Parerga und Paralipomena. Arthur Schopenhauer

Читать онлайн.
Название Parerga und Paralipomena
Автор произведения Arthur Schopenhauer
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788026825999



Скачать книгу

liege, also dieser anhänge, indem der ganze Raum die bloße Form derselben sei; wonach denn unabhängig von unserm Vorstellen kein Ausgedehntes vorhanden seyn kann, und auch ganz gewiß nicht ist. Die Durchschnittslinie des Spinoza ist demnach ganz in die ideale Seite gefallen und er ist bei der vorgestellten Welt stehn geblieben: diese also, bezeichnet durch ihre Form der Ausdehnung, hält er für das Reale, mithin für unabhängig vom Vorgestelltwerden, d. h. an sich, vorhanden. Da hat er dann freilich Recht zu sagen, daß Das, was ausgedehnt ist, und Das, was vorgestellt wird, – d. h. unsere Vorstellung von Körpern und diese Körper selbst, – Eines und Dasselbe sei (P. II, pr. 7, schol.). Denn allerdings sind die Dinge nur als Vorgestellte ausgedehnt und nur als Ausgedehnte vorstellbar: die Welt als Vorstellung und die Welt im Raume ist una eademque res (ein und dasselbe): dies können wir ganz und gar zugeben. Wäre nun die Ausdehnung eine Eigenschaft der Dinge an sich; so wäre unsere Anschauung eine Erkenntniß der Dinge an sich: er nimmt es auch so an, und hierin besteht sein Realismus. Weil er aber diesen nicht begründet, nicht nachweist, daß unserer Anschauung einer räumlichen Welt eine von dieser Anschauung unabhängige räumliche Welt entspricht; so bleibt das Grundproblem ungelöst. Dies aber kommt eben daher, daß die Durchschnittslinie zwischen dem Realen und Idealen, dem Objektiven und Subjektiven, dem Ding an sich und der Erscheinung, nicht richtig getroffen ist: vielmehr führt er, wie gesagt, den Schnitt mitten durch die ideale, subjektive, erscheinende Seite der Welt, also durch die Welt als Vorstellung, zerlegt diese in das Ausgedehnte oder Räumliche, und unsere Vorstellung von demselben, und ist dann sehr bemüht zu zeigen, daß Beide nur Eines sind; wie sie es auch in der That sind. Eben weil Spinoza ganz auf der idealen Seite der Welt bleibt, da er in dem zu ihr gehörigen Ausgedehnten schon das Reale zu finden vermeinte, und wie ihm demzufolge die anschauliche Welt das einzige Reale ausser uns und das Erkennende (cogitans) das einzige Reale in uns ist; – so verlegt er auch andrerseits das alleinige wahrhafte Reale, den Willen ins Ideale, indem er ihn einen blossen modus cogitandi (Denkweise) seyn läßt, ja, ihn mit dem Urtheil identifizirt. Man sehe Eth. II. die Beweise der prop. 48 et 49, wo es heißt: per voluntatem intelligo affirmandi et negandi facultatem. – und wieder: concipiamus singularem aliquam volitionem, nempe modum cogitandi, quo mens affirmat, tres angulos trianguli aequales esse duobus rectis, worauf das Korollarium folgt: Voluntas et intellectus unum et idem sunt. – Ueberhaupt hat Spinoza den großen Fehler, daß er absichtlich die Worte mißbraucht zur Bezeichnung von Begriffen, welche in der ganzen Welt andere Namen führen, und dagegen ihnen die Bedeutung nimmt, die sie überall haben: so nennt er Gott, was überall die Welt heißt; das Recht, was überall die Gewalt heißt; und den Willen, was überall das Urtheil heißt. Wir sind ganz berechtigt, hiebei an den Hetman der Kosaken in Kotzebue’s Benjowsky zu erinnern. —

      Berkeley, wenn gleich später und schon mit Kenntniß Locke’s, ging auf diesem Wege der Kartesianer konsequent weiter und wurde dadurch der Urheber des eigentlichen und wahren Idealismus, d. h. der Erkenntniß, daß das im Raum Ausgedehnte und ihn Erfüllende, also die anschauliche Welt überhaupt, sein Daseyn als ein solches schlechterdings nur zu unserer Vorstellung haben kann, und daß es absurd, ja widersprechend ist, ihm als einem solchen noch ein Daseyn ausserhalb aller Vorstellung und unabhängig vom erkennenden Subjekt beizulegen und demnach eine an sich selbst existirende Materie anzunehmen2. Dies ist eine sehr richtige und tiefe Einsicht: in ihr besteht aber auch seine ganze Philosophie. Das Ideale hat er getroffen und rein gesondert; aber das Reale wußte er nicht zu finden, bemüht sich auch nur wenig darum und erklärt sich nur gelegentlich, stückweise und unvollständig darüber. Gottes Wille und Allmacht ist ganz unmittelbar Ursache aller Erscheinungen der anschaulichen Welt, d. h. aller unserer Vorstellungen. Wirkliche Existenz kommt nur den erkennenden und wollenden Wesen zu, dergleichen wir selbst sind: diese also machen, neben Gott, das Reale aus. Sie sind Geister, d. h. eben erkennende und wollende Wesen: denn Wollen und Erkennen hält auch er für schlechterdings unzertrennlich. Er hat mit seinen Vorgängern auch Dies gemein, daß er Gott für bekannter, als die vorliegende Welt, und daher eine Zurückführung auf ihn für eine Erklärung hält. Ueberhaupt legte sein geistlicher, sogar bischöflicher Stand ihm zu schwere Fesseln an und beschränkte ihn auf einen beengenden Gedankenkreis, gegen den er nirgends anstossen durfte; daher er denn nicht weiter konnte, sondern, in seinem Kopfe, Wahres und Falsches lernen mußte, sich zu vertragen, so gut es gehn wollte. Dies lässt sich sogar auf die Werke aller dieser Philosophen, mit Ausnahme des Spinoza, ausdehnen: sie alle verdirbt der jeder Prüfung unzugängliche, jeder Untersuchung abgestorbene, mithin wirklich als eine fixe Idee auftretende jüdische Theismus, der bei jedem Schritte sich der Wahrheit in den Weg stellt: so daß der Schaden, den er hier im Theoretischen anrichtet, als Seitenstück desjenigen auftritt, den er, ein Jahrtausend hindurch, im Praktischen, ich meyne in Religionskriegen, Glaubenstribunalen und Völkerbekehrungen durch das Schwerdt angerichtet hat.

      Die genaueste Verwandtschaft zwischen Malebranche, Spinoza und Berkeley ist nicht zu verkennen: auch sehn wir sie sämmtlich ausgehn vom Kartesius, sofern sie das von ihm in der Gestalt des Zweifels an der Existenz der Außenwelt dargelegte Grundproblem festhalten und zu lösen suchen, indem sie die Trennung und Beziehung der idealen, subjektiven, d. h. in unserer Vorstellung allein gegebenen, und der realen, objektiven, unabhängig davon, also an sich bestehenden Welt zu erforschen bemüht sind. Daher ist, wie gesagt, dieses Problem die Axe, um welche die ganze Philosophie neuerer Zeit sich dreht.

      Von jenen Philosophen unterscheidet nun Locke sich dadurch, daß er, wahrscheinlich weil er unter Hobbes’s und Bako’s Einfluß steht, sich so nahe als möglich an die Erfahrung und den gemeinen Verstand anschließt, hyperphysische Hypothesen möglichst vermeidend. Das Reale ist ihm die Materie, und ohne sich an den Leibnitzischen Skrupel über die Unmöglichkeit einer Kausalverbindung zwischen der immateriellen, denkenden und der materiellen, ausgedehnten Substanz zu kehren, nimmt er zwischen der Materie und dem erkennenden Subjekt geradezu physischen Einfluß an. Hiebei aber geht er, mit seltener Besonnenheit und Redlichkeit, so weit, zu bekennen, daß möglicherweise das Erkennende und Denkende selbst auch Materie seyn könne (on hum. underst. L. IV, c. 3, §. 6); was ihm später das wiederholte Lob des großen Voltaire, zu seiner Zeit hingegen die boshaften Angriffe eines verschmitzten anglikanischen Pfaffen, des Bischofs v. Worcester, zugezogen hat.3 Bei ihm nun erzeugt das Reale, d. i. die Materie, im Erkennenden, durch Impuls, d. i. Stoß, Vorstellungen, oder das Ideale (ibid. L. I, c. 8, §. 11). Wir haben also hier einen recht massiven Realismus, der, eben durch seine Exorbitanz den Widerspruch hervorrufend, den Berkeley’schen Idealismus veranlaßte, dessen spezieller Entstehungspunkt vielleicht Das ist, was Locke am Ende des 2. §. des 31. Kap. des 2. Buchs, mit so auffallend geringer Besonnenheit vorbringt und unter Anderm sagt: solidity, extention, figure, motion and rest, would be really in the world, as they are, whether there were any sensible being to perceive them, or not. (Undurchdringlichkeit, Ausdehnung, Gestalt, Bewegung und Ruhe würden, wie sie sind, wirklich in der Welt seyn, gleichviel ob es irgend ein empfindendes Wesen, sie wahrzunehmen, gäbe oder nicht.) Sobald man nämlich sich hierüber besinnt, muß man es als falsch erkennen: dann aber steht der Berkeley’sche Idealismus da und ist unleugbar. Inzwischen übersieht auch Locke nicht jenes Grundproblem, die Kluft zwischen den Vorstellungen in uns und den unabhängig von uns existirenden Dingen, also den Unterschied des Idealen und Realen: in der Hauptsache fertigt er es jedoch ab durch Argumente des gesunden, aber rohen Verstandes und durch Berufung auf das Zureichende unserer Erkenntniß von den Dingen für praktische Zwecke (ibid. L. IV, c. 4 et 9); was offenbar nicht zur Sache ist und nur zeigt, wie tief hier der Empirismus unter dem Problem bleibt. Nun aber führt eben sein Realismus ihn dahin, das in unserer Erkenntniß dem Realen Entsprechende zu beschränken auf die den Dingen, wie sie an sich selbst sind, inhärirenden Eigenschaften und diese zu unterscheiden von den bloß unsrer Erkenntniß derselben, also allein dem Idealen, angehörenden: demgemäß nennt er nun diese die sekundären, jene erstere aber die primären Eigenschaften. Dieses ist der Ursprung des später, in der Kantischen Philosophie, so höchst wichtig werdenden Unterschiedes zwischen Ding an sich und Erscheinung. Hier also ist der wahre genetische Anknüpfungspunkt der Kantischen Lehre an die frühere Philosophie, nämlich an Locke. Befördert und näher veranlasst wurde jene durch Hume’s skeptische