Название | Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte |
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Автор произведения | Eugenie Marlitt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026841036 |
»Desto besser,« erwiderte das junge Mädchen und hob fast trotzig den Kopf, »er wird ohnehin selten genug die Wahrheit zu hören bekommen.« Dann reichte sie dem Onkel und Sabine die Hand zum Abschiede und schritt langsam durch den Wald nach Lindhof zu.
Im ersten Augenblicke war ihr der Gedanke peinlich gewesen, daß Herr von Walde ihr Urteil über ihn so wider Willen hatte mit anhören müssen; dann aber meinte sie, ganz ebenso würde sie ihm ja auch die Wahrheit ins Gesicht gesagt haben. Da aber nicht zu vermuten stand, daß er sie je um ihr Gutachten befragen würde – ein Gedanke, der sie lächeln machte im Hinblicke auf seine Unnahbarkeit – so konnte es ihm wirklich nicht schaden, daß ihn der Zufall zum Zeugen eines völlig unparteiischen Ausspruchs – wenn auch nur aus einem Mädchenmunde – gemacht hatte … Wie mochte es aber kommen, daß er so plötzlich und unerwartet zurückgekehrt war? Fräulein von Walde hatte stets ein mehrjähriges Ausbleiben ihres Bruders vorausgesetzt und war vorgestern noch gänzlich ahnungslos in Bezug auf seine Rückkehr gewesen … Die Begegnung am gestrigen Abend fiel ihr plötzlich ein. Der alte Herr hatte ja auch gesagt, er sei ein heimkehrender Reisender, aber er mit seinen gemütlich lächelnden Zügen und seinem behäbigen Wesen war nun und nimmermehr der ernste, stolze Besitzer von Lindhof; dann wohl eher der, der schweigend im Dunkel der Gebüsche gewartet hatte, bis seinem Begleiter die gewünschte Auskunft über das fragliche Licht zuteil geworden war … Was aber mochte Herr von Walde von ihrem Onkel wollen, der, wie sie wußte, niemals in irgend welchem Verkehr mit ihm gestanden hatte?
Diese und ähnliche Gedanken beschäftigten sie lebhaft auf ihrem Wege nach dem Hause des Webers. Mann und Frau weinten vor Freude über die unverhofften Spenden, und von tausend Segenswünschen der armen Leute begleitet, verließ Elisabeth das Häuschen.
Elisabeth schritt durch das Dorf nach Lindhof zu ihren gewöhnlichen Musikübungen, die trotz der Ankunft des Herrn von Walde nicht abgesagt worden waren. Mit der Rückkehr des Besitzers hatte das Schloß eine ganz andere Physiognomie angenommen. Sämtliche Fenster im Erdgeschoß an der Südseite, die so lange verschwiegen und geheimnisvoll hinter den weißen Läden gesteckt hatten, spiegelten ihre lange glänzende Reihe im Sonnenlichte. In den Räumen selbst wurde gewaltig gelärmt und hantiert, gesäubert und gelüftet. Eine Glasthür, die das Innere eines großen Saales zeigte, stand weit offen, auf einer der Stufen, die hinunter nach dem Garten führten, lag ein schneeweißes Windspiel; den schlanken Leib unbeweglich hingestreckt auf den sonnenbeschienenen heißen Stein; und die Schnauze auf die Vorderpfoten gelegt, blinzelte es Elisabeth an, als sei sie eine alte Bekannte. An einem offenen Fenster ordnete der Gärtner einen Blumentisch und der alte Hausverwalter Lorenz schritt eben mit dem Blick eines Untersuchungsrichters durch das Zimmer.
Es war auffallend, daß sämtliche Menschen, die dem jungen Mädchen im Hause begegneten, wie durch einen Zauberschlag einen völlig anderen Gesichtsausdruck angenommen hatten. War ein Sturmwind durch die schwüle Atmosphäre gebraust und hatte einen neuen Odem in die Räume gebracht, so daß die Stimmen heller klangen, und die gedrückten Menschengestalten sich erfrischt und elastisch aufrichteten? … Selbst der alte Lorenz, dessen Gesichtsmuskeln stets so schlaff und grämlich herabhingen, als ob sie Bleigewichten nachgeben müßten, hatte heute einen wahren Sonnenschein in den Augen, obgleich er einen Augenblick auf die Staubausklopfer erbost war; auch klang seine Stimme so laut, daß Elisabeth überrascht aufsah, denn sie kannte den alten Mann ja nur, wie er geräuschlos auf den Zehen in das Zimmer der Damen trat und lispelnd, mit möglichst unterdrückter Stimme seine Meldungen machte.
Erstaunt über dies urplötzlich aufgeblühte neue Leben und Treiben wandte sich Elisabeth nach dem Flügel, den die Damen bewohnten. Hier herrschte jedoch die tiefste Stille. In der Wohnung der Baronin hingen sämtliche Rouleaus dicht und schwer hinter den Scheiben. Kein Laut drang durch die Thüren, an denen Elisabeth vorbei mußte. Die Luft des schmalen Korridors war mit dem durchdringenden Geruche starker Baldriantropfen gemischt, und als endlich am untersten Ende des Ganges eine Thür geöffnet wurde, erblickte Elisabeth wohl ein menschliches Haupt, aber in welcher Verfassung! Es war die alte Kammerjungfer der Baronin, die vermutlich sehen wollte, wer so vermessen sei, die feierliche Ruhe des Korridors zu unterbrechen. Die Haube saß schief auf den falschen Locken, von denen das eine Paket bedenkliche Anstalten machte, herunterzufallen. Die Gesichtszüge sahen verstört aus, und zwei zirkelrunde feuerrote Flecken auf den hervorstehenden Backenknochen zeugten entweder von Fieberhitze oder einer großen geistigen Erregung. Sie erwiderte Elisabeths Gruß kurz und mürrisch und verschwand schnell wieder hinter der leise zugemachten Thür.
Als Elisabeth Fräulein von Waldes Zimmer betrat – auf ihr mehrmaliges Klopfen war kein »Herein« erfolgt – da meinte sie, hier spiele der letzte Akt des geheimnisvollen Dramas, das in den Räumen der Baronin begonnen hatte. Nicht allein die Rouleaus sondern auch die dicken seidenen Vorhänge waren dicht zugezogen. Die tiefe Dunkelheit und Stille hielten sie ab, einzutreten, und eben wollte sie die Thür wieder schließen, als Helene mit schwacher Stimme sie hereinrief. Die junge Dame lag in einem Fauteuil im Hintergrunde des Zimmers; sie hatte den Kopf in ein weiches Kissen gedrückt, und Elisabeth konnte hören, wie ihr leise die Zähne zusammenschlugen.
»Ach, liebes Kind,« sagte sie und legte ihre feuchtkalten Hände auf den Arm des jungen Mädchens, »ich habe Nervenzufälle gehabt. Niemand von meiner Umgebung hat es bemerkt, daß ich so unwohl hier liege, und da war ich so fürchterlich allein in dem finstern Zimmer … Bitte, öffnen Sie die Fenster weit – ich brauche Luft, warme Gottesluft.«
Elisabeth erfüllte sogleich ihren Wunsch, und als das Tageslicht auf das blasse Gesicht der Kranken fiel, sah das junge Mädchen, daß sie heftig geweint hatte.
Die eindringenden Sonnenstrahlen erweckten mehr Leben und Bewegung in dem Zimmer, als Elisabeth geahnt hatte; sie schrak heftig zusammen, als es plötzlich in einer Ecke laut aufkreischte. Dort wiegte sich ein Kakadu mit schneeweißem Gefieder und emporgesträubter gelber Krone in einem Ringe.
»Gott, wie fürchterlich!« seufzte Helene und drückte die schmalen Hände an beide Ohren. »Das abscheuliche Tier zerreißt mir noch die Nerven.«
Elisabeths Blick haftete erstaunt auf dem kleinen Fremdlinge und glitt dann durch das Zimmer, das aussah wie ein Bazar. Aus allen Tischen und Stühlen lagen reiche Stoffe, Shawls, kostbar gebundene Bücher und die verschiedenartigsten Toilettegegenstände. Fräulein von Walde fing Elisabeths Blick auf und sagte kurz, mit abgewandtem Gesichte. »Lauter Geschenke meines Bruders, der gestern unerwartet zurückgekehrt ist.«
Wie kalt klang ihre Stimme, als sie dies sagte! Auch nicht der leiseste Anflug von Freude war in den verweinten Zügen zu entdecken; aus den sonst so sanften Rehaugen sprachen unverhohlen Groll und Bitterkeit.
Elisabeth bückte sich schweigend und hob ein prachtvolles Kamelienboukett auf, das halb verschmachtet am Boden lag.
»Ach ja,« sagte Helene und richtete sich empor, während ein schwaches Rot über ihr Gesicht flog, »das ist der heutige Morgengruß meines Bruders; es ist vom Tische herabgefallen und vergessen worden … Bitte, stecken Sie es dort in die Vase.«
»Die armen Blüten,« sagte Elisabeth halblaut, indem sie die welken, braunen Ränder an den weißen Blumenblättern betrachtete, »sie haben auch nicht geahnt, als sie ihre Knospen öffneten, daß sie in einer so kalten Region würden atmen müssen.«
Helene blickte betroffen und forschend zu dem jungen Mädchen auf, und ihr Auge sah einen Moment aus, als schmelze es in Reue. »Stellen Sie die Blumen in das offene Fenster; dort haben sie Luft, und sie wird ihnen gut thun,« flüsterte sie hastig. »O, mein Gott!« rief sie, in das Polster zurücksinkend, »er ist ja gewiß ein vortrefflicher Mensch … aber sein Erscheinen zerreißt die Harmonie eines beglückenden Zusammenlebens!«
Elisabeth sah mit einem fast ungläubigen Ausdruck auf die junge Dame, wie sie so dalag, die gerungenen Hände emporgehoben und die starren Augen nach der Zimmerdecke gerichtet, als habe ihr das Geschick die furchtbarste Prüfung auferlegt … Fehlte dem jungen Mädchen schon gestern jegliches Verständnis für Helenes Handlungsweise, so stand es jetzt geradezu fassungslos vor diesem