fuhr sich mit einem Taschentuch über die Stirn, und es zuckte um seine rotgeränderten Augen. Er ging Georg entgegen und drückte ihm die Hand.»Das ist ja leider anders gekommen«, sagte er, »als wir alle erwartet und gehofft hatten.«
Georg nickte. Dann erinnerte er sich, daß der alte Herr in den letzten Wochen mit dem Herzen nicht ganz in Ordnung gewesen war, und erkundigte sich nach seinem Befinden.
»Ich danke der Nachfrage, Herr Baron, es geht mir etwas besser, nur das Stiegensteigen macht einige Beschwerden.«
Georg merkte, daß die Glastüre zum Mittelzimmer geschlossen war. »Entschuldigen Sie«, sagte er zu dem alten Rosner, schritt geradenwegs auf die Türe los, öffnete sie und schloß sie rasch wieder hinter sich zu. Frau Golowski und Doktor Stauber standen in der Nähe des Tisches und sprachen miteinander. Er trat zu ihnen, sie schwiegen plötzlich.
»Nun?« fragte er dann.
Doktor Stauber sagte: »Wir haben über… die Formalitäten gesprochen. Frau Golowski wird so gut sein und all das zu besorgen.«
»Ich danke«, erwiderte Georg und reichte Frau Golowski die Hand. »All das«, dachte er. Ein Sarg, ein Begräbnis, Meldung beim Gemeindeamt: geboren ein Sohn der ledigen Anna Rosner, gestorben am gleichen Tage. Nichts vom Vater natürlich. Ja, seine Rolle war erledigt. Heut erst? War sie’s nicht von der Sekunde an gewesen, da er zufällig Vater geworden war?
Er sah auf den Tisch hin. Das Linnen lag über die kleine Leiche hingebreitet. O wie rasch, dachte er bitter. Soll ich’s niemals wiedersehen dürfen? Einmal wird’s wohl noch erlaubt sein. Er zog das Tuch von der Leiche ein wenig fort und hielt es in die Höhe gefaßt. Er sah ein blasses Kindergesicht, das ihm längst bekannt war, nur daß die Augen seither von irgendwem zugedrückt worden waren. Die alte Standuhr in der Ecke tickte. Sechs Uhr. Es war noch keine Stunde vergangen, seit sein Kind geboren und gestorben war; und schon stand diese Tatsache so unwidersprechlich fest, als hätte es gar nicht anders sein können.
Er fühlte sich leicht an der Schulter berührt.
»Sie hat es mit Ruhe aufgenommen«, sagte Doktor Stauber, der hinter ihm stand.
Georg ließ das Linnen über das Antlitz des Kindes sinken und wandte den Kopf nach der Seite. »Sie weiß also schon…?«
Doktor Stauber nickte. Frau Golowski hatte sich abgewandt.
»Wer hat’s ihr gesagt?« fragte Georg.
»Man hat es ihr gar nicht zu sagen brauchen«, erwiderte Doktor Stauber. »Nicht wahr?« wandte er sich an Frau Golowski.
Diese berichtete: »Wie ich zu ihr hineingegangen bin, hat sie mich nur angeschaut, und da hab ich gleich gesehen, daß sie es schon weiß.«
»Und was hat sie gesagt?«
»Nichts. Gar nichts. Sie hat ihre Augen zum Fenster hin gewandt und ist ganz still gewesen. Wo Sie hingegangen sind, Herr Baron, hat sie mich gefragt, und was Sie machen.«
Georg atmete tief auf. Die Türe von Annas Zimmer öffnete sich. Der Professor, im schwarzen Rock, trat heraus. »Sie ist ganz ruhig«, sagte er zu Georg. »Sie können zu ihr hinein.«
»Hat sie mit Ihnen darüber gesprochen?« fragte Georg.
Der Professor schüttelte den Kopf. Dann sagte er: »Ich muß jetzt leider in die Stadt. Sie entschuldigen, nicht wahr? Ich hoffe, es wird weiter gut gehen.