Eine Gemsjagd in Tyrol. Gerstäcker Friedrich

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Название Eine Gemsjagd in Tyrol
Автор произведения Gerstäcker Friedrich
Жанр Зарубежная классика
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Издательство Зарубежная классика
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giebt es hier freilich noch nicht; der Pfad ist schon an dem Morgen von den Trägern begangen worden, das Nöthigste an Provisionen, Betten und Geschirr hinaufzuschaffen, und der Wald ist auch zu dicht, weit darin auf oder ab sehn zu können – aber Rothwild spürt sich im Pfad. Hier ist ein starker Hirsch hinaufgewechselt; dort sind ein paar Stück Wild – wahrscheinlich ein Alt- und Schmalthier demselben eine Strecke gefolgt und haben sich dann links hinein in die Klamm oder Schlucht gezogen. Das Rothwild liebt überhaupt mehr als die Gemse einen bequemen Pfad, und benutzt die Pirschwege außerordentlich gern.

      Höher, immer höher kommen wir hinauf; die Kiefern und Tannen werden immer niedriger und stehn dünner, die Buchenregion haben wir schon längst verlassen, wo das fatal raschelnde gelbe Laub den Boden bedeckt, den pirschenden Jäger zu doppelter Vorsicht nöthigt, und geräuschloses Anschleichen oft ganz unmöglich macht. Hier beginnt die »Laatsche« ihr Regiment und eine offene Stelle erreichend, von der aus der Blick frei nach dem gegenüber liegenden Gebirgshang, über das Thal weg schweifen kann, hebt ein plötzliches, überraschtes »Ach!« die Brust. Vergessen ist das Steigen, vergessen Alles um uns her in dem einen, wundervollen Schauspiel, das sich dem erstaunten, jubelnden Blick da bietet.

      Dort drüben vor uns, dem Blick scheinbar so nah, daß man glauben könnte mit einer Büchsenkugel die Wände zu erreichen, während sie in der That in gerader Richtung wohl eine Stunde und weiter entfernt liegen, steigt die riesige Gruppe des Falken empor, und wie gewaltig ist der Fels gewachsen, seit wir ihn von unten zum letzten Male sahen. Dort schien er nur ein breitgedrängter, mit Nadelholz dicht bewachsener Berg, aus dem sich eine graue Felsenkuppe, nicht eben übermäßig hoch erhob. – Jetzt, nachdem wir fast eine Stunde gestiegen, und uns die Umrisse des ganzen Gebirgs scharf und klar in's Auge fallen, sehen wir daß wir noch nicht einmal die Höhe des gegenüberliegenden höchsten Fichtenwaldes erreicht, und weit weit darüber hinaus, wie ein Gebirg von Fels und Schlucht, während der blaue Aether ihn durchsichtig und leicht umfließt, thürmt sich ein riesiger Block von Felsenmassen auf, in dem sich wieder Berg und Thäler bilden. Die mächtigen Tannen die an ihm mehre tausend Fuß emporsteigen, sehn kaum Zoll hoch aus; die stattlichen Krummholzkiefern deren Büsche von zehn bis funfzehn Fuß Höhe halten, gleichen grünem Moos, das auf den nackten Flächen liegt, und schroff und steil, zerspalten und eingerissen mit furchtbaren Schluchten, für die der Blick noch nicht einmal den Maßstab hat, hebt sich die colossale Masse unfruchtbaren kahlen Kalkgesteins empor.

      Diese Kegel, Kuppen und Joche muß man aber selber erst einmal, wenigstens zum Theil, bestiegen haben, um einen Begriff ihrer Höhe und Entfernung zu erhalten. Ueberhaupt täuscht die feine, reine Luft oben auf der Höhe, selbst beim Schießen, ungemein, und Gegenstände die dem Anschein nach nur geringe Entfernung haben, weichen zurück, wenn man sich ihnen nähern will. Bis in's Unglaubliche hinein betrügt man sich ganz vorzüglich, wenn man irgend einen gegenüberliegenden Hang erreichen will. Ein Berg liegt vor uns, ein kleines, dem Anscheine nach nicht sehr tiefes Thal dazwischen; man denkt in einer halben Stunde wenigstens an der anderen Seite sein zu können, und hat in einer Stunde kaum den unten fließenden Bach erreicht. An den von Holz entblößten Almen sieht man oft weite offene Flächen, die so glatt und eben ausschauen, als ob man aus weiter Ferne jeden darüber springenden Hasen erkennen müßte, und hat man sich endlich über vorher gar nicht bemerkte Hindernisse mit Mühe und Noth zu ihnen durchgearbeitet, so findet man Hügel und Thäler in dem was man für glatten Boden gehalten, und Risse und Spalten in denen ein Reiter unbemerkt und vollkommen gedeckt, hinreiten könnte. So arg ist die Augentäuschung in den Bergen, und deshalb wird auch nie ein Gemälde, mag es noch so treu und gewissenhaft, und von der Hand des größten Künstlers aufgenommen sein, die ungeheuere Größe jener Berge, das Riesige der Umrisse wiedergeben können, denn dem Beschauer fehlt eben der Maßstab den er an solch ein Gemälde legen könnte – täuscht ihn doch selber die Natur.

      Aber wir müssen weiter. Im Gebüsch zwitschert das Goldhähnchen und piept die Meise und sucht sich ihr Ruheplätzchen für den dunkelnden Abend. Noch glühen zwar jene Kuppen im Licht der scheidenden Sonne; in den Thälern da unten, deren Uebersicht uns hier im dicken Unterholze abgeschnitten ist, lagert sich aber schon die Nacht, zieht sich die weiße Nebeldecke langsam an den Zipfeln aus Felsenspalte und Waldesschlucht heraus, und schmiegt sich tief hinein in's weiche Bett.

      Wir haben noch ein tüchtig Stück zu steigen; doch mit dem Abend wird die Luft so kühl und frisch, so geheimnißvoll rauscht dazu der Strom unten im Thale hin, und zirpt die Grille tief im Dickicht drin, daß man recht gut noch einmal so rasch vorwärts rücken könnte – wenn sich eben die Kuppen hinter uns nicht gar so wundervoll und wechselnd färbten, und den Wanderer wieder und wieder zwängen stehn zu bleiben, mit durstigem Auge jenes Götterschauspiel einzusaugen.

      Wie der »Stuhlkopf« und die »rothe Wand« dort hinten im rosigen Licht der untergehenden Sonne glühn, die zwischen den hohen Kuppen der beiden Falken durch ebenfalls noch ihre Streiflichter wirft, und an dem zackigen Gemsjoch wie der abgeplatteten Spitze des Sonnenjochs die letzten Strahlen bricht. Und immer lichter werden dort die Höhn, immer durchsichtiger, duftiger wird das graue schwere Gestein das, wenn auch scharf abgezeichnet gegen den reinen Horizont, doch mit dem Aether zu verschwimmen scheint. Und grüner, dunkler wird der Wald, schattiger das Thal; mit tieferem Blau färbt sich der Himmel und düsterer und wilder wird drüben der Bergeswall, der jetzt nur noch die dunkeln Schattenwände zeigt und in den innern Conturen schon in einander fließt. Einzelne Sterne blitzen am Himmel auf, und wie sich im Westen dort am hellen Aetherrand mit schwarzen schroffgerissenen Linien die oberen Joche abschneiden, liegt die andere Welt in tiefer, schweigender Nacht. Stärker rauscht dazu der Strom, als ob er eiliger hinaus wollte aus den dunkeln Thälern, in's Freie nieder. Heimlicher säuselt der Wald von einem leichten Süd-West bewegt, der flüsternd, und mit den thaufeuchten Zweigen kosend, das Thal hinauf weht, und über den ganzen weiten Himmel ausgegossen, ist plötzlich der Sterne funkelnder Glanz.

      Und dort liegt die Pirschhütte; hellblinkend schauen die neuen Breter aus dem dichten Grün der Laatschen vor; aus dem verhangenen Fenster schimmert Licht, und nebenan leuchtet aus einem anderen kleinen Haus der Feuerschein vom Kamin der Jäger herüber. Die Schweißhunde schlagen an; die Jäger die ein paar Stunden vorausgeschickt waren, springen vor die Thür, und der Herr betritt, freundlich grüßend, zum ersten Mal wieder und mit leuchtendem Blick sein Pirschhaus zu Steileck, die stille Jägerhütte in den Alpen.

      Zur Toilette braucht's da oben wenig Zeit, die ist in den Bergen rasch beendet, und jetzt kommt eigentlich der schönste Augenblick: Der Jägerrath, der Bericht der Leute wie's in den Bergen steht, und was am Besten jetzt zu thun sei, dem scheuen Wilde beizukommen.

      »Rainer soll herein kommen!«

      Wenige Minuten später geht die Thür auf und Rainer, der grad' vom Essen aufgesprungen ist tritt, sich noch geschwind den Mund in der Thür wischend, in's kleine Gemach. Er war schon eine Zeit lang vorher heraufgeschickt worden, das Terrain, das er selber aus früheren Jahren genau kennt, zu recognosciren, die verschiedenen Joche und Klammen, wie die eingerissenen scharfen Schluchten – Gräben, wie die breiten Seitenthäler genannt werden – abzuäugen, und von den verschiedenen dort stationirten oder mit der Ueberwachung beauftragten Jägern Erkundigungen einzuziehen.

      Rainer ist aber an sich selber eine viel zu interessante Persönlichkeit, ihn so ohne Weiteres, und ohne etwas nähere Beschreibung einzuführen.

      Bei Tafel unten im Schloß im schwarzen Frack, schwarzen langen Hosen und steifer Halsbinde mit aufwartend, giebt es kaum eine steifere, unbeholfener aussehende Figur als ihn, und wie verwandelt ist der Mann, wenn er in die freie Bergtracht hinein, und mit Knieen und Hals aus den beengenden Kleidern herausfahren kann. Es ist ordentlich als ob er mit der Tyroler-Joppe und dem spitzen Hut, den kurzen Hosen und den eisenbeschlagenen Schuhen auch einen anderen Menschen angezogen – und das geschah auch in der That. Jede seiner Bewegungen ist frei und natürlich, und das charakteristisch geschnittene Gesicht mit dem blonden, sorgfältig gepflegten Bart, die klugen, hellen Augen und der sehnige Körper, machen ihn zu einem tüchtigen Repräsentanten des ganzen Jägervolks.

      Seine Worte setzt er freilich manchmal, als ob er doch noch im schwarzen Frack stäcke, und ich weiß auch nicht ob er sich selber nicht vielleicht ganz gern darin sieht, – wenn das der Fall wäre hätte er unrecht.

      Rainer hat die Schweißhunde