Название | Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte |
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Автор произведения | Eugenie Marlitt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026841036 |
»Der dumme Bub' spielt sich wirklich schon auf den großen Herrn,« grollte die ärgerliche Frauenstimme unter dem Zeltdach, während die Majorin am Terrassengeländer stand und mit der Hand die Näherkommenden begrüßte. – »Aber Sie sind selber schuld, Madame; ein achtjähriger Junge gehört noch nicht aufs Pferd –«
»José ist zehn Jahre alt.«
»Mein Gott, das muß ich immer wieder hören, damit ich mir ja recht einbilde, ich sei eine alte Frau! Dazu eigne ich mich aber nicht, wirklich nicht, und wenn Sie es noch so eifrig wünschen. Ich bin jung und mädchenhaft, mag zehnmal solch ein langer, altkluger Bengel neben mir stehen und Mama' zu mir sagen! ... Und in fünf Wochen tanze ich in Berlin, allen spießbürgerlichen Anschauungen, aller doktorlichen Weisheit zum Trotz – glauben Sie, ich werde das nicht wahr machen?«
Die Frau am Geländer zuckte schweigend die Achseln, und Lucile knickte mit ihren matten, blassen Fingern nun auch ein paar Rosen sorgfältig ab, um sie in das Haar und an die Brust zu stecken. »Schau, wie Dame Mercedes kokett zu Pferde sitzt!« sagte sie, ohne den Kopf zu wenden, mit einem blinzelnden Seitenblick aus halbgeschlossenen Augen. – »Nur schade, daß das der blöde, junge Hauslehrer vor lauter Respekt nicht zu bemerken wagt! ... Wenn sie nur wüßte, wie schauderhaft ihr das blaue Reitkleid zu dem gelben Gesicht steht! Bah, sie hat nie Geschmack gehabt! ... Und in dem gräßlichen Reitkostüm steckt sie Tag für Tag – es sieht verwettert aus wie ein alter Kommißrock. ... Aber das ist jetzt so ihre Marotte – sie spielt sich auf die Einfache. Mein Gott, warum nur? Die alten Stoffe werden abgetragen bis auf den letzten Faden, und die Jungfer jammert, daß längst alle Schmucksachen, bis auf den kleinsten Manschettenknopf, weggeschlossen sind – lächerlich! ... Drüben war sie, wie alle diese protzigen Baumwollenprinzessinnen, stets aufgeputzt wie ein Schlittenpferd – die Augen taten einem weh vor lauter Brillantengeflunker... Will sie hier vielleicht auch Nonne werden, wie diese schreckliche Baronin Schilling?«
Die Majorin ging, ohne ein Wort der Erwiderung, behenden Schrittes die Terrasse entlang und stieg die breiten Mittelstufen hinab, den Heranreitenden entgegen. Sie zog einen Brief aus der Tasche und schwenkte ihn in der Luft.
Donna Mercedes trieb sofort mit einem leichten Gertenschlag ihren schönen Fuchs an und flog den anderen weit voraus. Eine tiefe Glut bedeckte ihr Gesicht, während sie hastig nach dem Briefe griff und das Kuvert aufriß. Sie überflog die ersten Zeilen, dann bückte sie sich tief zu der Majorin herab und flüsterte mit vor Bewegung fast erstickter Stimme: »Baron Schilling kommt heute abend aus Frankreich zurück!«
Unwillkürlich griff sie nach der Hand der alten Frau und hielt sie mit aufstrahlenden Augen und einem vielsagenden Druck einen Augenblick fest; dann steckte sie den Brief zu sich, wendete ihr Pferd, und mit einem freundlichen Gruß nach der mürrisch dreinschauenden kleinen Frau hinauf jagte sie auf dem nächsten, durch den Wald führenden Weg der Stadt zu.
41.
Der kluge Fuchs trug seine Reiterin die Straße entlang, am Bahnhof vorüber, trabte da durch eine belebte Straße, dort über einen stillen Domplatz und bog schließlich in die öde, zum Teil von Gartenmauern gebildete lange Gasse ein, in der eine wohlbekannte Mauertür mündete... Er machte fast täglich diesen Weg und wieherte stets freudig beim Einlenken in den Garten des Schillingshofes; denn er wußte, daß er da drinnen als Liebling gehegt und gepflegt wurde.
Die Tür stand, wie immer um diese Stunde, wo Donna Mercedes zu kommen pflegte, weit und gastlich offen. Mit stürmisch pochendem Herzen ritt die junge Dame in das grüne Fichtendämmern hinein – heute noch einmal war sie, wie die langen drei Jahre her, mutterseelenallein im Atelier und Garten, dann – – –
Der Stallbursche kam durch die Platanenallee gelaufen, um ihr vom Pferde zu helfen. Sein Gesicht strahlte, und nur mit Mühe verbarg er ein pfiffiges Schmunzeln.
»Ah – Sie wissen schon?« sagte Donna Mercedes, als sie neben ihm auf dem Boden stand.
»Jawohl, gnädige Frau,« versetzte er ehrerbietig. »Alles im Schillingshof ist rein närrisch vor Freude, weil nun endlich die langweilige Wartezeit überstanden ist. Solch ein herrenloses Haus ist schrecklich.«
Er führte den Fuchs nach dem Stall, und Donna Mercedes blieb einen Augenblick auf dem Kiesplatz vor dem Atelier stehen und übersah den Garten, soweit sie vermochte... Ob er wohl zufrieden war mit ihrem Schalten und Walten? – –
Dort, auf dem Klostergut, wo früher die hinfälligen, dohlenumschwärmten Giebel, die zerbröckelnden Wände der Hintergebäude in häßlicher Verkommenheit über die Obstbaumwipfel geguckt, erhoben sich jetzt schöne neue Schieferdächer. Aber sie waren um ein beträchtliches Stück vom Säulenhause weggerückt – es gab keine gemeinsame Wand mehr zwischen Schillingshof und Klostergut, die einen spukhaften »Mäuseweg« gestattet hätte.
Die Majorin hatte bei Verkauf des Klostergutes die Bedingung gestellt, daß der neue Besitzer sein Wohnhaus weit ab aufbauen müsse, und dafür den Kaufpreis um ein bedeutendes ermäßigt – nur so kam die Schmach, die der letzte Wolfram auf sein altes, ehrenfestes Geschlecht geladen hatte, allmählich in Vergessenheit.
Der nunmehrige Besitzer hatte sich auch herbeigelassen, Baron Schilling einen breiten Streifen des freigewordenen Landes abzutreten. Damit fiel auch die hohe, verdüsternde Mauer, die einst die plebejischen Tuchweber von den Ritterlichen streng geschieden, und machte einem niederen, hübschen, dem Eindruck des Säulenhauses entsprechenden Gemäuer Platz, an dessen Fuß nunmehr die jungen Äste feinen Spalierobstes emporkletterten. Das herrliche italienische Haus reckte sich, nun auf allen Seiten von Luft und Licht umspielt, noch einmal so imposant in den blaßblauen deutschen Himmel. Im großen, hinter dem Säulenhause liegenden Garten aber schloß sich an die Mauer ein luftiges, helles Staket, das die beiden Grundstücke wohl trennte, aber nicht wie der ungeschlachte, struppige Zaun wüst und entstellend in die Anlagen hineinragte.
Alle diese Neuerungen hatte Donna Mercedes überwacht und geleitet. Baron Schilling hatte ihr brieflich seine Ideen und Absichten mitgeteilt, und sie war denselben möglichst treu und pünktlich nachgekommen... Langsam, mit kritisch musterndem Blick schritt sie jetzt auf dem Wiesenweg, der direkt nach dem Säulenhause lief. Sie hatte die Reitschleppe um den Arm geschlungen und das Hütchen mit der weißen wallenden Feder schützend in die Stirn gerückt.
Wohl war das Mädchengesicht auf der Elfenbeinplatte, das einst ein zärtlich stolzer Vater über das Meer geschickt, damit es sich deutsche Herzen erobere, von hinreißender Schönheit gewesen; auch die Frau, die vor drei Jahren in Trauergewändern den Schillingshof betreten, hatte die Augen geblendet durch ihre undinenhafte Erscheinung; allein ihre herrischen Gebärden, ihr verschlossenes Wesen, der eisige Blick, den die großen gebieterischen Augen hochmütig über andere Mitgeschöpfe hingleiten ließen, hatten einen erstarrenden Hauch um sie verbreitet. Jene beiden Momente ihres Erscheinens im Schillingshofe waren nicht mehr in Einklang zu bringen mit dem jungen Weib voll unbeschreiblichen Liebreizes, das eben, schlank wie ein Reh, die südlich blaßgelbe Haut vom nordischen Hauch zu unvergleichlicher Blüte und Frische gewandelt, durch das Wäldchen ging und den Blick ängstlich prüfend in sichtlicher Beklommenheit über die Ostseite des Säulenhauses hinschweifen ließ... Ob auch alles seinen Wünschen entsprach? – Er war so unlenkbar fest in seiner Ansicht, die ein »Familienheim« – wie er so oft in seinen Briefen betont – nur durch traute, gemütliche Einfachheit beglückend finden wollte. Und er hatte ja unbedingt recht, vollkommen recht, wie – in allem.
Nun, dort hinter den Fenstern des Oberbaues waren ja alle kostbaren Tüll- und Spitzenvorhänge verschwunden. Sie waren, in Kisten verpackt, nach Koblenz gewandert, um mit allem was »steinbrückisch« versteigert zu werden. – Keinen Leinenfaden, keinen Nagel in der Wand, von dem sie nicht mit gutem Gewissen sagen konnte, daß es Schillingscher Besitz sei, hatte Mamsell Birkner im Hause geduldet – sie hatte auf jede verirrte Flaumfeder, auf jedes wertlose Medizinfläschchen in den Zimmern der Gnädigen Jagd gemacht