Название | Das adelige Nest |
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Автор произведения | Иван Тургенев |
Жанр | Русская классика |
Серия | |
Издательство | Русская классика |
Год выпуска | 0 |
isbn |
Elftes Kapitel
Bis zur Rückkehr von Iwan Petrowitsch aus dem Auslande befand sich, wie wir schon gesagt haben, Fedia unter der Obhut von Glaphira Petrowna. Er war noch nicht acht Jahre, als seine Mutter starb; er sah sie nicht jeden Tag und liebte sie leidenschaftlich. Das Andenken an sie, an ihr sanftes und bleiches Antlitz, an ihre traurigen Blicke und schüchternen Liebkosungen grub sich auf ewig in sein Herz; dunkel ahnte er ihre Lage im Hause; er fühlte, zwischen ihm und ihr sei eine Grenze, die sie nicht zu überschreiten wage, die sie nicht, vernichten könne. Es zog ihn nicht zu seinem Vater, auch liebkoste ihn Iwan Petrowitsch selten; sein Großvater streichelte ihm von Zeit zu Zeit den Kopf und erlaubte ihm, seine Hand zu küssen, nannte ihn aber einen kleinen Bären und hielt ihn für dumm. Nach dem Tode von Melanie Sergeiewna nahm ihn seine Tante völlig in ihre Hände. Fedia fürchtete sie, fürchtete ihre hellen, scharfen Augen, ihre schneidende Stimme; in ihrer Gegenwart wagte er keinen Laut von sich zu geben; wenn er zuweilen sich kaum auf seinem Stuhle rührte, hörte er sie schon zischen: »wohin? Sitz ruhig.« – Sonntags, nach der Messe, war es ihm erlaubt, zu spielen, das heißt matt gab ihm ein dickes Buch, ein geheimnißvolles Buch, das Werk eines gewissen Maximowitsch-Ambodyk, unter dem Titel; »Symbole und Embleme.« In diesem Buche befanden sich an tausend räthselhafte Bilder, mit noch räthselhafteren Erklärungen in fünf Sprachen. In diesen Bildern spielte Cupido mit einem nackten dicken Körper eine große Rolle. Zu einem derselben unter dem Titel: »Safran und Regenbogen,« war die Erklärung: »Ihre Wirkung ist groß;« unter einem andern Bilde, welches einen fliegenden Reiher mit einem Veilchen im Schnabel darstellte, stand das Motiv: »Dir sind sie Alle bekannt.« – »Cupido und ein Bär, der seine Kleinen leckt,« bedeuteten »nach und nach.«
Fedia betrachtete diese Zeichnungen, alle waren ihm bis ins Kleinste bekannt: einige, immer ein und dieselben, machten ihn nachdenken und weckten seine Einbildungskraft; eine andere Zerstreuung kannte er nicht. Als die Zeit kam, ihm Sprachen zu lehren, miethete Glaphira Petrowna für einen Spottpreis eine alte Demoiselle, eine Schwedin mit rothen Kaninchenaugen, die sehr fehlerhaft französisch und deutsch sprach, kaum Clavier spielen konnte, aber vortrefflich Gurken einzusalzen verstand. In der Gesellschaft dieser Lehrerin, seiner Tante und noch einer alten Dienstmagd, Wassiljewna, verbrachte Fedia vier lange Jahre.
Zuweilen sitzt er in einem Winkel mit seinen »Emblemen,« – er sitzt; . . . in der niedrigen Stube riecht es nach Geranium, trübe brennt ein einziges Talglicht, ein Heimchen zirpt einförmig, als langweile es sich, die kleine Wanduhr pickt eilig an der Wand, verstohlen kratzt und nagt eine Maus hinter der Tapete und die drei alten Jungfern bewegen schweigend und eilig, den Parzen gleich, ihre Stricknadeln, die Schatten ihrer Hände laufen bald hin und her, bald zittern sie sonderbar im Halbdunkel, und sonderbare, sogar düstere Gedanken drängen sich im Kopfe des Knaben auf. Niemand hätte Fedia ein interessantes Kind genannt; er war ziemlich bleich aber dick, ungeschickt gebaut und ungelenk, – ein wahrer Bauer, wie Glaphira Petrowna sich, ausdrückte; die Blässe wäre bald von seinem Gesichte verschwunden, wenn man ihn öfter in freier Luft hätte herumlaufen lassen. Er lernte ziemlich gut, obgleich er oft faul war; niemals weinte er; doch zuweilen überkam ihn ein wilder Eigensinn; in solchen Augenblicken vermochte Niemand etwas über ihn, Fedia liebte Niemanden von denen, die ihn umgaben . . . weh’ dem Herzen, daß in der Jugend nicht geliebt hat.
So fand ihn Iwan Petrowitsch und wandte, ohne Zeit zu verlieren, sein System auf ihn an. – »Vor Allem will ich aus ihm einen Menschen machen, un homme,« sagte er zu Glaphira Petrowna, »und nicht allein einen Menschen, sondern auch einen Spartaner.« Um sein Ziel zu erreichen, begann Iwan Petrowitsch damit, daß er seinem Sohne ein schottisches Costume gab; der zwölfjährige Knabe ging mit nackten Waden und einer Hahnenfeder an seiner Mütze herum, die Schwedin ersetzte ein junger Schweizer, der alle Feinheiten der Gymnastik kannte; die Musik wurde als eine des Mannes unwürdige Kunst auf ewig verbannt; mit Naturgeschichte, allgemeinem Rechte, Mathematik, Tischlerei, nach- dem Rathe Jean Jacques Rousseau’s, und mit Heraldik, zur Stärkung der ritterlichen Gefühle, – mußte sich der zukünftige »Mensch« beschäftigen; man weckte ihn um vier Uhr Morgens, begoß ihn sofort mit eiskaltem Wasser, und er mußte an einem Stricke um eine hohe Säule herum laufen; er aß nur einmal am Tage, bekam ein einziges Gericht, ritt, schoß mit der Armbrust; bei jeder passenden Gelegenheit mußte er sich, nach dem Beispiele seines Vaters, in der Kraft des Willens üben, und jeden Abend mußte er sich in einem besonderen Hefte Rechenschaft über den vergangenen Tag und über seine Eindrücke geben; Iwan Petrowitsch seiner Seits schrieb ihm seine Verhaltungsregeln auf Französisch und nannte ihn in denselben mon fils und sagte zu ihm vous. Auf Russisch sprach Fedia zu seinem Vater, vous; durfte sich aber nicht in seiner Gegenwart setzen. Das »System« machte den Knaben ganz irre, brachte allerhand tolles Zeug in seinen Kopf und drückte denselben zusammen; auf seine Gesundheit dagegen wirkte die neue Lebensart ganz segensreich, Anfangs freilich bekam er das hitzige Fieber, bald aber wurde er wieder gesund und ward kräftig und rüstig. Der Vater war stolz auf ihn und nannte ihn in seiner sonderbaren Sprache: Sohn der Natur, meiner Schöpfung. Als Fedia sechzehn Jahre alt war, hielt es Iwan Petrowitsch für seine Pflicht, ihn sobald als möglich Verachtung des weiblichen Geschlechtes einzuflößen, und der junge Spartaner mit zaghaftem Herzen, mit dem ersten Flaum auf der Lippe, voll von Saft, Kraft und Blut, suchte schon gleichgültig, kalt und grob zu scheinen.
Inzwischen schwand die Zeit dahin, Iwan Petrowitsch verbrachte die größte Zeit des Jahres in Lawriky, so hieß das größte seiner Rittergüter, das zugleich auch das Stammgut seiner Familie war. Im Winter reiste er nach Moskau allein, wohnte im Gasthause, besuchte fleißig den Club, spielte den Redner, erklärte seine Pläne in den Salons, spielte mehr als je den Anglomanem den Difficilen, den Staatsmann. Doch da brach das Jahr 1825 an; nahe Bekannte und Freunde von Iwan Petrowitsch mußten schwere Prüfungen ertragen, Iwan Petrowitsch zog sich eilig in sein Dorf zurück und verschloß sich in seinem Hause. Es schwand noch ein Jahr dahin und die Gesundheit Iwan Petrowitsch’s brach plötzlich zusammen, er wurde schwach, er siechte hin. Der Freigeist besuchte jetzt fleißig die Kirchen, ließ Messen lesen; der Europäer nahm russische Schwitzbäder, aß um zwei Uhr zu Mittag, legte sich um neun Uhr schlafen, schlummerte beim Geschwätz eines alten Haushofmeisters ein; der Staatsmann verbrannte alle seine Pläne, seine Correspondenz, zitterte vor dem Gouverneur, schwänzelte vor dem Isprawnik; der Mann mit eisernem Willen schluchzte und klagte, wenn er ein kleines Geschwür bekam, wenn man ihm einen Teller kalte Sappe brachte. Wieder ward Glaphira Petrowna die Alleinherrscherin im Hause; wieder gingen die Verwalter, die Schulzen und einfache Bauern auf der Hintertreppe zum »alten Geizhals«, wie sie das Gesinde nannte.
Die Veränderung Iwan Petrowitsch’s setzte seinen Sohn höchlichst in Erstaunen, er war neunzehn Jahre, begann zu denken und die Last der auf ihm ruhenden Hand abzuschütteln; schon früher hatte er den Widerspruch zwischen den Thaten und den Worten seines Vaters, zwischen seinen freisinnigen Ideen und zwischen seinem engherzigen, kleinlichen Despotismus bemerkt; der alte Egoist sprach sich selbst offen aus. Der junge Lawretzky wollte eben nach Moskau reisen, um sich zur Universität vorzubereiten, als sich ein nettes, unerwartetes Unglück über dem Haupte Iwan Petrowitsch’s entlud: er erblindete, erblindete hoffnungslos und an einem einzigen Tage.
Der Geschicklichkeit der russischen Aerzte nicht trauend, suchte er um die Erlaubniß nach, in’s Ausland reisen zu dürfen; dies wurde ihm verweigert. Da nahm er seinen Sohn mit sich und wanderte drei Jahre in ganz Rußland von einem Arzte zum andern, fortwährend aus einer Stadt in die andere reisend und die Aerzte, den Sohn und seine Bedienung durch seine Kleinmüthigkeit und seine Ungeduld zur Verzweiflung bringend.
Vollkommen