Название | Parerga und Paralipomena |
---|---|
Автор произведения | Arthur Schopenhauer |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026825999 |
Hingegen die Kritik der reinen Vernunft, mit ihren Beweisen a priori der Unmöglichkeit aller Gotteserkenntniß, ist ihnen Schnickschnack, durch den sie sich nicht irre machen lassen: sie wissen wozu sie dasind. Ihnen einzuwenden, daß sich nichts Unphilosophischeres denken läßt, als immerfort von etwas zu reden, von dessen Daseyn man erwiesenstermaaßen keine Kenntniß und von dessen Wesen man gar keinen Begriff hat, – ist naseweises Einreden: sie wissen wozu sie dasind. – Ich bin ihnen bekanntlich Einer, der tief unter ihrer Notiz und Aufmerksamkeit steht, und durch die gänzliche Nichtbeachtung meiner Werke haben sie an den Tag zu legen vermeint, was ich sei (wiewohl sie gerade dadurch an den Tag gelegt haben, was sie sind): daher wird es, wie Alles, was ich seit 35 Jahren vorgebracht habe, in den Wind geredet seyn, wenn ich ihnen sage, daß Kant nicht gescherzt hat, daß wirklich und im vollsten Ernst, die Philosophie keine Theologie ist, noch jemals seyn kann; daß sie vielmehr etwas ganz Anderes, von jener völlig Verschiedenes ist. Ja, wie bekanntlich jede andere Wissenschaft durch Einmischung von Theologie verdorben wird, so auch die Philosophie, und zwar am allermeisten; wie Solches die Geschichte derselben bezeugt: daß Dies sogar auch von der Moral gelte, habe ich in meiner Abhandlung über das Fundament derselben sehr deutlich dargethan; daher die Herren auch über diese mäuschenstill gewesen sind; getreu ihrer Taktik des passiven Widerstandes. Die Theologie nämlich deckt mit ihrem Schleier alle Probleme der Philosophie zu und macht daher nicht nur die Lösung, sondern sogar die Auffassung derselben unmöglich. Also, wie gesagt, die Kritik der reinen Vernunft ist ganz ernstlich der Kündigungsbrief der bisherigen ancilla theologiae gewesen, welche darin, Ein für alle Mal, ihrer gestrengen Gebieterin den Dienst aufgesagt hat. Seitdem hat nun diese sich mit einem Miethling begnügt, der die zurückgelassene Livree des ehemaligen Dieners, bloß zum Schein, gelegentlich anzieht; wie in Italien, wo dergleichen Substitute zumal am Sonntage häufig zu sehn und daher unter dem Namen der Domenichini bekannt sind.
Allein an der Universitätsphilosophie haben Kants Kritiken und Argumente freilich scheitern müssen. Denn da heißt es: sic volo, sic jubeo, sit pro ratione voluntas: die Philosophie soll Theologie seyn, und wenn die Unmöglichkeit der Sache von zwanzig Kanten bewiesen wäre: wir wissen, wozu wir dasind: in majorem Dei gloriam sind wir da. Jeder Philosophieprofessor ist, so gut wie Heinrich VIII., ein defensor fidei, und erkennt hierin seinen ersten und hauptsächlichen Beruf. Nachdem also Kant allen möglichen Beweisen der spekulativen Theologie den Nerv so rein durchschnitten hatte, daß seitdem sich Niemand mehr mit ihnen hat befassen mögen; da besteht denn das philosophische Bestreben, seit fast funfzig Jahren, in allerlei Versuchen, die Theologie fein leise zu erschleichen, und die philosophischen Schriften sind meistens nichts Anderes, als fruchtlose Belebungsversuche an einem entseelten Leichnam. So haben denn z. B. die Herren von der lukrativen Philosophie im Menschen ein Gottesbewußtseyn entdeckt, welches bis dahin aller Welt entgangen war, und werfen damit, durch ihre wechselseitige Einstimmung und die Unschuld ihres nächsten Publikums dreist gemacht, keck und kühn um sich, wodurch sie am Ende gar die ehrlichen Holländer der Universität Leyden verführt haben; so daß diese, die Winkelzüge der Philosophieprofessoren richtig für Fortschritte der Wissenschaft ansehend, ganz treuherzig, am 15. Februar 1844, die Preisfrage gestellt haben: quid statuendum de Sensu Dei, qui dicitur, menti humanae indito, u. s. w. Vermöge eines solchen Gottesbewußtseyns wäre denn Das, was mühsam zu beweisen alle Philosophen, bis auf Kant, sich abarbeiteten, etwas unmittelbar Bewußtes. Welche Pinsel müßten aber dann alle jene früheren Philosophen gewesen seyn, die sich ihr Leben lang abgemüht haben, Beweise für eine Sache aufzustellen, deren wir uns geradezu bewußt sind, welches besagt, daß wir sie noch unmittelbarer erkennen, als daß 2 Mal 2 vier ist, als wozu doch schon Ueberlegung gehört. Eine solche Sache beweisen zu wollen, müßte ja seyn, wie wenn man beweisen wollte, daß die Augen sehn, die Ohren hören und die Nase rieche. Und welch unvernünftiges Vieh müßten doch die Anhänger der, nach der Zahl ihrer Bekenner, vornehmsten Religion auf Erden, die Buddhaisten, seyn, deren Religionseifer so groß ist, daß in Tibet beinahe der sechste Mensch dem geistlichen Stande angehört und damit dem Cölibat verfallen ist, deren Glaubenslehre jedoch zwar eine höchst lautere, erhabene, liebevolle, ja streng asketische Moral (die nicht, wie die Christliche, die Thiere vergessen hat) trägt und stützt, allein nicht nur entschieden atheistisch ist, sondern sogar ausdrücklich den Theismus perhorrescirt. Die Persönlichkeit ist nämlich ein Phänomen, das uns nur aus unserer animalischen Natur bekannt und daher, von dieser gesondert, nicht mehr deutlich denkbar ist: ein solches nun zum Ursprung und Prinzip der Welt zu machen, ist immer ein Satz, der nicht sogleich Jedem in den Kopf will; geschweige daß er schon von Hause aus darin wurzelte und lebte. Ein unpersönlicher Gott hingegen ist eine bloße Philosophieprofessorenflause, eine contradictio in adjecto, ein leeres Wort, die Gedankenlosen abzufinden, oder die Vigilanten zu beschwichtigen.
Zwar athmen also die Schriften unserer UniversitätsPhilosophen den lebendigsten Eifer für die Theologie; dagegen aber sehr geringen für die Wahrheit. Denn ohne Scheu vor dieser werden Sophismen, Erschleichungen, Verdrehungen, falsche Assertionen, mit unerhörter Dreistigkeit, angewandt, ja angehäuft, werden sogar, wie oben ausgeführt, der Vernunft unmittelbare, übersinnliche Erkenntnisse, – also angeborene Ideen, – angedichtet, oder richtiger angelogen; Alles einzig und allein um Theologie herauszubringen: nur Theologie! nur Theologie! um jeden Preis, Theologie! – Ich möchte den Herren unmaaßgeblich zu bedenken geben, daß immerhin Theologie viel werth seyn mag; ich aber doch etwas kenne, das jedenfalls noch mehr werth ist, nämlich die Redlichkeit; Redlichkeit, wie im Handel und Wandel, so auch im Denken und Lehren: die sollte mir um keine Theologie feil seyn.
Wie nun aber die Sachen stehn, muß, wer es mit der Kritik der reinen Vernunft ernstlich genommen, überhaupt es ehrlich gemeint und demnach keine Theologie zu Markte zu bringen hat, jenen Herren gegenüber, freilich zu kurz kommen. Brächte er auch das Vortrefflichste, das je die Welt gesehen, und tischte er alle Weisheit Himmels und der Erden auf; sie werden dennoch Augen und Ohren abwenden, wenn es keine Theologie ist; ja, je mehr Verdienst seine Sache hat, desto mehr wird sie, nicht ihre Bewunderung, sondern ihren Groll erregen; desto determinirteren passiven Widerstand werden sie ihr entgegenstellen, also mit desto hämischerem Schweigen sie zu ersticken suchen, zugleich aber desto lautere Enkomien über die lieblichen Geisteskinder der gedankenreichen Genossenschaft anstimmen, damit nur die ihnen verhaßte Stimme der Einsicht und Aufrichtigkeit nicht durchdringe. So nämlich verlangt es, in diesem Zeitalter skeptischer Theologen und rechtgläubiger Philosophen, die Politik der Herren, welche sich mit Weib und Kind von der Wissenschaft ernähren, welcher meiner Eins, ein langes Leben hindurch, alle seine Kräfte opfert. Denn ihnen kommt es, den Winken hoher Vorgesetzten gemäß, nur auf Theologie an: alles Andere ist Nebensache. Definiren sie doch schon von vorne herein, Jeder in seiner Sprache, Wendung und Verschleierung, die Philosophie als spekulative Theologie und geben das Jagdmachen auf Theologie ganz naiv als den wesentlichen Zweck der Philosophie an. Sie wissen nichts davon, daß man frei und unbefangen an das Problem des Daseyns gehn und die Welt, nebst dem Bewußtseyn, darin sie sich darstellt, als das allein Gegebene, das Problem, das Räthsel der alten Sphinx, vor die man hier kühn getreten ist, betrachten soll. Sie ignoriren kläglich, daß Theologie, wenn sie Eingang in die Philosophie verlangt, gleich allen andern Lehren, erst ihr Kreditiv vorzuweisen hat, das dann geprüft wird auf dem Büreau der Kritik der reinen Vernunft, als welche bei allen Denkenden noch in vollstem Ansehn steht, und an demselben, durch die komischen Grimassen, welche die Kathederphilosophen des Tages gegen sie zu schneiden bemüht sind, wahrlich nicht das Geringste eingebüßt hat. Ohne ein vor ihr bestehendes Kreditiv also findet die Theologie keinen Eintritt und soll ihn weder ertrotzen, noch erschleichen, noch auch erbetteln, mit Berufung darauf, daß Kathederphilosophen nun ein Mal nichts Anderes feil haben dürfen: – mögen sie doch die Boutique schließen. Denn die Philosophie ist keine Kirche und keine Religion. Sie ist das kleine, nur äußerst Wenigen zugängliche Fleckchen auf der Welt, wo die stets und überall gehaßte und verfolgte Wahrheit ein Mal alles Druckes und Zwanges ledig seyn, gleichsam ihre Saturnalien, die ja auch dem Sklaven freie Rede gestatten, feiern, ja sogar die Prärogative und das große Wort haben, absolut allein herrschen und kein Anderes neben sich