Название | Der moderne Knigge |
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Автор произведения | Julius Stettenheim |
Жанр | Зарубежная классика |
Серия | |
Издательство | Зарубежная классика |
Год выпуска | 0 |
isbn |
Ganz dasselbe gilt von den Vorträgen derjenigen Gäste, welche ein Instrument spielen.
Ich ziehe sie aber allen vor, denen, um mich gebildet auszudrücken, Apoll der Lieder süßen Mund geschenkt hat, denn diese musikalischen Herrschaften brauchen nur ihren süßen Mund in die gesellschaftlichen Veranstaltungen mitzunehmen, um etwas vorzutragen, während der Instrumental-Virtuose nicht immer sein Instrument bei sich haben kann. Eine Ausnahme machen nur die Pianistin und der Pianist, da sich ein Klavier selbst in solchen Häusern findet, an deren Wänden Stuck fehlt, jeder andere Virtuos muß besonders ersucht werden, Geige, Cello oder Flöte mitzubringen, was aber dadurch erschwert wird, daß damit meist eine Aussicht auf Honorar eröffnet zu sein pflegt. Musiker, deren Instrumente eo ipso ausgeschlossen sind, habe ich besonders lieb. Ich nenne den Kontrebaßspieler, den Bombardonbläser, den Pauken-, Trommel- und Beckenschläger, sowie den Fagottisten.
Unter den Musikern sind solche, welche dem Gast, welcher aus irgend einem Grunde nicht davonzukommen wußte, sehr schroff entgegentreten, wenn er es wagen sollte, während des Spiels einige Worte zu einer Nachbarin oder zu einem Nachbar zu sprechen. Der animierte Gast ist nur zu leicht verführt, zu glauben, daß er zu seinem Vergnügen anwesend sei, was ja gewöhnlich auf Täuschung beruht, und nun nimmt er an, es gehöre dazu auch eine gewisse Freiheit in der Bewegung, namentlich aber die Unmöglichkeit jeder Tyrannei. Der Musiker wird, wenn er ein peinlich tiefes Schweigen verlangt, einen Bruch desselben nicht sofort rügen, aber er wird doch den Gast, wenn er ihm wieder begegnet, mit Vorwürfen überschütten und ihm strenge sagen, wie er sich bei dem nächsten Wiegenlied oder Trauermarsch zu verhalten habe. Das ist nicht angenehm. Zur Vermeidung einer solchen peinlichen Belehrung möchte ich mir erlauben, allen Mitschuldigen die Form zu schildern, in welcher ich vor einiger Zeit den Angriff eines verstimmten und belehrenden Künstlers abgewehrt habe.
An nichts Böses und somit auch nicht an Tischmusik denkend, flanierte ich Unter den Linden, als ein Musiker auf mich zutrat, dessen ersten Worten ich sofort anmerkte, daß er sich zu einem Hühnchenpflücken anschickte. Ich nahm also das Wort: »Mein lieber Freund, vor einigen Tagen war ich in einer Gesellschaft, in welcher ich nach einem langen und sehr ermüdenden Diner das Glück hatte, einen mir sehr lieben Kollegen mit seiner Tochter, einer jungen, sehr schönen und geistvollen Dame, zu treffen. Eine heitere Unterhaltung entspann sich, aber sie war eben im besten Entspinnen, als Sie anfingen, fortwährend ziemlich laut Klavier dazwischen zu spielen, so daß wir kaum unser eigenes Wort zu hören vermochten. Das finde ich doch, um einen ganz milden Ausdruck zu wählen, nicht nett von Ihnen. Unsere Plauderei war wirklich interessant, aber gerade bei Gelegenheit der feinsten Pointen wurden wir durch Ihr Spielen gestört. Sie sahen uns scharf an, ich merkte es wohl. Sie können also nicht zu Ihrer Entschuldigung behaupten, Sie hätten nicht gewußt, daß wir uns vortrefflich unterhielten, wie Sie es unserer lebhaften Art zu sprechen anmerken mußten. Ich kann Ihnen auch nebenbei versichern, daß der Gegenstand unseres Gedankenaustauschs ein mindestens so erfreulicher war wie der berühmte Danse macabre, mit dem Sie uns fortgesetzt unterbrachen. Während einer lebhaften Unterhaltung sollte überhaupt nicht Klavier gespielt werden. Das ist höchst unpassend, und ein gebildeter Pianist wird sich auch nicht so ungehörig benehmen. Mein Gott, wenn man Klavier spielen will, so braucht man sich doch nicht gerade den Saal, in dem geplaudert wird, dazu auszusuchen, man unterläßt es entweder, oder geht, wenn man die Tasten nicht halten kann, bescheiden in einen anderen Raum des Hauses und spielt sich dort aus. Es ist merkwürdig, daß gerade die Musiker so rücksichtslos zu sein pflegen und immer, wenn sich die Gesellschaft eben zum Plaudern niedergesetzt hat, dazwischen musizieren. Wie würde es Ihnen gefallen, wenn ich, während Sie mit einem alten Freunde etwas besprechen, plötzlich die Trommel rührte oder ins Waldhorn stieße!«
Man muß nicht glauben, daß ich diese Rede ohne Unterbrechung hielt. Im Gegenteil, mein Musiker versuchte, in jeder zweiten oder dritten Zeile mit einem »Erlauben Sie« zu Wort zu kommen, um mir, wie ursprünglich beabsichtigt war, die bittersten Vorwürfe darüber zu machen, daß ich es gewagt hatte, während seines musikalischen Vortrags mit einem interessanten Menschenpaar zu plaudern. Man thäte gut, gegen derlei anmaßende Künstler allgemein in meiner Weise vorzugehen und so die Gleichberechtigung aller Gäste zu wahren. Dann wird die Unterhaltung der Gäste wenigstens nicht häufiger von den Musikern, als die Musik von der Unterhaltung gestört werden.Ziemlich mühelos, dagegen sehr dankbar ist die Kunst, auf einem Ball interessant zu erscheinen. Man stehe in einer Ecke und sei stumm. Das wird im allgemeinen für Philosophie oder unglückliche Liebe, häufig wohl auch für beides gehalten. Wird man aber zum Reden gezwungen, so erkläre man alle durchgefallenen Stücke für Meisterwerke und behaupte auch sonst immer das Gegenteil von dem, was allgemein, namentlich von Gebildeteren, gesagt wird. Man wird infolgedessen sehr bald als Charakter gelten, aber man entferne sich dann ziemlich früh, besonders wenn eigentlich nichts mehr kommen kann. Denn der Balltitel-Charakter hat keine rechte Festigkeit und wird nur zu leicht in Hansnarr oder dergleichen umgewandelt.
Wenn man das Unglück hat, einer Dame den Saum des Kleides abzutreten, so sei man nicht untröstlich. Das wird ja doch nicht geglaubt. Sagt aber die betreffende Dame mit bezauberndem Lächeln: »O bitte, das macht nichts, das ist rasch repariert«, so meint sie: Sie sind ein ganz gemeingefährlicher Tölpel!
Man rede eine Dame nicht an, während sie ihren Fächer graziös vor dem Gesicht hält, so daß man nur ihre Augen sieht. Sie gähnt nämlich in diesem Augenblick. Auf Bällen ist Gähnen eines der unveräußerlichsten Menschenrechte, und ihm verdankt der Fächer einen großen Teil seiner Existenz. Gäbe es eine wirkliche Fächersprache, so würde dies noch deutlicher ausgesprochen werden.
Man mache einer schönen Frau keine Komplimente, denn sie wird doch immer behaupten, daß man ihr nichts neues sagt. Sie hat schon alles gehört. Läßt sie dies merken, so revanchiere man sich dadurch, daß man von der Schönheit einer andern Frau spricht.
Einmal tanze man mit der Schwiegermutter des Ballgebers. Das ist die Gewerbesteuer.Während der Ruhepausen im Kotillon suche man seine Dame bestens zu unterhalten. Von den Gegenständen, welche dabei thunlichst zu vermeiden sind, nenne ich den Käse, den Lustmord, den Zinsfuß, die ägyptische Augenkrankheit, die Müllabfuhr, die Klauenseuche und das Hühnerauge. Auch die Wanderraupe berühre man nur flüchtig.
Beim Dessert strenge man sich an, dem Vielliebchenessen[die Sitte, Zwillingsfrüchte oder die in Krachmandeln etc. vorkommenden Doppelkerne geteilt zu essen, worauf die Beteiligten sich beim Wiedersehen mit »Guten Morgen, Vielliebchen« zu begrüßen haben und derjenige, der dies zuerst tut, vom andern ein Geschenk erwartet.] auszuweichen. Die Damen gewinnen immer, und dann weiß man nicht, was man nicht schenken soll.
Wenn man eine größere Reise anzutreten gedenkt, so verschweige man dies namentlich den Damen, weil diese bekanntlich bitten würden, ihnen von allen Stationen eine bunte Postkarte zu senden. Da man dies natürlich verspräche und sicher nicht thäte, so ärgert man sich später, daß man es versprochen hat.
Die Ballmutter soll man in Ehren halten. Es verkörpern sich in ihr die Mutterliebe, die Sorge und die Selbstlosigkeit. Keiner Parteien Gunst und Haß vermochte ihr Charakterbild in der Geschichte der Menschheit ins Schwanken zu bringen. Sie mag vielleicht auf den Bällen häufig in die Notwendigkeit versetzt werden, Verkehrsstörungen herbeizuführen, indem sie sich hier und dort in den Weg stellt, um sich zur Geltung zu bringen und allen Anwesenden klar zu machen, daß sie nicht zum Vergnügen erschienen sei, am allerwenigsten zum Vergnügen der jungen Männer, aber das erhöht ihre Würde. Selbst wenn sie, noch in den Jahren unter dem Äquator des Lebens, tanzt, so soll sich der Ballgast sagen, daß sie dies nur aus Liebe zu ihren Töchtern thut. Sie mischt sich gewissermaßen in der Maske der Tänzerin unter die Menge wie ein Kriminalbeamter, der sich auf der Jagd nach einem Gesuchten vermummt hat, um auf die Spur desselben zu kommen.