Der moderne Knigge. Julius Stettenheim

Читать онлайн.
Название Der moderne Knigge
Автор произведения Julius Stettenheim
Жанр Зарубежная классика
Серия
Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
isbn



Скачать книгу

als in einem der vorangegangenen Jahre, so daß nur noch eine kleine Anzahl Billets zu haben sein dürfte. Man hat sich deshalb zu beeilen.

      Wer dies glaubt, lese keine der vielen Zeitungen, welche diese Notizen verbreiten. Denn da man die gedruckten Nachrichten meist für unwahr hält, so würde man seinen guten Glauben erschüttert sehen.

      Eilt man infolge der Ballfestnotiz, daß nur noch wenige Karten übrig seien, in das betreffende Bureau und findet noch viele hundert Billets vorrätig, so erzählt man überall, man habe das letzte Paar Karten gekauft, damit noch viele auf jene Notiz hineinfallen und man also nicht einer der wenigen bleibt.Wenn man das Schriftstellerfest besucht, so sage man sich, daß auch nicht ein einziger namhafter Schriftsteller anwesend sein werde, damit man sich auf das Angenehmste getäuscht sieht, wenn ein Namhafter anwesend sein sollte. Zu diesem Zweck nehme man im Notfall den Titel Namhafter nicht so genau, sondern bezeichne irgend einen Journalisten, von dem man weiß, er führt eine geistvolle Schere und ist ein Ritter aus dem Kleisterreich, als einen namhaften Schriftsteller. Man bitte ihn aber nicht um ein Autograph, denn er würde es geben.

      Ähnlich verfahre man auf den Festen des Vereins Berliner Künstler.

      Wer um keinen Preis Menzel und Begas sehen möchte, der besuche diese in ihrer Art einzigen Feste.

      Auf den Festen der Presse und Schriftsteller bitte man niemals einen Zeitungsverleger um die Gefälligkeit, seine besten Mitarbeiter zu zeigen. Denn er würde dann auf mehrere Inserenten hinweisen, die er allein für seine besten Mitarbeiter hält, weil sie ihre Beiträge zeilenweis bezahlen.

      Alle diese Feste besitzen eine reiche Einnahmequelle, welche den Namen Tombola hat. Zu derselben haben, wie die bereits erwähnten sämtlichen Blätter versichern, viele Künstler eine große Anzahl hervorragender Werke beigesteuert. Die Niete kostet nur eine Mark. Dafür kann man die ausgestellten hervorragenden Werke ansehen. So kostet also die Niete nichts.

      Wer Glück hat, kaufe ein Los. Der Pechvogel unterlasse es, denn es könnte doch sein, er habe einmal Glück. Alsdann gewinnt er sicher eine größere Photographie, die ihn während des ganzen Festes belästigt, bis sie ihm endlich abhanden kommt.Auf Theaterfesten werden gewöhnlich die Porträts der Künstlerinnen und Künstler verkauft, welche mit eigenhändig unterschriebenen Gedankensplittern geschmückt sind. Meistens findet man den Schillerschen Gedanken: »Ernst ist das Leben heiter ist die Kunst« gesplittert. Am beliebtesten sind Schauspieler und Sänger im Kostüm und Künstlerinnen im Gegenteil.

      Die Tombola auf Schriftstellerfesten enthält viele Autographen. Auf ein Los, das gleichfalls nur eine Mark kostet, gewinnt man ein Autograph, das, wenn man es in teueren Zeiten in einer Autographen-Apotheke kauft, fünfzig Pfennig kostet. Da der Autor es bereits hundertmal geschrieben hat, so ist es derart unleserlich, daß man es nicht lesen kann. Dies erhöht seinen Wert.

      Wird einem ein Künstler oder ein Schriftsteller vorgestellt, der, je häufiger man seinen Namen hört, desto unbekannter wird, so rufe man freudig Ah! um ihn nicht dadurch zu kränken, daß er merken muß, er sei in den weitesten Kreisen gänzlich unberühmt. Er ist durch das Ah! schon vollständig befriedigt. Man lasse sich auch nicht darauf ein, von seinen Werken zu sprechen. Allerdings existieren solche von ihm, aber man nennt ihm doch nur gar zu leicht solche, die von einem andern herrühren, und das würde ihn gleichfalls kränken.

      Lernt man einen unbedeutenden Schauspieler kennen, so freue man sich namenlos, endlich dem ersten jetzt lebenden Darsteller gegenüber zu stehen. Statt Darsteller kann man auch Seelenmaler, Schöpfer, Interpret des Dichters und Menschenbildner sagen. Lehnt der Schauspieler die Bezeichnung ab, er sei der erste jetzt lebende, so sehe man sich nach einem Arzt um, denn dann ist er eben verrückt geworden.

      Eine ältere Schauspielerin, auch solche, welche so alt ist, daß sie sich jung schminken muß, wenn sie die Hexe im »Faust« spielt, frage man, ob sie dieselbe sei, die man vor etlichen Jahren die Jungfrau von Orleans darstellen sah. Sie wird sich über diese Frage freuen und sie bejahen, obschon sie sie der Wahrheit gemäß verneinen müßte. Dann füge man hinzu, daß man sie noch einige Jahre früher als eines der Kinder der Norma bewundert habe. Auch dies wird für richtig erklärt, und man wird die dankbare Künstlerin den ganzen Abend nicht wieder los.

      Tanze nicht mit einer Dame vom Ballet, denn sie kann gewöhnlich nicht tanzen, sondern nur springen, was nun Du wieder nicht kannst.

      Sagt man einem mittelmäßigen Schauspieler, sein Wallenstein sei so gut wie der Sonnenthalsche, so denkt er: »Der Esel weiß nichts von mir,« denn er ist überzeugt, daß sein Wallenstein besser sei.

      Ist das Künstlerfest ein Kostümfest und hat man den Wunsch, allgemeine Heiterkeit zu erregen, so erscheine man als Wotan, wenn man sehr klein ist. Junge Mädchen, welche Aufsehen erregen wollen, erreichen dies dadurch, daß sie nicht als Rautendelein[Eine Elfengestalt in dem Märchendrama »Die versunkene Glocke« von Gerhart Hauptmann.] kommen. Dies hat sich schon seit einigen Jahren nicht ereignet.

      Einem Realisten sage man etwas, was ihn mit Stolz erfüllt. Ist der Realist ein Maler, so teile man ihm mit, man habe sein Bild gesehen und nicht herauskriegen können, ob es ein Porträt, eine Landschaft oder einen gestrandeten Dreimaster darstelle. Ist der Realist ein Dichter, so bedaure man, während man ihm die Hand schüttelt, daß nicht er an Stelle Goethes den Faust geschrieben habe, er hätte doch gewiß in Auerbachs Keller mehr als fünfhundert Säue angebracht.Auf dem Juristenball antworte man, um sich gefällig zu zeigen, auf die Frage nach dem Befinden, man könne nicht klagen. Alsbald fällt auch dem Frager einer seiner ältesten Scherze ein, den anzubringen ihm, um für geistvoll zu gelten, Bedürfnis ist. Erst dann wird er allmählich ruhiger.

      Wenn man zufällig einer der größten jetzt lebenden Künstler ist und längst im Verdacht steht, unsterblich zu werden, so bilde man sich nicht ein, daß man einem jungen Mädchen auf einem Ball willkommen sei. Jeder junge Mann, und sei er auch keineswegs einer der größten jetzt lebenden Kommis, ist einem jungen Mädchen willkommener. Tritt der unsterbliche Zeitgenosse trotzdem an das junge Mädchen heran, so schreibe er es sich selbst zu, wenn sie einst ihren Enkeln erzählt, sie erinnere sich, daß er ihr einmal einen Abend gründlich verdorben habe.

      Ist man Raucher, so stecke man die Cigarren, welche am Schluß der Tafel herumgereicht werden, für den Portier ein und rauche die eigenen, die man mitgebracht hat.

      Will man eine Dame umarmen, so warte man, bis das elektrische oder Gaslicht zur Vorführung von Schattenbildern oder eines Kinematographen abgedreht wird. Man ist dies dem anwesenden Gatten oder Bruder der Dame schuldig. Wird man trotzdem bei dem allgemein beliebten Umarmen erwischt, so spiele man den wilden Mann. Nützt dies nichts, so wisse man, wo die nächste Sanitätswache ist.

      Findet man im Saal eine Bühne aufgeschlagen, so daß ein Festspiel zu erwarten ist, so beruhige man sich. Das Festspiel kann ja vielleicht beinahe kurzweilig sein.

      Ist man an eine sehr unterhaltende Tischnachbarin geraten, so gehe man nach Tisch in eine Restauration nebenan und erhole sich dort von dem Glück, das man gehabt hat.

      Da die stark bevölkerten Feste in sehr großen Lokalitäten stattfinden, in welchen die Verwaltung mit großem schwarzem Finger auf den Weg zum Tunnel weist, so möchte ich, indem mir dies einfällt, auf einen verzeihlichen Irrtum belehrend aufmerksam machen, der leicht vermieden werden kann. Man sieht oft Paare auf diesem Wege hinabgehen. Bei diesen handelt es sich aber um eine Verwechslung mit dem Tunnel aus Eisenbahnfahrten. Im Gegenteil ist der Tunnel der großen Festlokalitäten sehr hell erleuchtet. Man trinkt daselbst Bier und raucht. Die Paare können sich daselbst sehr angenehm unterhalten, aber, wie gesagt, einen Tunnel im Reisesinne finden sie hier nicht.

      Man gehe dann und wann an einem flirtenden Paare dicht vorüber, um sicher die Worte »Fishing for compliments« zu hören. Es sind dies zwar keine ganz neuen Worte, aber man vernimmt sie doch zuweilen gern, weil sie bekunden, daß einmal wieder einer Dame oder einem Herrn absolut nichts besseres eingefallen ist.

      Ist man Schriftsteller, so wird man häufig dadurch von einem Gast hervorragend ausgezeichnet, daß er wohlwollend ersucht, oder fordert, ihm die Bücher, die man herausgegeben hat, auf einige Tage zu leihen. In solchem Fall sei man nicht kleinlich, sondern nenne dem Gast eine Buchhandlung, in welcher