Der kleine Ritter. Генрик Сенкевич

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Название Der kleine Ritter
Автор произведения Генрик Сенкевич
Жанр Зарубежная классика
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Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
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es sich, ihrem Beispiele zu folgen? —

      Wolodyjowski zog also, begleitet von Gewissensbissen, nach Reußen. Er war aber insoweit gerecht, daß er die ganze Schuld auf sich nahm und nicht etwa auf Christine abwälzte. Im Gegenteil; zu den vielen beunruhigenden Stimmen, die ihm zuflüsterten, trat auch die, ob nicht Christine im Grunde ihrer Seele ihm diese Eile übel deuten könnte.

      »Sie selbst hätte gewiß nicht so gehandelt,« sagte Michael zu sich selber, »und da sie eine große Seele hat, verlangt sie unzweifelhaft auch von anderen diese Größe.«

      Und es erfaßte ihn die Furcht, ob er ihr etwa klein erschienen sein könnte. Aber es war unnütze Furcht. Was kümmerte Christine Michaels Trauer; wenn er ihr zu viel davon sprach, so erregte das nicht nur ihre Teilnahme, sondern es reizte sogar ihre Eigenliebe. War etwa sie, die Lebende, der Toten nicht wert? War sie überhaupt so wenig wert, daß die verstorbene Anna ihre Rivalin sein konnte? Wäre Sagloba in das Geheimnis eingeweiht gewesen, er hätte Michael sicherlich damit beruhigt, daß die Frauen für einander nicht allzuviel Mitleid haben.

      Und doch war Christine nach der Abreise Wolodyjowskis sehr erstaunt über das, was vorgegangen, und daß das Schloß bereits in den Riegel gefallen war. Als sie nach Warschau reiste, wo sie nie vorher gewesen war, hatte sie sich vorgestellt, daß alles ganz anders sein würde. Zum Wahlreichstag und zur Wahl würden die bischöflichen Herren mit Gefolge, die Würdenträger mit ihren Leuten, eine leuchtende Ritterschaft von allen Seiten der Republik zusammenkommen. Da würde es Vergnügen, Lustbarkeiten, Wettkämpfe geben, und mitten in diesem Lärm in den Scharen der Ritterschaft würde »er« erscheinen.

      Der Ritter, wie ihn nur in Träumen die Mädchen sehen; er würde in Liebe zu ihr entbrennen, unter ihrem Fenster mit der Zither stehen, lange lieben und seufzen, lange die Farbe der Geliebten im Wappen führen, ehe er nach zahlreichen Leiden und schwer überwindlichen Hindernissen ihr zu Füßen fallen und ihre Gegenliebe gewinnen würde.

      Nichts von alledem war geschehen. Die farbigen, wie Regenbogen schillernden Nebel waren zerstoben, und der Ritter war erschienen, sogar ein ganz außerordentlicher Ritter, der für den ersten Kriegsmann der Republik galt, ein großer Herr, aber jenem »er« sehr wenig, ja ganz und gar nicht ähnlich. Auch keine Ritterspiele und keine Laute, keine Turniere, keine Wettkämpfe, keine farbigen Bänder im Wappen, keine Lustbarkeiten der Ritterschaft, keine Vergnügungen, all das nicht, was als ein schöner Traum des Maien, als ein wunderbares Märchen wie der Duft der Blumen berauscht; wovon das Antlitz in Röte erglüht, das Herz bebt, der ganze Körper erzittert … Nur ein kleines Schlößchen hinter der Stadt, in diesem sie, Herr Michael, dann die Erklärung – und das war alles. Alles andere war entschwunden wie die Mondscheibe am Himmel entschwindet, wenn die Wolke ihn bedeckt … Wenn dieser Herr Michael wenigstens am Ende des Märchens gekommen wäre, er wäre willkommen geheißen worden. Bisweilen, wenn Christine an seinen Ruhm dachte, an seine Tapferkeit, an seinen Mut, die ihn zum Stolz der ganzen Republik und zum Schrecken ihrer Feinde gemacht hatten, empfand sie, daß sie ihn doch sehr liebe, sie glaubte nur, es sei ihr etwas entgangen, es sei ihr ein Unrecht geschehen – ein wenig von ihm selber – oder richtiger durch die Eile …

      So war diese Eile für beide ein kleiner Nadelstich ins Herz, und da sie immer weiter voneinander entfernt wurden, begann der kleine Stich ein wenig zu schmerzen. So pflegt in menschlichen Empfindungen manchmal etwas wie ein ganz unbedeutender Dorn zu stechen, bald heilt es von selber zu, bald wächst der Schmerz und fügt selbst der größten Liebe Leid und Bitterkeit zu. Aber zwischen ihnen war es noch weit entfernt von Leid und Bitterkeit. Besonders für Michael war Christine eine süße, beseligende Erinnerung, und ihr Gedenken folgte ihm wie der Schatten dem Menschen. Er dachte auch, je weiter er sich von ihr entferne, desto teurer würde sie ihm werden, desto mehr würde er sich nach ihr sehnen, nach ihr seufzen. Ihr ging die Zeit schwerer dahin, denn seitdem der kleine Ritter fortgereist war, besuchte niemand mehr Ketlings Haus, und Tag um Tag ging in Einförmigkeit und Langweile dahin.

      Die Frau Truchseß sah der Ankunft ihres Mannes entgegen, zählte die Tage bis zur Wahl und sprach nur von ihm! Bärbchen wurde sehr still. Sagloba zog sie auf, daß sie jetzt, nachdem sie Nowowiejski den Abschied gegeben, sich nach ihm zurücksehne. In der Tat hätte sie lieber gesehen, daß wenigstens er gekommen wäre, aber er hatte sich gesagt: Du hast hier nichts zu schaffen, und rückte kurz nach Wolodyjowski aus. Auch Sagloba wollte wieder zu den Skrzetuskis zurückkehren und sprach immer davon, wie bange ihm nach den Provinzialen sei; aber er war träge und verschob seine Abreise von Tag zu Tag. Bärbchen setzte er auseinander, sie sei die Ursache seiner Verzögerung, denn er sei in sie verliebt und habe die Absicht, um ihre Hand anzuhalten.

      Inzwischen leistete er Christine Gesellschaft, wenn Frau Makowiezka mit Bärbchen zur Frau Kämmerer fuhr. Christine begleitete sie nie bei diesen Besuchen, denn die Frau Kämmerer hatte trotz ihrer Güte Christine nicht gern. Aber oft begab sich auch Sagloba nach Warschau, wo er in artiger Gesellschaft die Zeit hinbrachte. Bisweilen kehrte er erst am folgenden Tage berauscht zurück, und da war Christine ganz allein und brachte die einsamen Stunden in Gedanken hin; bald dachte sie an Wolodyjowski, bald auch daran, was da hätte geschehen können, wenn jenes Schloß nicht ein für allemal in den Riegel gefallen wäre; oft sogar, wie wohl jener unbekannte Nebenbuhler Michaels ausgesehen hätte, der Prinz aus dem Märchenland …

      So saß sie einstmals am Fenster und schaute in Gedanken auf die Tür des Zimmers hin, auf welche ein greller Schein der untergehenden Sonne fiel, als plötzlich Schlittengeläut von der anderen Seite des Hauses hörbar wurde. Christine fuhr es durch den Sinn, daß Frau Makowiezka mit Bärbchen heimgekommen sein müsse; aber das brachte sie nicht von ihren Gedanken ab, und sie wandte nicht einmal die Augen von der Tür. Indessen öffnete sich die Tür, und auf dem Grund der dunklen Tiefe erschien den Augen des Mädchens ein unbekannter Mann.

      Im ersten Augenblick schien es Christine, als sähe sie ein Bild, oder als sei sie eingeschlummert und träume, so wunderbar war die Erscheinung, die vor ihr stand … Der Unbekannte war ein junger Mann in schwarzem, fremdländischem Gewande mit einem weißen Spitzenkragen, der bis auf die Arme herabfiel. In ihrer Kinderzeit hatte Christine einmal Herrn Arzischewski, General der Artillerie, in ähnlicher Tracht gesehen, und er war ihr wegen dieser Tracht wie auch wegen seiner ungewöhnlichen Schönheit lange im Gedächtnis geblieben. Und ganz so war dieser Jüngling gekleidet, nur, daß er durch seine Schönheit bei weitem Herrn Arzischewski in den Schatten stellte und alle Männer, die auf Erden wandelten. Sein prächtiges Haar, über der Stirn gleichmäßig geschnitten, fiel in hellen Locken zu beiden Seiten seines Antlitzes herab. Seine Augenbrauen waren dunkel und hoben sich deutlich von seiner marmorweißen Stirn ab, seine Augen schwärmerisch traurig, sein Schnurrbart und sein spitzer Kinnbart blond. Es war ein Kopf ohnegleichen, in welchem Edelmut und Tapferkeit vereint waren, der Kopf eines Engels und eines Ritters.

      Christine stockte der Atem im Busen, denn sie sah und glaubte ihren Augen nicht, und sie konnte nicht feststellen, ob sie eine Täuschung oder einen wirklichen Menschen vor sich habe. Er stand eine Weile unbeweglich da, erstaunt oder doch aus Höflichkeit Erstaunen heuchelnd über Christinens Schönheit; endlich trat er näher herein, neigte den Hut bis zum Fußboden und begann mit der Feder über die Diele zu fahren. Christine erhob sich; die Füße zitterten unter ihr, und ihre Augen schlossen sich, während ihr Antlitz bald bleich, bald rot wurde.

      Da ertönte seine tiefe, samtweiche Stimme:

      »Ich heiße Ketling of Elgin und bin Wolodyjowskis Freund und Waffenbruder. Die Dienerschaft hat mir schon gesagt, daß ich das unaussprechliche Glück und die Ehre habe, unter meinem Dache die Schwester und die Verwandten meines Kriegsherrn zu bewirten; aber verzeiht, edles Fräulein, meine Verwirrung, denn die Dienerschaft hat mir nicht gesagt, was meine Augen sehen, und diese Augen können diesen Glanz nicht ertragen …«

      Mit einem solchen Kompliment begrüßte sie der ritterliche Ketling; sie aber konnte ihm nicht mit einem gleichen heimzahlen, denn sie war keines Wortes mächtig. Sie vermutete nur, daß er nach dem Schluß dieser Rede ihr eine wiederholte Verbeugung machte, denn sie hörte in der Stille wieder das Rauschen der Feder gegen den Fußboden. Sie fühlte auch, daß sie etwas sagen müsse und die Freundlichkeit mit einer Freundlichkeit zu erwidern habe, da sie sonst für wenig höflich gelten könne; aber der Atem fehlte ihr, die Pulse in den Schläfen und in der Hand pochten, der Busen hob und