Abgetaucht. Constanze Dennig

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Название Abgetaucht
Автор произведения Constanze Dennig
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783902998132



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eine Gegenleistung erbringt. Auch die Sympathie ist nur ein Geschäft! Diese armen Patienten glauben, dass sie ein Naturrecht auf die Zuwendung der Gesellschaft und der anderen Zeitgenossen haben. Sie erwarten sich, für das Ausleben ihrer egomanischen Bedürfnisse auch noch geliebt zu werden. Das passiert aber nie, deshalb werden sie depressiv. Dann bekommen sie von der Krankenkasse bezahlte Zuwendung, von einem Profi, von mir. Meine Liebe wird in Einheiten (Position 314) abgerechnet, solange sie der Chefarzt bewilligt.

      Während dieses geistigen Schwenks in die Analyse der Sprayer-Persönlichkeit bin ich bis zur Augartenbrücke gelangt. Ab da ist es endlich rechts und links vom Kanal natürlich grün. Auf Bäume sprayt es sich offenbar schlecht. Die werfen einfach ihre Blätter ab und weg ist die Schmiererei. Die Natur ist eine Frustrationshürde für jeden Sprayer.

      Ist Sabine Katz von der Augartenbrücke gesprungen? Von der Friedensbrücke? Die Friedensbrücke kommt nicht infrage, die hat ein zu hohes Glasgeländer. Sich von der Roßauerbrücke zu werfen, wäre einfach, genauso vom Augartensteg. Eigentlich kommen alle Brücken ab der Schemerlbrücke in Betracht.

      Sabine wohnte in der Pappenheimgasse, in Brigittenau, also auf der linken Seite des Donaukanals. Die nächstgelegene Möglichkeit, um ins Wasser zu springen, wäre also die Brigittenauer Brücke gewesen. Da kommt man auch leicht über das Geländer drüber. Das wäre logisch, wenn die Katz sich wirklich umgebracht hat.

      Bis zur Brigittenauer Brücke werde ich aber nicht laufen, denn das Marillenmarmeladebrot – oder zwei – mit einem Häferlkaffee (Wie kann man nur Caffé Latte sagen?) schreien nach Verzehr.

      Ich überquere die Augartenbrücke hin zu »meiner« Seite.

      Obwohl die Rembrandtstraße nur fünf Minuten zu Fuß vom vornehmen Servitenviertel entfernt ist, ist die Atmosphäre ganz anders. Das liegt am bunten Mix aus Yuppies, Migranten und den letzten Urwienern. Aber die Urwiener sterben weg und die Häuser werden von Projektentwicklern für die Yuppies hergerichtet. Auf den Dächern erblühen die Dachterrassenwohnungen, die, wenn auch etwas billiger als auf der anderen Seite des Kanals, die Gegend hip werden lassen. Bei mir im Haus wohnen finster, da im Erdgeschoß, die Türken, im ersten und zweiten Stock noch die Urwiener mit Friedenszins und im dritten, schon entwickelten Geschoß so Leute wie ich, die sich die private Wohnung im Servitenviertel nicht leisten wollen. Man kann sagen, der Lichteinfall in den Behausungen steigt mit dem Einkommen der Bewohner. Mein Appartement ist schon recht hell, aber nicht so hell wie ober mir das im Dachgeschoß, das schon einer Dauerbeschattung bedarf. Wenn ich die Helligkeit der Wohnungen in Relation zum Einkommen setze, dann bin ich sogar besser dran als die ganz oben, denn ich brauche meinen Reichtum noch nicht wie sie hinter Jalousien zu verstecken.

      Der Ausbau des Dachbodens hat mir gleichzeitig einen Lift beschert. In der Vorliftära blieb mir gar nichts anderes übrig als zu Fuß zu gehen. Jetzt bedarf es der täglichen Überwindung meiner Bequemlichkeit, dass ich mich die Stiegen hochzwinge. Meistens siegt jedoch mein Über-Ich! Auch heute gehe ich zu Fuß. Noch zehn Kalorien für meine Marillenmarmelade verbrannt!

      Eigentlich gut gelaunt, wird meine Stimmung durch den vorwurfsvollen Gesichtsausdruck meines Michael gedämpft, der, noch in Unterhosen, öffnet, als ich an der Tür läute. Den Schlüssel hatte ich auch vergessen.

      »Wieso hebst du nicht ab?«

      »Hm? Wer soll mich um sechs anrufen?«

      Niemals würde ich zugeben, dass ich das Handy vergessen habe.

      »Du hast das Handy vergessen, gib’s zu. Und mir Vorwürfe machen, dass ich nie erreichbar bin!«

      »Ich hab es doch nicht gebraucht.«

      Mir ist nicht nach Auseinandersetzung, deshalb küsse ich ihn auf den Mund, obwohl weder ich noch er Zähne geputzt haben. Normalerweise ein No-Go. Er wendet sich ab. Oh je, schlechte Laune, nicht ausgeschlafen, Morgentief, Kopfschmerzen oder sonst was.

      »Mir ist nach Frühstück, dir auch?«

      »Nichts im Kühlschrank.«

      »Wieso, ich hab doch die Marille.«

      »Mir ist nach sauer …«

      »Gut, dann gehe ich eben duschen.«

      »Dein Telefon hat mich geweckt.« Michael klingt vorwurfsvoll. Ich verziehe mich, bevor ich zu keifen beginne.

      »Die Nummer am Display kenne ich nicht.«

      Ich eile zum Handy und schaue nach – ich auch nicht!

      2. Kapitel

      Unter der Dusche stehend, hallen die Worte von Sabines Mutter in meinem schamponierten Kopf nach: »Ich vertraue Ihnen …, ich vertraue Ihnen …« Trotz besseren Wissens – ich möchte mich nicht in einen Versicherungskrieg verwickeln lassen – eile ich mit ungeföntem Haar, kaum abgetrocknet und ohne Frühstück aus der Wohnung, um noch vor Ordinationsbeginn in der Polizeidirektion am Schottenring vorzusprechen. Da ich nicht schneller bin, wenn ich mich dem morgendlichen Gerangel in den Öffis aussetze, marschiere ich zu Fuß über die Augartenbrücke Richtung Schottentor. Überdies werden dann meine Haare inzwischen naturgetrocknet sein, was bei meiner praktischen Kurzhaarfrisur genau fünfzehn Minuten bei einer Außentemperatur von 22 Grad, sagt das Handy, dauern wird. Am Weg zum Kommissariat wuschle ich die Haare mit beiden Händen durch, dann schauen sie wie gestylt aus. Oh je, ich habe Michael vergessen. Der wird mir mein Verschwinden, ohne mich liebevoll verabschiedet zu haben, übel nehmen. Aber was muss er auch sofort wieder ins Bett verschwinden? Wenn er mir ein Frühstück gerichtet hätte, wäre ihm als Dank ein Marillenmarmeladekuss zum Abschied sicher gewesen.

      Ich mag Polizisten. Dafür, dass sie immer nur unfreundlich behandelt werden, sind sie erstaunlich geduldig. Meine Sympathie für sie und ihre Arbeit müssen meine Kontaktleute in der Polizeidirektion spüren, denn im Gegensatz zu meinen anderen Gutachterkollegen mögen die Kommissare mich ebenfalls. Jedenfalls hatte ich noch nie Probleme mit ihnen. Ich überlege, wen ich wegen der Katz ansprechen soll. Die Polizei darf eigentlich keine Informationen an nicht beteiligte Außenstehende weitergeben. Unmittelbarer Ansprechpartner wäre ja der Polizeiarzt Dr. Würzl, aber der ist ein unterbelichteter Trottel, der schon im Studium alle Prüfungen nur aufs zweite Mal geschafft hat. Gerade bei Gerichtsmedizin ist er gar nur kommissionell durchgekommen. Was ihm an Intelligenz fehlt, macht er aber durch Arroganz wett. Drum: Ich werde die Frau Oberinspektor Sacherl ansprechen. Mit Erika verbindet mich unsere gemeinsame Abneigung gegen Würzl und unsere Vorliebe für die Vinothek Brioni, wo wir uns gelegentlich treffen. Im Büro von Erika erfahre ich leider von ihrem Sekretariat, dass sie heute auf Schulung ist. Also doch der Würzl, denn unverrichteter Dinge möchte ich nicht gehen. Mit dem Würzl bin ich noch immer per Sie. Ich habe allen seinen Versuchen, mit mir bei diversen Studienkollegentreffen auf das Du anzustoßen, widerstanden. Beruflich ein Fehler, privat ein Gewinn.

      Würzl lässt mich vor seinem Büro warten, obwohl ich weiß, dass da sicher niemand drin ist. Das braucht er, um mir seine Macht zu demonstrieren. Soll er, ich werde mich wie ein Mäuschen gebärden und mir lieber die Zunge abbeißen, als wie beim letzten Treffen eine Anspielung auf die von ihm bei einem Opfer übersehene Stichwunde zu machen. Endlich darf ich rein. Da sitzt er hinter seinem leeren Schreibtisch, den nur eine vertrocknete Grünlilie ziert.

      »Nehmen Sie Platz!«

      Er dirigiert mich auf den Delinquentensessel, obwohl er auch eine Sitzgarnitur zu Besprechungszwecken in seinem Büro hat. Gehorsam setze ich mich.

      »Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen.«

      »Selbstverständlich, meine Pflicht! Welchen Suizid wollen Sie mir herausreißen?«

      So viel Zynismus hätte ich ihm gar nicht zugetraut.

      »Sie sind sich wohl darüber im Klaren, dass ich nicht verpflichtet bin, Ihnen bei Ihrer Publikation unter die Arme zu greifen. Das ist reine Gefälligkeit.«

      Ich sage mir, Alma bleib cool, lass dich nicht provozieren …

      »Ja, dafür bin ich Ihnen auch sehr dankbar. Ich werde Ihre Unterstützung natürlich