Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Название Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte
Автор произведения Eugenie Marlitt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788026841036



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o nein! Es ist auf dem Bahnhof geschehen ... Ah bah – es hat nichts zu bedeuten! Ich werde gleich morgen nach Berlin schreiben, an meine ehemaligen Putzlieferanten, die jedenfalls noch existieren und sich närrisch freuen werden« – sie verstummte, als habe sie sich verplaudert, und sah verstohlen seitwärts; Baron Schilling folgte der Richtung dieses Blickes, und jetzt erst bemerkte er die Gruppe, die sich nach dem Eingang des großen Korridors zurückgezogen hatte und dort im lautlosen Schweigen verharrte.

      Die Hüterinnen der Flurhalle, die Karyatiden mit ihren strenggeschnittenen, weißen Steingesichtern droben am Plafond, hatten wohl noch nie auf ein solch ebenholzschwarzes, krausköpfiges Menschenwesen niedergesehen, wie es dort auf den Marmorfliesen stand. Eine Negerin im Schillingshof! ... Die ab- und zugehenden Leute des Hauses starrten sie an, und ihr spielte ein gutmütiges Lächeln um den dicken, rotlippigen Mund.

      Sie trug ein kleines Mädchen auf dem Arme, ein blasses, dunkeläugiges Kind im weichfallenden, weißen Kaschmirüberwurf – es sah aus, als schmiege sich ein großer, weißer Falter an das dunkle Negerweib ... Das Kind hatte offenbar Furcht vor dem fremden Hause; sein dünnes Ärmchen umklammerte den Hals der Trägerin, und das kleine Gesicht, unter einer niedersinkenden Flut goldblonder Haare, drückte sich fest an die schwarze, feiste Wange ...

      Und dort, hart an der ersten Marmorstatue, stand eine Dame. In der Rechten hielt sie die Hand eines ungefähr siebenjährigen Knaben, und die Linke stützte sich auf das hohe Piedestal des Götterbildes ... Während im Anzug der jungen Witwe bereits das Grau und Weiß der Halbtrauer vorherrschten, unterbrach an dieser Erscheinung auch nicht eine helle Linie das strenge Schwarz tiefer Trauer – wie eine Statue der Nacht stand sie, in ihren langwallenden Gewändern und Schleierfalten, neben der hellen Steinfigur. ... Es waren ein Paar mächtige Augen in diesem ernsten, wunderschönen Frauengesicht, die unter leicht zusammengezogenen Brauen finster die lebendigen, gaukelnden Bewegungen der jungen Witwe verfolgten.

      »Mein Zuchtmeister ist ungnädig,« murmelte Lucile mit unterdrücktem Ärger. »Kommen Sie, Baron! Dame Mercedes liebt es nicht zu warten – sie ist über alle Beschreibung hochmütig, diese spanische Baumwollenprinzessin.«

      Baron Schilling trat rasch auf die stille Gruppe zu, in die jetzt auch Leben und Bewegung kam. Die Dame legte ihren Arm um die Schultern des Knaben und bog sich so tief über ihn, daß der schwarze Krepp, der wie eine Mantille von dem schneppenartig in die Stirne gebogenen Hütchen niederhing, ihr Gesicht vollkommen verdeckte. Sie flüsterte dem Kinde einige Worte zu und führte es dem Herrn des Schillingshofes um einen Schritt entgegen.

      »Mein Papa läßt dich grüßen, Onkel Arnold; er hat mir das immerfort gesagt, ehe er zum Großpapa in den Himmel gegangen ist,« sagte der Knabe im reinsten Deutsch.

      In tiefer Bewegung hob ihn Baron Schilling empor und küßte ihn wiederholt. Der Kleine, den er mit leidenschaftlicher Innigkeit an seine breite Brust drückte, glich auffallend dem blondlockigen Knaben im blauen Sammetröckchen, dem hartbehandelten armen »Kolibri«, dem das rauhe Falkennest drüben nie zur Heimat geworden war – seinem Kinde sollte es besser werden ... »Du bist nun mein Junge, mein kleiner, braver José,« sagte er.

      »Ach ja, ich bitte sehr darum, lieber Baron, nehmen Sie sich seiner an!« rief Lucile. »Ich kann ihn nicht erziehen – unmöglich! Ich bin noch viel zu jung – eine so kleine, kindische Mama, wie Felix immer sagte ... Wir stehen wie Bruder und Schwester zusammen, José und ich; er lacht mich geradezu aus, wenn ich einmal vernünftig sein will – bah, den Jahren nach könnten wir ja auch ganz gut Geschwister sein! ... Da sehen Sie her, Paula paßt besser zu ihrem Mamachen – gelt, mein süßes Baby?« Mit schmeichelnder Hand fuhr sie über die blonden Locken des kleinen Mädchens. »Das ist mein Abgott, müssen Sie wissen; sie soll mir Zug für Zug gleichen – finden Sie das nicht auch, Baron?« Er antwortete nicht. Den Knaben neben sich auf den Boden stellend, trat er rasch zur Seite. Die schwarzgekleidete Dame hatte sich bis dahin völlig passiv verhalten; nun aber winkte sie, daß man den metallbeschlagenen Koffer, der erst jetzt aus der Säulenhalle hereingetragen wurde, zu ihren Füßen niedersetzen möchte – es war die herrische, kurzbefehlende Handbewegung einer echten Plantagenfürstin, die vom ersten Lallen an gewohnt ist, ein Heer von Sklaven zu kommandieren. Vor dieser Gebärde wich der Herr des Schillingshofes unwillkürlich zurück.

      Lucile sah das und lächelte boshaft. Erst jetzt bequemte sie sich zu einigen vorstellenden Worten; fast zugleich kam auch Mamsell Birkner vom äußersten Ende des Korridors her. Durch offene Türen hatte man das eilige Zurückschlagen der Fensterladen und das Zurechtrücken von Möbeln gehört – die Reisenden waren ja früher eingetroffen, als man erwartet hatte – und nun meldete die Wirtschaftsmamsell, daß alles bereit sei.

      »Na, gottlob, daß wir unter Dach sind!« rief Lucile und machte eine Gebärde, wie ein kleiner, matter Vogel, der von einem versagenden Beinchen auf das andere trippelt. »Ich bin todmüde! Ah, ich lechze buchstäblich danach, mich auszustrecken! Gehen wir, Mercedes!«

      Ihre Schwägerin bewegte sich nicht von der Stelle. »Ist die Dame des Hauses krank?« fragte sie und richtete zum erstenmal den Blick voll auf das Gesicht des Hausherrn.

      Er kämpfte mit einer sichtlichen Verlegenheit. »Meine Frau ist augenblicklich in Rom,« versetzte er zögernd.

      Lucile lachte laut auf. »Ach, was Sie sagen! Gerade jetzt? Ja, ja, das ließ sich denken – sie ist immer so apart, Ihre Frau, lieber Baron!«

      Die andere Dame schwieg. Sie knöpfte den Handschuh an der Linken zu, zog den schützenden weißen Tüllstreifen wieder über das zarte Gesicht der kleinen Paula und ergriff Josés Hand. »Wollen Sie die Güte haben, uns das nächste Hotel zu bezeichnen, Herr Baron?« fragte sie kalt höflich, aber aus ihren Augen stammte tiefverletzter, unbändiger Stolz. Schwebenden Schrittes, den Blick auf den Ausgang der Flurhalle richtend, wollte sie unverzüglich cm ihm vorübergehen; aber er hob unwillkürlich zurückhaltend die Hand.

      »In jeder anderen Lage würden Sie vollkommen recht haben, die Gastfreundschaft eines Hauses zurückzuweisen, das keine Herrin hat,« sagte er ernst und bestimmt in gedämpftem Tone. »Aber bedenken Sie wohl, gnädig« Frau, daß Sie nicht als Besuch, sondern in einer Mission kommen, zu deren Ausführung gerade dieses Haus unumgänglich nötig ist ... Mein armer Freund hat sicher nicht gedacht, daß sein heißester Wunsch durch ein solches Bedenken in die Gefahr gebracht werde, zu scheitern.« Diese letzte Bemerkung klang scharf. »Ich weiß nicht, wie lange meine Frau ausbleiben wird,« setzte er hinzu;«aber bis zu ihrer Zurückkunft werden Sie, mit Ausnahme der nötigen Dienerschaft, die einzigen Bewohner des Schillingshofes sein – ich selbst wohne weit drüben im Garten, in meinem Atelier.«

      Schon bei dem Hinweis auf ihre Mission hatte sich die Dame mit einem sprechenden Blick auf die Kinder zurückgewendet, und nun neigte sie kurz entschlossen und zustimmend den Kopf.

      Baron Schilling schritt voraus, und Lucile hing sich an seinen Arm; die anderen folgten – auch die Kammerjungfer Minna, die den Inhalt des zertrümmerten Koffers in ihren Reisemantel zusammengerafft hatte – während Mamsell Birkner davoneilte, um Erfrischungen zu beschaffen.

      Draußen fuhr der Wagen weg, der die Reisenden gebracht hatte. Die Leute des Hauses – es war keiner mehr von denen dabei, die vor acht Jahren im Schillingshofe gedient hatten – standen in der Säulenhalle und blinzelten den im Korridor Verschwindenden nach. »Der Kammerjungfer ist's auch nicht eingefallen, den Wagen zu bezahlen, ich hab' den Taler aus meiner Tasche geben müssen – ob ich ihn wieder kriege?« zischelte achselzuckend der Bediente. »Na, ich schreib' ihn unserer Gnädigen in die Auslagen – die wird schöne Augen machen! ... Am letzten Abend, beim Servieren hab' ich's mit meinen eigenen Ohren gehört, wie sie zu Fräulein von Riedt sagte, es seien spanisch-amerikanische Bettelleute. Und sie kann recht haben. Was wird denn in dem Kofferwerk sein? Kleiderfähnchen, weiter nichts; und in dem dort« – er zeigte auf den metallbeschlagenen Koffer – »sind Bücher und ein bißchen Wäsche, man hat das so im Griff... Unser Herr hätte die Leute in Paris kennen gelernt, sagt die Birkner; es kann sein – ich war nicht mit auf der letzten Reise. Aber die Gnädige ist toll und böse über die Einladung, das sieht ein Blinder ... Hurrjeh, sechs Stück!« zählte er an den Fingern her. »Die wollen essen und trinken. Und die Gnädige rechnet scharf