Parerga und Paralipomena. Arthur Schopenhauer

Читать онлайн.
Название Parerga und Paralipomena
Автор произведения Arthur Schopenhauer
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788026825999



Скачать книгу

nicht mit aufzählen können, weil, meines Erachtens, Fichte, Schelling und Hegel keine Philosophen sind, indem ihnen das erste Erforderniß hiezu, Ernst und Redlichkeit des Forschens, abgeht. Sie sind bloße Sophisten: sie wollten scheinen, nicht seyn, und haben nicht die Wahrheit, sondern ihr eigenes Wohl und Fortkommen in der Welt gesucht. Anstellung von den Regierungen, Honorar von Studenten und Buchhändlern und, als Mittel zu diesem Zweck, möglichst viel Aufsehn und Spektakel mit ihrer Scheinphilosophie, – Das waren die Leitsterne und begeisternden Genien dieser Schüler der Weisheit. Daher bestehn sie nicht die Eintrittskontrole und können nicht eingelassen werden in die ehrwürdige Gesellschaft der Denker für das Menschengeschlecht.

      Inzwischen haben sie in Einer Sache excellirt, nämlich in der Kunst, das Publikum zu berücken und sich für Das, was sie nicht waren, geltend zu machen; wozu unstreitig Talent gehört, nur nicht philosophisches. Daß sie hingegen in der Philosophie nichts Wirkliches leisten konnten, lag, im letzten Grunde, daran, daß ihr Intellekt nicht frei geworden, sondern im Dienste des Willens geblieben war: da kann er zwar für diesen und dessen Zwecke außerordentlich viel leisten, für die Philosophie hingegen, wie für die Kunst, nichts. Denn diese machen gerade zur ersten Bedingung, daß der Intellekt bloß aus eigenem Antriebe thätig sei und, für die Zeit dieser Thätigkeit, aufhöre, dem Willen dienstbar zu seyn, d. h. die Zwecke der eigenen Person im Auge zu haben. Er selbst aber, wenn allein aus eigenem Triebe thätig, kennt, seiner Natur nach, keinen andern Zweck, als eben nur die Wahrheit. Daher reicht es, um ein Philosoph, d. h. ein Liebhaber der Weisheit (die keine andere als die Wahrheit ist) zu seyn, nicht hin, daß man die Wahrheit liebe, soweit sie mit dem eigenen Interesse, oder dem Willen der Vorgesetzten, oder den Satzungen der Kirche, oder den Vorurtheilen und dem Geschmack der Zeitgenossen, vereinbar ist: so lange man es dabei bewenden läßt, ist man nur ein φιλαυτος, kein φιλοσοφος. Denn dieser Ehrentitel ist eben dadurch schön und weise ersonnen, daß er besagt, man liebe die Wahrheit ernstlich und von ganzem Herzen, also unbedingt, ohne Vorbehalt, über Alles, ja, nöthigenfalls, Allem zum Trotz. Hievon nun aber ist der Grund eben der oben angegebene, daß der Intellekt frei geworden ist, in welchem Zustande er gar kein anderes Interesse auch nur kennt und versteht, als das der Wahrheit: die Folge aber ist, daß man alsdann gegen allen Lug und Trug, welches Kleid er auch trage, einen unversöhnlichen Haß faßt. Damit wird man freilich es in der Welt nicht weit bringen; wohl aber in der Philosophie. – Hingegen ist es, für diese, ein schlimmes Auspicium, wenn man, angeblich auf die Erforschung der Wahrheit ausgehend, damit anfängt, aller Aufrichtigkeit, Redlichkeit, Lauterkeit, Lebewohl zu sagen, und nur darauf bedacht ist, sich für Das geltend zu machen, was man nicht ist. Dann nimmt man, eben wie jene drei Sophisten, bald ein falsches Pathos, bald einen erkünstelten hohen Ernst, bald die Miene unendlicher Ueberlegenheit an, um zu imponiren, wo man überzeugen zu können verzweifelt, schreibt unüberlegt, weil man, nur um zu schreiben denkend, das Denken bis zum Schreiben aufgespart hatte, sucht jetzt palpable Sophismen als Beweise einzuschwärzen, hohlen und sinnleeren Wortkram für tiefe Gedanken auszugeben, beruft sich auf intellektuelle Anschauung, oder auf absolutes Denken und Selbstbewegung der Begriffe, perhorrescirt ausdrücklich den Standpunkt der Reflexion, d. h. der vernünftigen Besinnung, unbefangenen Ueberlegung und redlichen Darstellung, also überhaupt den eigentlichen, normalen Gebrauch der Vernunft, deklarirt demgemäß eine unendliche Verachtung gegen die Reflexionsphilosophie, mit welchem Namen man jeden zusammenhängenden, Folgen aus Gründen ableitenden Gedankengang, wie er alles frühere Philosophiren ausmacht, bezeichnet, und wird demnach, wenn man dazu mit genugsamer und durch die Erbärmlichkeit des Zeitalters ermuthigter Frechheit ausgestattet ist, sich etwan so darüber auslassen: es ist nicht schwer einzusehn, daß die Manier, einen Satz aufzustellen, Gründe für ihn anzuführen, und den entgegengesetzten durch Gründe eben so zu widerlegen, nicht die Form ist, in der die Wahrheit auftreten kann. Die Wahrheit ist die Bewegung ihrer an sich selbst u. s. w. (Hegel, Vorrede zur Phänomenologie des Geistes, S. LVII, in der Gesammtausgabe S. 36.) Ich denke, es ist nicht schwer einzusehn, daß wer Dergleichen voranschickt, ein unverschämter Scharlatan ist, der die Gimpel bethören will und merkt, daß er an den Deutschen des 19. Jahrhunderts seine Leute gefunden hat.

      Wenn man also demgemäß, angeblich dem Tempel der Wahrheit zueilend, die Zügel dem Interesse der eigenen Person übergiebt, welches seitabwärts und nach ganz andern Leitsternen blickt, etwan nach dem Geschmack und den Schwächen der Zeitgenossen, nach der Religion des Landes, besonders aber nach den Absichten und Winken der Regierenden, – o wie sollte man da den auf hohen, abschüssigen, kahlen Felsen gelegenen Tempel der Wahrheit erreichen! – Wohl mag man dann, durch das sichere Band des Interesses, eine Schaar recht eigentlich hoffnungsvoller, nämlich Protektion und Anstellungen hoffender Schüler an sich knüpfen, die zum Schein eine Sekte, in der That eine Faktion bilden, von deren vereinigten Stentorstimmen man nunmehr als ein Weiser ohne Gleichen in alle vier Winde ausgeschrien wird: das Interesse der Person wird befriedigt, das der Wahrheit ist verrathen.

      Aus diesem Allen erklärt sich die peinliche Empfindung, von der man ergriffen wird, wenn man, nach dem Studio der im Obigen durchmusterten wirklichen Denker, an die Schriften Fichtes und Schellings, oder gar an den, mit gränzenlosem, aber gerechtem Vertrauen zur deutschen Niaiserie, frech hingeschmierten Unsinn Hegels geht5. Bei Jenen hatte man überall ein redliches Forschen nach Wahrheit und ein eben so redliches Bemühen, ihre Gedanken Andern mitzutheilen, gefunden. Daher fühlt wer im Kant, Locke, Hume, Malebranche, Spinoza, Kartesius liest sich erhoben und von Freude durchdrungen: dies wirkt die Gemeinschaft mit einem edlen Geiste, welcher Gedanken hat und Gedanken erweckt. Das Umgekehrte von diesem Allen findet Statt, beim Lesen der oben genannten drei deutschen Sophisten. Ein Unbefangener, der ein Buch von ihnen aufmacht und dann sich frägt, ob Dies der Ton eines Denkers, der belehren, oder der eines Scharlatans, der täuschen will, sei, kann nicht fünf Minuten darüber in Zweifel bleiben: so sehr athmet hier Alles Unredlichkeit. Der Ton ruhiger Untersuchung, der alle bisherige Philosophie charakterisirt hatte, ist vertauscht gegen den der unerschütterlichen Gewißheit, wie er der Scharlatanerie in jeder Art und jeder Zeit eigen ist, die aber hier beruhen soll auf vorgeblich unmittelbarer, intellektualer Anschauung, oder absolutem d. h. vom Subjekt, also auch seiner Fehlbarkeit, unabhängigem Denken. Aus jeder Seite, jeder Zeile spricht das Bemühen, den Leser zu berücken, zu betrügen, bald ihn durch Imponieren zu verdutzen, bald ihn durch unverständliche Phrasen, ja durch baaren Unsinn, zu betäuben, bald ihn durch die Frechheit im Behaupten zu verblüffen, kurz, ihm Staub in die Augen zu streuen und ihn nach Möglichkeit zu mystifiziren. Daher kann die Empfindung, welche man bei dem in Rede stehenden Uebergange, in Hinsicht auf das Theoretische spürt, derjenigen verglichen werden, welche in Hinsicht auf das Praktische, Einer haben mag, der, aus einer Gesellschaft von Ehrenmännern kommend, in eine Gaunerherberge gerathen wäre. Welch ein würdiger Mann ist doch der von eben jenen drei Sophisten so gering geschätzte und verspottete Christian Wolf, in Vergleich mit ihnen! Er hatte und gab doch wirkliche Gedanken: sie aber bloße Wortgebilde, Phrasen, in der Absicht zu täuschen. Demnach ist der wahre unterscheidende Charakter der Philosophie dieser ganzen, sogenannten Nachkantischen Schule Unredlichkeit, ihr Element blauer Dunst und persönliche Zwecke ihr Ziel. Ihre Koryphäen waren bemüht, zu scheinen, nicht zu seyn: sie sind daher Sophisten, nicht Philosophen. Spott der Nachwelt, der sich auf ihre Verehrer erstreckt, und dann Vergessenheit warten ihrer. Mit der angegebenen Tendenz dieser Leute hängt, beiläufig gesagt, auch der zankende, scheltende Ton zusammen, der, als obligate Begleitung, überall Schellings Schriften durchzieht. – Wäre nun diesem Allen nicht so, wäre mit Redlichkeit, statt mit Imponiren und Windbeuteln zu Werke gegangen worden; so könnte Schelling, als welcher entschieden der Begabteste unter den Dreien ist, in der Philosophie doch den untergeordneten Rang eines vor der Hand nützlichen Eklektikers einnehmen; sofern er aus den Lehren des Plotinos, des Spinoza, Jakob Böhmes, Kants und der Naturwissenschaft neuerer Zeit ein Amalgam bereitet hat, das die große Leere, welche die negativen Resultate der Kantischen Philosophie herbeigeführt hatten, einstweilen ausfüllen konnte, bis ein Mal eine wirklich neue Philosophie herankäme und die durch jene geforderte Befriedigung eigentlich gewährte. Namentlich hat er die Naturwissenschaft unsers Jahrhunderts dazu benutzt, den Spinoza’schen abstrakten Pantheismus zu beleben. Spinoza nämlich, ohne alle Kenntniß der Natur, hatte bloß aus abstrakten Begriffen in den Tag hinein philosophirt und daraus, ohne die Dinge selbst eigentlich zu kennen, sein Lehrgebäude aufgeführt.