Der Graf von Monte Christo. Александр Дюма

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Название Der Graf von Monte Christo
Автор произведения Александр Дюма
Жанр Зарубежная классика
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Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
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wieder auf das Billet, um es zum zweiten Male zu lesen, und bemerkte, daß es eine Nachschrift hatte. Julie las:

      »Es ist wichtig, daß Sie diese Sendung in Person und allein erfüllen; kämen Sie begleitet, oder es erschiene eine andere Person an Ihrer Stelle, so würde der Concierge antworten, er wisse nicht, was man wolle.«

      Diese Nachschrift mäßigte bedeutend die Freude von Julie. Hatte sie nichts zu befürchten? war es nicht eine Falle, die man ihr stellte? Ihre Unschuld ließ sie in Unwissenheit darüber, welchen Gefahren ein Mädchen von ihrem Alter preisgegeben sein könnte. Aber man braucht die Gefahr nicht zu kennen, um sie zu fürchten, und es ist bemerkenswert, daß gerade die unbekannten Gefahren den größten Schrecken einflößen. Julie zögerte; sie beschloß, um Rath zu fragen; doch in Folge eines seltsamen Gefühlen nahm sie ihre Zuflucht weder zu ihrer Mutter noch zu ihrem Bruder, sondern zu Emmanuel.

      Sie ging hinab und erzählte ihm, was ihr am Tage der Erscheinung des Bevollmächtigten von Thomson und French bei ihrem Vater begegnet war; sie teilte ihm die Szene auf der Treppe mit, wiederholte das Versprechen, das sie geleistet hatte, und zeigte ihm den Brief.

      »Sie müssen den Gang machen, mein Fräulein,« sagte Emmanuel.

      »Ich muß ihn machen?«

      »Ja, ich begleite Sie.«

      »Haben Sie denn nicht gelesen, daß ich allein sein soll?« entgegnete Julie.

      »Sie werden auch allein sein; ich erwarte Sie an der Ecke der Rue du Musée, und wenn Sie so lange ausbleiben, daß es mir Unruhe bereitet, so suche ich Sie auf, und ich stehe Ihnen dafür, wehe denen, von welchen Sie mir sagen werden, Sie haben sich über sie zu beklagen!«

      »Also, Emmanuel,« versetzte zögernd das junge Mädchen, »es ist also Ihre Ansicht, daß ich dieser Aufforderung Folge leisten soll?«

      »Ja. Sagte Ihnen der Bote nicht, es handle sich um die Wohlfahrt Ihren Vaters?«

      »Aber, Emmanuel, welche Gefahr läuft er denn?«fragte Julie.

      Emmanuel zögerte einen Augenblick doch das Verlangen, sie mit einem einzigen Schlage und ohne Verzug zu bestimmen, gewann die Oberhand und er sprach:

      »Hören Sie, nicht wahr, es ist heute der 5te September?«

      »Ja.«

      »Heute um elf Uhr soll Ihr Vater gegen dreimal hunderttausend Franken bezahlen.«

      »Ja, wir wissen das.«

      »Nun, er hat keine fünfzehntausend in der Kasse.«

      »Was wird dann geschehen?«

      »Es wird geschehen, daß Ihr Vater, wenn er heute vor elf Uhr nicht Einen gefunden hat, der ihm zu Hilfe kommt, um Mittag genötigt ist, sich zahlungsunfähig zu erklären.«

      »Ah! kommen Sie,« rief Julie und zog den jungen Mann mit sich fort.

      Mittlerweile hatte Madame Morrel ihrem Sohne Alles auseinandergesetzt. Der junge Mann wußte wohl daß in Folge seinem Vater hinter einander widerfahrener Unglücksfälle große Reformen in den Ausgaben des Hauses vorgenommen worden waren, aber er wußte nicht, daß sich die Sachen bis auf diesen Grad schlimm gestaltet hatten. Er blieb wie vernichtet; dann eilte er plötzlich aus dem Zimmer und stieg rasch die Treppe hinauf, denn er glaubte, sein Vater wäre in seinem Cabinet; aber er klopfte vergebens. Als er vor der Thüre des Cabinets stand, hörte er die untere Wohnung sich öffnen; er wandte sich um und sah seinen Vater. Statt gerade in sein Cabinet hinaufzugehen, war Herr Morrel in sein Zimmer gegangen, und kam jetzt erst aus diesem. Herr Morrel stieß einen Schrei der Überraschung aus, als er Maximilian erblickte: er wußte nichts von der Ankunft seines Sohnes. Der Vater blieb unbeweglich auf der Stelle und preßte mit dem linken Arme einen Gegenstand, den er unter seinem Oberrock verborgen hielt. Maximilian stieg rasch die Treppe hinab und warf sich seinem Vater um den Hals; aber plötzlich wich er zurück und ließ nur seine linke Hand auf der Brust von Morrel ruhen.

      »Mein Vater,« sagte er bleich wie der Tod, »warum haben Sie ein Paar Pistolen unter Ihrem Oberrock?«

      »O! das befürchtete ich,« versetzte Morrel.

      »Mein Vater! mein Vater! im Namen des Himmels,« rief der junge Mann, »wozu diese Waffen?«

      »Maximilian,« antwortete Morrel, seinen Sohn starr anschauend, »Du bist ein Mann, Du bist ein Mann von Ehre, komm, und ich werde es Dir sagen.«

      Und mit sicherem Schritte stieg Morrel in sein Cabinet hinauf, während ihm sein Sohn wankend folgte. Morrel öffnete die Thüre und schloß sie wieder hinter seinem Sohne: dann durchschritt er das Vorzimmer, näherte sich dem Bureau, legte seine Pistolen auf die Ecke des Tisches und bezeichnete Maximilian mit der Fingerspitze ein offenes Buch. In diesem Buche war der Stand der Dinge genau eingetragen. Morrel hatte in einer halben Stunde zweimal hundert siebenundachtzig tausend fünfhundert Franken zu bezahlen und besaß im Ganzen fünfzehn tausend zweihundert siebenundfünfzig Franken.

      »Lies,« sprach Morrel.

      Der junge Mann las und war einen Augenblick völlig niedergeschmettert. Morrel sprach kein Wort: was hätte er dem unerbittlichen Urteile der Zahlen beifügen können?«

      »Und Sie haben Alles getan, um diesem Unglück zu begegnen, mein Vater?« fragte der junge Mann.

      »Sie haben auf keine Rückzahlung zu rechnen?«

      »Auf keine.«

      »Sie haben alle Ihre Quellen erschöpft?«

      »Alle.«

      »Und in einer halben Stunde ist unser Name entehrt?« fügte der Sohn mit düsterem Tone bei.

      »Blut wäscht die Schande ab,« sprach Morrel.

      »Sie haben Recht, mein Vater, ich verstehe Sie.«

      Dann seine Hand nach den Pistolen ausstreckend, fügte Maximilian bei:

      »Eine für Sie, eine für mich, ich danke.«

      Morrel hielt seine Hand zurück.

      »Und Deine Mutter . . . Deine Schwester . . . wer wird sie ernähren?«

      Ein Schauer durchlief den ganzen Leib des jungen Mannes.

      »Mein Vater,« sprach er, »bedenken Sie, daß Sie mich leben heißen?«

      »Ja, ich sage es Dir, denn es ist Deine Pflicht; Du hast einen starken, ruhigen Geist, Maximilian . . . Maximilian, Du bist kein gewöhnlicher Mensch; ich befehle Dir nichts, ich schreibe Dir nichts vor, ich sage Dir nur: Untersuche die Lage der Dinge, als ob Du ein Fremder wärest, und urteile dann selbst.«

      Der junge Mann dachte einen Augenblick nach, dann trat ein Ausdruck erhobener Resignation auf seinem Antlitz hervor; nur guckte er mit einer langsamen, traurigen Bewegung die Epaulette und die Contreépaulette, die Zeichen seines Grades.

      »Wohl,« sprach er, Morrel die Hand reichend, »sterben Sie im Frieden, ich werde leben, mein Vater.«

      Morrel machte eine Bewegung, um sich seinem Sohne zu Füßen zu werfen. Maximilian zog ihn an sich, und diese zwei edle Herzen schlugen einen Augenblick fest an einander gepreßt.

      »Du weißt, daß es nicht meine Schuld ist?« sagte Morrel.

      Maximilian lächelte.

      »Ich weiß, mein Vater, daß Sie der ehrlichste Mann sind, den ich kennen gelernt habe.«

      »Wohl, Allen ist abgemacht, kehre nun zu Deiner Mutter und zu Deiner Schwester zurück.«

      »Mein Vater,« sprach der junge Mann, das Knie beugend, »segnen Sie mich.«

      Morrel nahm den Kopf seines Sohnes zwischen seine zwei Hände und drückte wiederholt seine Lippen darauf.

      »Ja, ja,« rief er, »ich segne Dich in meinem Namen und im Namen von drei Generationen vorwurfsfreier Menschen. Höre, was sie Dir durch meine Stimme sagen: Das Gebäude, welchen das Unglück zerstört hat, kann die Vorsehung wieder aufbauen. Wenn sie mich einen solchen Tod sterben sehen, werden die Unerbittlichsten Mitleid mit mir haben; Dir wird man vielleicht die Zeit gönnen, welche man mir verweigert hat; dann strebe vor Allem danach,