Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Читать онлайн.
Название Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte
Автор произведения Eugenie Marlitt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788026841036



Скачать книгу

Sie würden mich doch nicht verstehen; denn, wie mir scheint, vermissen Sie ja noch nichts im Kreise der Ihrigen?« fragte er nach kurzem Schweigen. Er hatte sich vorwärts geneigt und strich mechanisch mit der Spitze der Reitgerte über den Kies zu seinen Füßen … Er sprach in jenen tiefen Tönen, die stets etwas Ergreifendes für Elisabeth hatten. »Aber es kommt die Zeit,« fuhr er fort, »da flieht man hinaus in die Welt, um draußen zu vergessen, daß daheim das Glück fehlt … Eine schmerzlich empfundene Lücke in seinem Dasein kann der Mann, wenn auch nicht ausfüllen, so doch am besten in den Hintergrund drängen, wenn er sich in die Wissenschaft versenkt.«

      Also hier stand sie vor der wunden Stelle in seinem Herzen … Er füllte tief, daß ihn daheim die Liebe nicht empfing, die er lebhaft wünschte, und die er auch mit vollstem Rechte beanspruchen konnte, da er seiner Schwester die reinste, aufopferndste Zärtlichkeit unausgesetzt bewies. Diesen Schmerz hatte ja Elisabeth schon begriffen, noch bevor sie Herrn von Walde kannte. In dem Augenblicke aber, als er ihn so unumwunden aussprach, wallte ihr das Herz auf in dem lebhaften Verlangen, ihn zu trösten. Die Worte des Mitgefühls drängten sich ihr fast aus die Lippen; aber zugleich empfand sie eine unerklärliche Scheu, das auszusprechen, was sie bewegte, und als ihr Blick seitwärts streifte über die festen Linien seines Profils, über die Stirn, die gebieterisch und stolz blieb, während die Stimme weich und trauervoll klang, da kam ihr plötzlich die beängstigende Vermutung, er habe einen Moment vergessen, wer neben ihm sitze, sein aristokratisches Gefühl werde ihn später den Mißgriff bitter bereuen lassen, infolgedessen ein unbedeutendes Mädchen in sein streng verschlossenes Innere einen Blick werfen durfte … Dieser Gedanke trieb ihr das Blut in die Wangen, sie erhob sich schnell und rief Ernst zu sich. Herr von Walde wandte überrascht den Kopf nach ihr und sein Auge ruhte einen Augenblick forschend auf ihrem Gesichte; dann verließ er gleichfalls die Bank und stand, als wolle er ihre Annahme bestätigen, plötzlich in seiner ganzen, stolzen Ruhe und Gelassenheit vor dem jungen Mädchen; aber jener düstere, schwermütige Zug zwischen den Augenbrauen, den der Vater schon beobachtet hatte, fiel ihr zum erstenmal auf und machte ihr denselben Eindruck, wie vorher seine Stimme.

      »Sie sind gewöhnlich sehr flink im Denken,« sagte er, sichtbar bemüht, einen leichteren Ton anzuschlagen, und langsam neben Elisabeth herschreitend – sie ging, um Ernst zu holen – der ihren Ruf nicht gehört hatte – »noch ehe man einen Satz völlig geendet hat, sieht man an Ihrem Auge, daß Sie die Antwort bereits auf den Lippen haben. Ihr Schweigen in diesem Augenblicke sagt mir also, daß ich vorhin recht hatte, als ich annahm, Sie würden mich nicht verstehen, weil Sie noch nichts vermissen.«

      »Der Begriff von Glück ist so sehr verschieden, daß ich in der That nicht wissen kann –«

      »Den Begriff haben wir alle gemein,« unterbrach er sie. »In Ihnen schlummert er nur noch.«

      »O nein!« rief sie, ihre Zurückhaltung vergessend, lebhaft und erstaunt, »ich liebe die Meinen von ganzem Herzen und habe das beseligende Bewußtsein, daß ich wieder geliebt werde!«

      »Ah, also haben Sie mich doch nicht ganz falsch verstanden! … Nun, und die Ihrigen … das ist wohl ein sehr großer Personenkreis, den Sie da in Ihr Herz schließen müssen?«

      »Nein,« rief sie lachend, »die sind schnell zusammengezählt! Meine Eltern, der Onkel und dieses kleine Menschenkind hier,« sie nahm den herbeigelaufenen Ernst bei der Hand, »das sich sehr breit macht und mit jedem Jahre mehr Terrain erobert … Jetzt müssen wir aber fort, mein Junge,« sagte sie zu dem Kleinen, »sonst ängstigt sich die Mama.«

      Sie verbeugte sich leicht vor Herrn von Walde, es kam ihr vor, als sei der Schatten auf seiner Stirn plötzlich wieder verschwunden. Er zog höflich den Hut vor ihr und reichte Ernst die Hand; dann schritt er langsam hinüber zu dem Pferde, das ungeduldig stampfte, faßte den Zügel und führte es fort.

      »Weißt du, Else,« sagte Ernst, als sie den Berg hinaufstiegen, »wie Herr von Walde aussieht?«

      »Nun?«

      »Wie der Ritter Georg, der den Lindwurm totgemacht hat.«

      »Ei,« lachte das junge Mädchen, »du hast ja noch kein Bild dieses tapferen Ritters gesehen!«

      »Nu nein – ich denke auch nur so.«

      Und sie hatte ähnlich gedacht; als sie ihn, das ungebärdige Pferd beherrschend, dahinfliegen sah … In diesem Augenblicke erinnerte sie sich aber auch der Qualen, die sie ausgestanden bei dem Gedanken, er könne verunglücken und der unsäglichen Freude, als sie ihn aus dem Walde unversehrt zurückkehren sah … Sie blieb stehen und legte, verwundert lächelnd, die Hand auf ihr klopfendes Herz.

      »Siehst du,« meinte Ernst, »du bist wieder einmal zu schnell bergauf gelaufen – ich konnte gar nicht nachkommen. Wenn das der Onkel wüßte, der würde schön zanken.«

      Langsam und träumerisch schritt sie weiter – sie hatte den Vorwurf des Kleinen kaum gehört … Was war es nur, jenes wundersame Empfinden, das sich gestern zwischen ihre Melodien gedrängt hatte und sie zugleich jauchzen und weinen ließ? … In diesem Augenblicke wogte es wieder durch ihre Seele, weit mächtiger und berauschender als gestern, aber ebenso unverstanden und rätselhaft.

      »Aber Else,« rief Ernst ungeduldig, »was hast du nur? … Jetzt gehst du wieder so langsam, daß es gewiß dunkel ist, ehe wir hinaufkommen.«

      Er faßte ihr Kleid und suchte sie fortzuziehen. Diese Mahnung an die Außenwelt war doch zu energisch, als daß Elisabeth ihr länger hätte widerstehen können; sie raffte sich auf und schritt nun zu des Kleinen Genugtuung im richtigen Tempo vorwärts.

      Oben in der Halle angekommen, legte Elisabeth Berthas Hut, der noch an ihrem Arme hing, auf das Büffett. Sie wollte den Eltern vorläufig noch nichts von der Begegnung sagen, weil sie mit Recht annahm, daß sie sich beunruhigen und es dem Onkel erzählen würden. Der war aber in den letzten Wochen wieder sehr heftig und bitter geworden, wenn er auf diesen Punkt zu reden kam, so daß Elisabeth die Ueberzeugung hatte, er werde nach einer solchen Mitteilung zum Aeußersten schreiten und die Störerin seines Hausfriedens verstoßen. Ernst hatte weder den Hut an Elisabeths Arme, noch ihr Bemühen, denselben zu verstecken, bemerkt, er konnte also nichts verraten.

      Nach dem Abendbrote ging Elisabeth hinunter ins Forsthaus. Sie traf Sabine im Garten und hörte befriedigt, daß der Onkel nach Lindhof gewandert sei. Indem sie der alten Haushälterin den Hut übergab, teilte sie ihr das auffallende Gebaren Berthas mit und fragte schließlich, ob dieselbe nach Hause gekommen sei. Sabine war außer sich.

      »Na, das können Sie mir glauben, Kindchen,« sagte sie, »waren Sie allein, die hätte Ihnen die Augen ausgekratzt … Ich weiß nicht, was noch daraus werden soll, vorzüglich in den letzten Tagen ist es sehr schlimm geworden … Sie schläft keine Nacht mehr, rennt auf und ab und spricht auch wieder, aber nur mit sich selbst … Wenn ich’s nur über mich gewinnen könnte, einmal geradezu die Thür aufzumachen, wenn der Spektakel so groß ist; aber ich kann’s nicht, und wenn Sie mir Berge von Gold hinlegen wollten … Sie lachen mich aus, ich weiß es; aber – mit der ist’s nicht richtig! Sehen Sie ihr nur einmal in die Augen; das funkelt und blitzt, als wenn sie das ganze Feuer vom Blocksberge drin hätte … Na, ich bin still, ich sage nichts, der Herr Oberförster hat einen gesunden Schlaf, und die anderen auch; aber ich bin da, wenn sich ein Mäuschen rührt, und so weiß ich recht gut, daß Bertha gar des Nachts draußen herumflankiert, und allemal ist der Hofhund aus seiner Hütte verschwunden. Das ist noch der einzige im Hause, der sie lieb hat, und so bös er ist – ihr thut er nichts.«

      »Weiß das mein Onkel?« fragte Elisabeth erstaunt.

      »Ei, beileibe nicht! … Ich werde mich hüten, etwas zu sagen, das könnte mir schlecht bekommen.«

      »Aber Sabine, bedenken Sie denn nicht, daß Sie mit Ihrem Schweigen dem Onkel großen Schaden zufügen können? Das Haus liegt so allein; wenn kein Hund im Hofe ist –«

      »So stehe ich droben am Fenster und wache, bis sie endlich wieder über den Berg kommt und das Tier an die Kette legt.«

      »Das sind ja übermenschliche Opfer, die Sie Ihrem Aberglauben bringen! … Man sollte doch lieber der Bertha –«

      »Still,