Eine Gemsjagd in Tyrol. Gerstäcker Friedrich

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Название Eine Gemsjagd in Tyrol
Автор произведения Gerstäcker Friedrich
Жанр Зарубежная классика
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Издательство Зарубежная классика
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Jagd, der in der leichten Jägertracht, den Bergstock in der Hand, nur statt des spitzen zum Pirschen, seiner Höhe und dunklen Farbe wegen nicht einmal ganz praktischen Tyroler Hutes, eine einfach graue sehr leichte Mütze trägt. Die Jäger reißen, als er an ihnen freundlich grüßend vorübergeht, rasch die Hüte herunter, und während er den schmalen Pirschpfad voranschreitet folgen mit so wenig Geräusch als möglich, die übrigen Schützen und Jäger in bunter Reihe und ächt indianischem Marsch, Einer hinter dem Andern. – Bietet der schmale Weg doch oft kaum Raum für den einen Fuß. –

      Langsam windet sich so der Zug bergauf. Der Tyroler Jäger und überhaupt der Alpenjäger hat einen langsamen aber stäten Schritt; den aber behält er bei, ob er eine sanfte Anhöhe, oder eine steile Wand ersteigt. Ruhig setzt er Fuß vor Fuß, der Brust dazwischen Zeit zum Athmen lassend; aber er rastet nie. Wenn er nicht pirschen geht, wo die ganze Jagd nur im Vorschleichen und wieder Halten und Umheräugen und Lauschen besteht, fällt's ihm nicht ein sich auszuruhen, Stunden lang, – er müßte denn eine schwere Last mit sich tragen. Die ächten Bergsteiger haben auch alle einen etwas vorwärts gebogenen Gang, aber desto sichereren Schritt, und Schwindel kennen die Leute nicht. Bricht ihnen nicht einmal an gefährlicher Stelle ein Stein unter den Füßen weg, oder schleudern über ihnen losgegangene Gemsen auf ihrer Flucht nicht lockeres Geröll auf sie nieder, das sie mit in den Abgrund nimmt, so wandern sie auf ihren schwindelnden Bergpfaden und an den hängenden Wänden so sicher hin, wie der Bewohner des flachen Landes auf seinen breiten Straßen. Der Gefahr müssen sie aber doch stets in's Auge sehn; der Tod lauert auf sie in mancherlei Gestalt und Art, und weil sie das wissen und ihm doch begegnen, deshalb auch ist ihr Blick so frei und offen, ihr Schritt so fest und keck und männlich.

      Jetzt haben wir den oberen Pirschpfad erreicht, und von der Stelle, an der wir einen Augenblick halten, sehn wir das, vor einer halben Stunde etwa verlassene Pirschhaus wie ein kleines aus Marzipan gebackenes Zuckerwerk tief hinter uns im Schatten der Bäume liegen. Hell schimmert das Dach aus der dunklen Umgebung vor, und heller noch jener schneeweiße Punkt der sich daneben zeigt. Es ist der Mundkoch, der mit seiner weißen Jacke, Schürze und Kappe vor seiner Thür stehend, die Jäger noch mit den Blicken am Berggelände suchen will. Aber die Erd- und Steinfarben gekleideten Gestalten sind lange aus seines Auges Bereich, und ihre Umrisse verschwimmen mit dem Boden auf dem sie stehn.

      Wieder wechseln hier die Bilder von Berg und Schlucht um uns her, aber das Auge forscht jetzt nach anderem Ziel: – Gemsen. Ueber den Weg laufen die Fährten eines ganzen Rudels das hier vom Joch nieder dem vorderen »Graben« zugezogen ist. Die Jäger sehen, wie sie darüber hinschreiten die Fährten an, und deuten mit der Hand auch wohl hie und da auf die besonders tief eingedrückten breiten Spuren eines alten Bockes; aber keiner von ihnen spricht mehr ein Wort. Wir sind hier im eigentlichen Gemsrevier. Spuren wie frische Losung zeigen überall die Nähe des scheuen Wildes, und der Klang der menschlichen Stimmen schallt weit auf diesen Höhen.

      Aber nichts Lebendes zeigt sich noch. Hie und da hüpft in einem Laatschenbusch einer der kleinen befiederten Bergsänger umher, und lenkt den Blick der Vorüberschreitenden rasch und forschend auf sich. Nichts Lebendes, was sich im Sehkreis regt, und überhaupt Bewegung hat entgeht dem Auge der aufmerksamen Jäger. Fünfzig Mal dabei getäuscht, sei es durch einen Vogel, eine raschelnde Maus, oder einen losgebröckelten Stein, – er ermüdet nicht, und wieder und wieder sucht das Auge nach Leben und Bewegung hier im Wald, und die Hand greift unwillkürlich nach der Waffe.

      Jetzt ist »der Graben« der getrieben werden soll erreicht, und in einem Dickicht, noch unter dem Rand, daß in der Nähe sitzende Gemsen nicht die sich regenden Gestalten der Jäger auf dem Abhang erkennen könnten, bleibt der Herr stehn.

      »Und wie wollt Ihr's nun machen?« lautet die mit unterdrückter Stimme an die herbeitretenden Jäger gerichtete Frage.

      Rainer beginnt jetzt, mit eben so vorsichtig gedämpfter Stimme seinen nochmaligen Vortrag: Dort unten auf einem bezeichneten Felsenkamm, der den Schuß nach rechts und links hinein in die steile, lawinenzerrissene Klamm erlaubt, an der und jener Wand, und dort und da sollen die Schützen stehn, und wenn die Treiber dann von dort und da herüber kommen, weiß Rainer auf ein Haar, in welchem Graben, welch eingerissene Spalte und Klamm die aufgescheuchten Rudel ihre Flucht hin nehmen müssen.

      Jetzt werden rasch die verschiedenen Jäger als Treiber oder Abwehr nach rechts und links geschickt und vorsichtig, auch das geringste Geräusch vermeidend, pirscht sich Jeder zu dem angegebenen Stand. Den Bergstock verkehrt in der Hand, die eiserne Spitze nach oben, daß sie nicht zufällig vielleicht einen Stein berühre und durch den fremden Metallklang die Gemsen schrecke, mitten in die Laatschen hinein an deren Zweigen sich die rechte Hand anklammert, während die linke den Bergstock hält und zu gleicher Zeit die Büchse aus dem Weg der Aeste rückt, schleicht der Schütze nieder. Hier einen kleinen Vorsprung benutzend, durch einen Busch gedeckt den Ueberblick über einen vielleicht lichten Fleck zu bekommen, dort der ausgewaschenen Rinne eines jetzt trockenen Bergquells folgend, indem er dadurch wenigstens das Geräusch der zurückgebogenen Zweige vermeiden kann; jetzt auf dem Boden nieder unter den Büschen durchkriechend, jetzt dazwischen hin den Weg suchend. Da wird es plötzlich licht. – Dort vor uns liegt der Rand der Klamm, und vor sich abäugend erst, ob nicht vielleicht ein einzelner alter Bock dort unten schußgerecht steht und durch längeres Zögern verscheucht werden könnte, sucht man sich jetzt, da sich die Hoffnung nicht bestätigt, einen zugleich gedeckten und doch freien Fleck, den größtmöglichsten Raum in der Nähe überschießen zu können, und so wenig als möglich durch nahe Büsche verhindert zu sein, nach verschiedenen Richtungen hin die Pässe und Wechsel zu beherrschen.

      4.

      Das Riegeln

      Trefflich für solche Lausch- und Anstandsplätze eignen sich die, diesen Gebirgen eigenthümlichen schmalen Ausläufer vorgeschobenen Gesteins, die gewöhnlich von beiden Seiten in die Ränder der Klammen hineinreichen, und oft bei nur wenigen Fuß Breite, mit Laatschen oben bis zur äußersten Spitze bewachsen, nicht allein den größten Theil der Klammen überschauen lassen, sondern auch nach drei Seiten hin einen freien Schuß gewähren.

      Auf einer solchen wunderbaren, oben kaum anderthalb Fuß breiten aber vollkommen sicheren Steinkoulisse sitzen wir jetzt, der Leser und ich, und obgleich rechts und links ein tiefer Abgrund gähnt, und man den Bergstock nicht einmal dicht vor sich einstoßen dürfte, weil er hinunter in die Tiefe fallen würde, haben wir doch nicht das Mindeste zu befürchten. Die den Armen eines Kronleuchters nicht unähnlichen zähen Laatschenzweige halten fest und gut, und während wir den Raum in der Mitte rasch mit dem Jagdmesser etwas ausgehauen, ragen die Zweige um uns her wie ein künstlicher grüner Schirm empor, und halten uns dahinter dicht versteckt.

      Nur eine Vorsicht muß der versteckte Jäger gebrauchen: nicht unvorsichtig auf die elastischen Zweige zu drücken, die durch ihr Auf- und Niederschaukeln dem scharfen Blick der noch so weit entfernten Gemse nicht lang verborgen blieben.

      Was für ein wundervoller Platz das ist, und wie so still und schweigend der dunkle wilde Wald hier um uns liegt. Auf dem aushängenden Felsen, dessen schmalen Verbindungsweg man, rechts und links umschauend, nicht einmal erkennen kann – und viele Bewegung verstattet der kaum fußbreite Sitz auch nicht – hängt man da; gleichsam abgeschnitten, über der wild zerrissenen, zu Thal stürmenden Schlucht, und von steilen, mit überhängenden Laatschen überall besetzten Wänden fest und drohend eingeschlossen.

      Der Graben, wie diese steilen Bergthäler genannt werden, bildet im Ganzen eine weite gewaltige Schlucht, wie denn auch der ganze breite Gebirgshang an der Südseite in solche Thäler oder Gräben ziemlich gleichmäßig vertheilt ist, während zwischen ihnen von oben nach unten laufende und dicht bewaldete Abschüsse oder Hänge sie von einander trennen. Im Einzelnen reißt sich aber ein solcher Graben wieder in hundert und hundert kleinere und größere Einschnitte, Schluchten, Felsspalten und Klammen, jede im Kleinen und in sich selbst, das große Bild des Ganzen wiedergebend.

      Die schroffen Wände, an denen kein fruchtbarer Boden halten kann, stehen da drinnen freilich kahl, und in den Schluchten, wo sich zur Regenzeit der Bergbach das reingewaschene ausgeschwemmte Bett gewühlt, kann auch kein Pflanzenleben gedeihen; aber die zähe Laatsche dringt doch ein, wo sie's nur irgend möglich machen kann. Nicht allein auf den Nacken der Felsen hin kriecht sie, und wirft