Название | Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) |
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Автор произведения | Ðртур Шницлер |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027209330 |
»Das ist aber wirklich eine Überraschung«, sagte er und reichte ihr die Hand. Sie hätte ihn allein an dem harten, hageren Griff seiner Finger erkannt. »Ja, wie kommst denn du daher?«
»Ich war zufällig in der Vorstellung und hab’ dich gesehen.« Sie hielt inne.
»Und mich wiedererkannt?« – »Selbstverständlich. Du hast dich ja kaum verändert.« – »Du eigentlich auch nicht besonders.« Er faßte sie beim Kinn und starrte ihr ins Gesicht mit glasigen Augen. Sein Atem roch nach saurem Bier. »Also, das ist wirklich die Therese. Nein, daß wir zwei uns wieder einmal begegnen. Wie ist es dir denn immer ergangen, Therese?«
Sie fühlte immer noch das Lächeln auf ihren Lippen; sie konnte es gar nicht wegbringen, obwohl es kaum etwas zu bedeuten hatte. »Das ist nicht so einfach zu erzählen, wie es mir ergangen ist.«
»Freilich, freilich«, bestätigte er. »Es ist ja schon eine halbe Ewigkeit, daß wir uns nicht gesehen haben.«
Sie nickte. »Zwanzig Jahre bald.«
»Ja, da kann viel passieren, in zwanzig Jahren. Du bist jedenfalls verheiratet, – hast Kinder?«
»Eins.«
377 »So, so, ich hab’ vier.«
»Vier?«
»Ja, zwei Buben und zwei Mädeln. Aber wollen wir nicht weitergehen? Es wird einem im Stehen so kalt.«
Sie nickte. Plötzlich fühlte sie wieder, daß sie in den Füßen fror.
»Wo wartet denn deine Begleitung?« fragte er dann, plötzlich wieder innehaltend. – Sie sah ihn verständnislos an. – »Du bist doch nicht allein in dem Lokal dadrin gewesen? Mit dem Herrn Gemahl wahrscheinlich?«
»Nein. Mein Herr Gemahl ist leider tot. Schon lang. Ich war mit Bekannten, sie haben aber schon früher fortgehen müssen.«
»Das sind nicht sehr höfliche Bekannte. Also kann ich dich vielleicht zu der nächsten Tramwayhaltestelle begleiten?«
Sie gingen die Straße hinab, Therese Fabiani und Kasimir Tobisch, wie sie vor zwanzig Jahren manche Straße hinauf und hinab gegangen waren, und hatten einander nicht sehr viel zu erzählen. »Das ist aber wirklich eine Überraschung«, begann Kasimir von neuem. »Also verheiratet, vielmehr verwitwet bist du?« Und sie sah, wie er von der Seite ihren Frühjahrsmantel einigermaßen prüfend betrachtete. Und sein Blick trübte sich ein wenig, als er an ihr herunterstreifte und an ihren Schuhen haften blieb. Und rasch sagte sie: »Ich habe gar nicht gewußt, daß du auch Cello spielen kannst.«
»Aber geh.«
»Damals warst du doch Maler?«
»Maler und Musikus. Ich bin auch noch immer Maler, das heißt, jetzt mehr Anstreicher, um die 378 Wahrheit zu sagen. Man braucht ja einen Nebenverdienst.«
»Das kann ich mir denken – mit vier Kindern muß es nicht leicht sein.«
»Zwei davon sind schon erwachsen. Der Älteste ist Gehilfe bei einem Zahntechniker.« – »Wie alt ist er denn?« – »Zweiundzwanzig wird er den Monat.« – »Wie?«
Nun standen sie an der Tramwayhaltestelle.
»Zweiundzwanzig –? Da warst du ja schon verheiratet, wie wir uns kennengelernt haben.« Sie lachte hell auf.
»O je«, meinte er und lachte mit. »Mir scheint gar, jetzt hab’ ich mich verplauscht.«
»Macht nichts«, sagte sie. Und tatsächlich hatte seine Mitteilung sie kaum bewegt. Sie dachte einfach: Also damals schon hat er eine Frau gehabt und ein Kind. Darum wohl die Flucht und der falsche Name. Denn das war ihr nun ganz klar, Kasimir Tobisch hatte er nie wirklich geheißen. Wie hieß er denn nur, dieser Mann? Wer war er denn eigentlich, dieser Mann, neben dem sie da einherging und von dem sie einen Sohn hatte, der im Inquisitenspital lag und mit dem sie ihn hatte bekanntmachen wollen. Sie hätte ihn ja jetzt um seinen wahren Namen fragen können, und er hätte ihr vielleicht sogar die Wahrheit geantwortet, aber es war ihr über alle Maßen gleichgültig, wie er hieß, ob er Maler war oder Cellospieler oder Anstreicher, ob er vier Kinder hatte oder zehn. Ein dummer, armer Teufel war er jedenfalls und wußte es nicht einmal. Da war sie gewissermaßen noch besser dran.
»Da kommt grad eine Tram«, sagte er und atmete sichtlich auf.
379 »Ja, da kommt eine«, wiederholte sie heiter. Aber nun tat es ihr mit einem Male leid, daß dieses Wiedersehen vorüber war und daß Kasimir Tobisch, wie er auch hieße, für sie wieder verschwinden sollte unter andern Namenlosen – für immer. Die Tramway hielt, aber sie stieg nicht ein, obwohl sein Blick sie freundlich dazu einlud. Und sie sprach: »Ich hätte dich eigentlich gern ein bißchen länger gesprochen. Willst du mich nicht einmal besuchen?«
Er sah sie an. Oh, er nahm sich keineswegs Mühe, sich zu verstellen; ganz deutlich las sie in seinem Blick: Besuchen? wozu denn? Als Weib kommst du doch nicht mehr in Betracht für mich, und auf deinen Frühjahrsmantel fall’ ich dir nicht hinein. Aber er schien doch