Parerga und Paralipomena. Arthur Schopenhauer

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Название Parerga und Paralipomena
Автор произведения Arthur Schopenhauer
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788026825999



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noch Lust, noch Trieb den Kant zu studiren: – er ist ihnen so gleichgültig, wie ich es bin. Für ihren verfeinerten Geschmack gehören ganz andere Leute. Nämlich was der scharfsinnige Herbart und der große Schleiermacher, oder gar Hegel selbst gesagt hat, – das ist Stoff für ihre Meditation und ihnen angemessen. Zudem sehn sie herzlich gern den Alleszermalmer Kant in Vergessenheit gerathen, und beeilen sich, ihn zur todten, historischen Erscheinung zu machen, zur Leiche, zur Mumie, der sie dann ohne Furcht ins Angesicht sehn können. Denn er hat im allergrößten Ernst dem jüdischen Theismus in der Philosophie ein Ende gemacht; – welches sie gern vertuschen, verhehlen und ignoriren, weil sie ohne denselben nicht leben, – ich meyne nicht essen und trinken, – können.

      Nach einem solchen Rückschritt vom größten Fortschritt, den jemals die Philosophie gemacht, darf es uns nicht wundern, daß das angebliche Philosophiren dieser Zeit einem völlig unkritischen Verfahren, einer unglaublichen, sich unter hochtrabenden Phrasen versteckenden Rohheit und einem naturalistischen Tappen, viel ärger, als es je vor Kant gewesen, anheim gefallen ist. Da wird denn z. B. mit der Unverschämtheit, welche rohe Unwissenheit verleiht, überall und ohne Umstände von der moralischen Freiheit, als einer ausgemachten, ja, unmittelbar gewissen Sache, desgleichen von Gottes Daseyn und Wesen, als sich von selbst verstehenden Dingen, wie auch von der Seele als einer allbekannten Person geredet; ja sogar der Ausdruck angeborene Ideen, der seit Locke’s Zeit sich hatte verkriechen müssen, wagt sich wieder hervor. Hieher gehört auch die plumpe Unverschämtheit, mit der die Hegelianer, in allen ihren Schriften, ohne Umstände und Einführung, ein Langes und Breites über den sogenannten Geist reden, sich darauf verlassend, daß man durch ihren Gallimathias viel zu sehr verblüfft sei, als daß, wie es Recht wäre, Einer dem Herrn Professor zu Leibe gienge mit der Frage: Geist? wer ist denn der Bursche? und woher kennt ihr ihn? ist er nicht etwan bloß eine beliebige und bequeme Hypostase, die ihr nicht ein Mal definirt, geschweige deducirt, oder beweist? Glaubt ihr ein Publikum von alten Weibern vor euch zu haben? – Das wäre die geeignete Sprache gegen einen solchen Philosophaster.

      Als einen belustigenden Charakterzug des Philosophirens dieser Gewerbsleute, habe ich schon oben, bei Gelegenheit der synthetischen Apperception, gezeigt, daß, obwohl sie Kants Philosophie, als ihnen sehr unbequem, zudem viel zu ernsthaft, nicht gebrauchen, auch solche nicht mehr recht verstehen können, sie dennoch gern, um ihrem Geschwätze einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben, mit Ausdrücken aus derselben um sich werfen, ungefähr wie die Kinder mit des Papa’s Hut, Stock und Degen spielen. So machen es z. B. die Hegelianer mit dem Worte Kategorien, womit sie eben allerlei weite allgemeine Begriffe bezeichnen; unbekümmert um Aristoteles und Kant, in glücklicher Unschuld. Ferner ist in der Kantischen Philosophie stark die Rede vom immanenten und transscendenten Gebrauch, nebst Gültigkeit, unsrer Erkenntnisse: auf dergleichen gefährliche Unterscheidungen sich einzulassen, wäre freilich für unsere Spaaßphilosophen nicht gerathen. Aber die Ausdrücke hätten sie doch gar zu gern; weil sie so gelehrt klingen. Da bringen sie diese denn so an, daß, weil ja doch ihre Philosophie zum Hauptgegenstande immer nur den lieben Gott hat, welcher daher auch als ein guter alter Bekannter, der keiner Einführung bedarf, darin auftritt, sie nun disputiren, ob er in der Welt drinnen stecke, oder aber draußen bleibe, d. h. also in einem Raume, wo keine Welt ist, sich aufhalte: im ersten Falle nun tituliren sie ihn immanent, und im andern transscendent, thun dabei natürlich höchst ernsthaft und gelehrt, reden Hegeljargon dazu, und es ist ein allerliebster Spaaß, – der nur uns älteren Leute an den Kupferstich in Falk’s satirischem Almanach erinnert, welchen Kanten darstellt, im Luftballon gen Himmel fahrend und seine sämmtlichen Garderobenstücke, nebst Hut und Perücke, herabwerfend auf die Erde, woselbst Affen sie auflesen und sich damit schmücken.

      Daß nun aber das Verdrängtwerden der ernsten, tiefsinnigen und redlichen Philosophie Kants, durch die Windbeuteleien bloßer, von persönlichen Zwecken geleiteten Sophisten, den nachtheiligsten Einfluß auf die Bildung des Zeitalters gehabt habe, ist nicht zu bezweifeln. Zumal ist die Anpreisung eines so völlig werthlosen, ja, durchaus verderblichen Kopfes, wie Hegel, als des ersten Philosophen dieser und jeder Zeit, zuverlässig die Ursache der ganzen Degradation der Philosophie und, in Folge davon, des Verfalls der höhern Litteratur überhaupt, während der letzten 30 Jahre gewesen. Wehe der Zeit, wo, in der Philosophie, Frechheit und Unsinn Einsicht und Verstand verdrängt haben! Denn die Früchte nehmen den Geschmack des Bodens an, auf welchem sie gewachsen sind. Was laut, öffentlich, allseitig angepriesen wird, das wird gelesen, ist also die Geistesnahrung des sich ausbildenden Geschlechts: diese aber hat aus dessen Säfte und nachher auf dessen Erzeugnisse den entschiedensten Einfluß. Daher bestimmt die herrschende Philosophie einer Zeit ihren Geist. Herrscht nun also die Philosophie des absoluten Unsinns, gelten aus der Luft gegriffene und unter Tollhäuslergeschwätz vorgebrachte Absurditäten für große Gedanken, – nun da entsteht, nach solcher Aussaat, das saubere Geschlecht, ohne Geist, ohne Wahrheitsliebe, ohne Redlichkeit, ohne Geschmack, ohne Aufschwung zu irgend etwas Edlem, zu irgend etwas über die materiellen Interessen, zu denen auch die politischen gehören, Hinausliegendem, – wie wir es da vor uns sehn. Hieraus ist es zu erklären, wie auf das Zeitalter, da Kant philosophirte, Goethe dichtete, Mozart komponirte, das jetzige hat folgen können, das der politischen Dichter, der noch politischeren Philosophen, der hungrigen, vom Lug und Trug der Litteratur ihr Leben fristenden Litteraten und der die Sprache muthwillig verhunzenden Tintenklexer jeder Art. – Es nennt sich, mit einem seiner selbstgemachten Worte, so charakteristisch, wie euphonisch, die Jetztzeit: ja wohl Jetztzeit, d. h. da man nur an das Jetzt denkt und keinen Blick auf die kommende und richtende Zeit zu werfen wagt. Ich wünsche ich könnte dieser Jetztzeit in einem Zauberspiegel zeigen, wie sie in den Augen der Nachwelt sich ausnehmen wird. Sie nennt inzwischen jene so eben belobte Vergangenheit die Zopfzeit. Aber an jenen Zöpfen saßen Köpfe; jetzt hingegen scheint mit dem Stengel auch die Frucht verschwunden zu seyn.

      Die Anhänger Hegels haben demnach ganz Recht, wenn sie behaupten, daß der Einfluß ihres Meisters auf seine Zeitgenossen unermeßlich gewesen sei. Eine ganze Gelehrten-Generation am Geiste völlig paralysirt, zu allem Denken unfähig gemacht, ja, so weit gebracht zu haben, daß sie nicht mehr weiß, was Denken sei, sondern das muthwilligste und zugleich abgeschmackteste Spielen mit Worten und Begriffen, oder das gedankenloseste Saalbadern über die hergebrachten Themata der Philosophie, mit aus der Luft gegriffenen Behauptungen, oder völlig sinnleeren, oder gar aus Widersprüchen bestehenden Sätzen für philosophisches Denken hält, – das ist der gerühmte Einfluß des Hegels gewesen. Man vergleiche nur ein Mal die Lehrbücher der Hegelianer, wie sie noch heut zu Tage zu erscheinen sich erdreisten, mit denen einer geringgeschätzten, besonders aber von ihnen und allen Nachkantischen Philosophen mit unendlicher Verachtung angesehenen Zeit, der sogenannten eklektischen Periode, dicht vor Kant; und man wird finden, daß die letzteren zu jenen sich immer noch verhalten wie Gold, – nicht zu Kupfer, sondern zu Mist.

      Denn in jenen Büchern von Feder, Plattner u. A. m. findet man doch immer noch einen reichen Vorrath wirklicher und zum Theil wahrer, selbst werthvoller Gedanken und treffender Bemerkungen, ein redliches Ventiliren philosophischer Probleme, eine Anregung zum eigenen Nachdenken, eine Anleitung zum Philosophiren, zumal aber durchweg ein ehrliches Verfahren.

      In so einem Produkte der Hegelschen Schule hingegen sucht man vergeblich nach irgend einem wirklichen Gedanken, – es enthält keinen einzigen, – nach irgend einer Spur ernstlichen und aufrichtigen Nachdenkens, – das ist der Sache fremd: nichts findet man, als verwegene Zusammenstellungen von Worten, die einen Sinn, ja, einen tiefen Sinn zu haben scheinen sollen, aber bei einiger Prüfung sich entlarven als ganz hohle, völlig sinn-und gedankenleere Floskeln und Wortgehäuse, mit denen der Schreiber seinen Leser keineswegs zu belehren, sondern bloß zu täuschen sucht, damit dieser glaube, einen Denker vor sich zu haben, während es ein Mensch ist, der gar nicht weiß, was denken ist, ein Sünder ohne alle Einsicht und noch dazu ohne Kenntnisse.

      Dies ist die Folge davon, daß, während andere Sophisten, Scharlatane und Obskuranten doch nur die Erkenntniß verfälschten und verdarben, Hegel sogar das Organ der Erkenntniß, den Verstand selbst verdorben hat. Indem er nämlich die Verleiteten nöthigte, einen aus dem gröbsten Unsinn bestehenden Gallimathias, ein Gewebe aus contradictionibus