Название | Das Tabu und die Ambivalenz der Gefühlsregungen |
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Автор произведения | Sigmund Freud |
Жанр | Зарубежная классика |
Серия | |
Издательство | Зарубежная классика |
Год выпуска | 0 |
isbn |
»Tabu« heißt aber alles, sowohl die Personen als auch die Örtlichkeiten, Gegenstände und die vorübergehenden Zustände, welche Träger oder Quelle dieser geheimnisvollen Eigenschaft sind. Tabu heißt auch das Verbot, welches sich aus dieser Eigenschaft herleitet, und Tabu heißt endlich seinem Wortsinn nach etwas, was zugleich heilig, über das Gewöhnliche erhaben wie auch gefährlich, unrein, unheimlich umfaßt.
In diesem Wort und in dem System, das es bezeichnet, drückt sich ein Stück Seelenleben aus, dessen Verständnis uns wirklich nicht nahe gerückt erscheint. Vor allem sollte man meinen, daß man sich diesem Verständnis nicht nähern könne, ohne auf den für so tiefstehende Kulturen charakteristischen Glauben an Geister und Dämonen einzugehen.
Warum sollen wir überhaupt unser Interesse an das Rätsel des Tabu wenden? Ich meine, nicht nur, weil jedes psychologische Problem an sich des Versuches einer Lösung wert ist, sondern auch noch aus anderen Gründen. Es darf uns ahnen, daß das Tabu der Wilden Polynesiens doch nicht so weit von uns abliegt, wie wir zuerst glauben wollten, daß die Sitten- und Moralverbote, denen wir selbst gehorchen, in ihrem Wesen eine Verwandtschaft mit diesem primitiven Tabu haben könnten, und daß die Aufklärung des Tabu ein Licht auf den dunkeln Ursprung unseres eigenen »kategorischen Imperativs« zu werfen vermöchte.
Wir werden also in besonders erwartungsvoller Spannung aufhorchen, wenn ein Forscher wie W. Wundt uns seine Auffassung des Tabu mitteilt, zumal da er verspricht, »zu den letzten Wurzeln der Tabuvorstellungen zurückzugehen«4.
Vom Begriff des Tabu sagt Wundt, daß es »alle die Bräuche umfaßt, in denen sich die Scheu vor bestimmten mit den kultischen Vorstellungen zusammenhängenden Objekten oder vor den sich auf diese beziehenden Handlungen ausdrückt«5.
Ein andermal: »Verstehen wir darunter (unter dem Tabu), wie es dem allgemeinsten Sinn des Wortes entspricht, jedes in Brauch und Sitte oder in ausdrücklich formulierten Gesetzen niedergelegte Verbot, einen Gegenstand zu berühren, zu eigenem Gebrauch in Anspruch zu nehmen oder gewisse verpönte Worte zu gebrauchen …«, so gebe es überhaupt kein Volk und keine Kulturstufe, die der Schädigung durch das Tabu entgegen wäre.
Wundt führt dann aus, weshalb es ihm zweckmäßiger erscheint, die Natur des Tabu an den primitiven Verhältnissen der australischen Wilden als in der höheren Kultur der polynesischen Völker zu studieren. Bei den Australiern ordnet er die Tabuverbote in drei Klassen, je nachdem sie Tiere, Menschen oder andere Objekte betreffen. Das Tabu der Tiere, das wesentlich im Verbot des Tötens und Verzehrens besteht, bildet den Kern des Totemismus6. Das Tabu der zweiten Art, das den Menschen zu seinem Objekt hat, ist wesentlich anderen Charakters. Es ist von vorneherein auf Bedingungen eingeschränkt, die für den Tabuierten eine ungewöhnliche Lebenslage herbeiführen. So sind Jünglinge tabu beim Fest der Männerweihe, Frauen während der Menstruation und unmittelbar nach der Geburt, neugeborene Kinder, Kranke und vor allem die Toten. Auf dem fortwährend gebrauchten Eigentum eines Menschen ruht ein dauerndes Tabu für jeden anderen: so auf seinen Kleidern, Werkzeugen und Waffen. Zum persönlichsten Eigentum gehört in Australien auch der neue Name, den ein Knabe bei seiner Männerweihe erhält, dieser ist tabu und muß geheim gehalten werden. Die Tabu der dritten Art, die auf Bäumen, Pflanzen, Häusern, Örtlichkeiten ruhen, sind veränderlicher, scheinen nur der Regel zu folgen, daß dem Tabu unterworfen wird, was aus irgend welcher Ursache Scheu erregt oder unheimlich ist.
Die Veränderungen, die das Tabu in der reicheren Kultur der Polynesier und der malaiischen Inselwelt erfährt, muß Wundt selbst für nicht sehr tiefgehend erklären. Die stärkere soziale Differenzierung dieser Völker macht sich darin geltend, daß Häuptlinge, Könige und Priester ein besonders wirksames Tabu ausüben und selbst dem stärksten Zwang des Tabu ausgesetzt werden.
Die eigentlichen Quellen des Tabu liegen aber tiefer als in den Interessen der privilegierten Stände; »sie entspringen da, wo die primitivsten und zugleich dauerndsten menschlichen Triebe ihren Ursprung nehmen, in der Furcht vor der Wirkung dämonischer Mächte«7. »Ursprünglich nichts anderes als die objektiv gewordene Furcht vor der in dem tabuierten Gegenstand verborgen gedachten dämonischen Macht, verbietet das Tabu, diese Macht zu reizen, und es gebietet, wo es wissentlich oder unwissentlich verletzt worden ist, die Rache des Dämons zu beseitigen«.
Allmählich wird dann das Tabu zu einer in sich selbst begründeten Macht, die sich vom Dämonismus losgelöst hat. Es wird zum Zwang der Sitte und des Herkommens und schließlich des Gesetzes. »Das Gebot aber, das unausgesprochen hinter den nach Ort und Zeit mannigfach wechselnden Tabuverboten steht, ist ursprünglich das eine: Hüte dich vor dem Zorn der Dämonen.«
Wundt lehrt uns also, das Tabu sei ein Ausdruck und Ausfluß des Glaubens der primitiven Völker an dämonische Mächte. Später habe sich das Tabu von dieser Wurzel losgelöst und sei eine Macht geblieben, einfach weil es eine solche war, infolge einer Art von psychischer Beharrung; so sei es selbst die Wurzel unserer Sittengebote und unserer Gesetze geworden. So wenig nun der erste dieser Sätze zum Widerspruch reizen kann, so glaube ich doch dem Eindruck vieler Leser Worte zu leihen, wenn ich die Aufklärung Wundts als eine Enttäuschung anspreche. Das heißt wohl nicht, zu den Quellen der Tabuvorstellungen heruntergehen oder ihre letzten Wurzeln aufzeigen. Weder die Angst noch die Dämonen können in der Psychologie als letzte Dinge gewertet werden, die jeder weiteren Zurückführung trotzen. Es wäre anders, wenn die Dämonen wirklich existierten; aber wir wissen ja, sie sind selbst wie die Götter Schöpfungen der Seelenkräfte des Menschen; sie sind von etwas und aus etwas geschaffen worden.
Über die Doppelbedeutung des Tabu äußert Wundt bedeutsame, aber nicht ganz klar zu erfassende Ansichten. Für die primitiven Anfänge des Tabu besteht nach ihm eine Scheidung von heilig und unrein noch nicht. Eben darum fehlen hier jene Begriffe überhaupt in der Bedeutung, die sie eben erst durch den Gegensatz, in den sie zueinander traten, annehmen konnten. Das Tier, der Mensch, der Ort, auf dem ein Tabu ruht, sind dämonisch, nicht heilig und darum auch noch nicht in dem späteren Sinne unrein. Gerade für diese noch indifferent in der Mitte stehende Bedeutung des Dämonischen, das nicht berührt werden darf, ist der Ausdruck Tabu wohl geeignet, da er ein Merkmal hervorhebt, das schließlich dem Heiligen wie dem Unreinen für alle Zeiten gemeinsam bleibt: die Scheu vor seiner Berührung. In dieser bleibenden Gemeinschaft eines wichtigen Merkmals liegt aber zugleich ein Hinweis darauf, daß hier zwischen beiden Gebieten eine ursprüngliche Übereinstimmung obwaltet, die erst infolge weiterer Bedingungen einer Differenzierung gewichen ist, durch welche sich beide schließlich zu Gegensätzen entwickelt haben.
Der dem ursprünglichen Tabu eigene Glaube an eine dämonische Macht, die in dem Gegenstand verborgen ist und dessen Berührung oder unerlaubte Verwendung durch Verzauberung des Täters rächt, ist eben noch ganz und ausschließlich die objektivierte Furcht. Diese hat sich noch nicht in die beiden Formen gesondert, die sie auf einer entwickelten Stufe annimmt: in die Ehrfurcht und in den Abscheu.
Wie aber entsteht diese Sonderung? Nach Wundt durch die Verpflanzung der Tabugebote aus dem Gebiet der Dämonen – in das der Göttervorstellungen. Der Gegensatz von heilig und unrein fällt mit der Aufeinanderfolge zweier mythologischer Stufen zusammen, von denen die frühere nicht vollkommen verschwindet, wenn die folgende erreicht ist, sondern in der Form einer niedrigeren und allmählich mit Verachtung sich paarenden Wertschätzung fortbesteht. In der Mythologie gilt allgemein das Gesetz, daß eine vorangegangene Stufe eben deshalb, weil sie von der höheren überwunden und zurückgedrängt wird, nun neben dieser
4
In der Völkerpsychologie, Band II, Religion und Mythus II p. 300 u. ff.
5
l. c. p. 237.
6
Vgl. darüber die vorige Abhandlung in Heft I dieser Zeitschrift.
7
l. c. p. 307.