Название | Augenschön Das Ende der Zeit (Band 1) |
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Автор произведения | Judith Kilnar |
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Серия | |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783964640017 |
»Genau die bin ich«, antwortete ich ihm hochmütig und benutzte dabei die gleichen Worte, die er zuvor zu meinem Vater gesagt hatte.
Der Earl lächelte. »Ah, ich stelle fest, wir verstehen uns. Sind vom gleichen Schlag.«
Überrascht und etwas verärgert über seine plumpe Vertraulichkeit, sah ich ihn an. »Ich wüsste nicht, was es bei uns für Ähnlichkeiten geben könnte, Mylord. Da müsstet Ihr mich schon aufklären.«
»So, müsste ich das?«, fragte der Earl in seinem überheblichen Ton und mustert mich aus seinen … schwarzen Augen.
Mir lief es kalt den Rücken herunter. Der Mann hatte tatsächlich kohlrabenschwarze Augen!
Der Earl of Holeweavers öffnete erneut den Mund, um etwas zu sagen, doch ein erfreutes, hohes Quieken ließ ihn innehalten.
»Lucieeeeeeee!«
Evie tauchte hinter dem Mann auf.
»Da bist du ja!« Sie schien ihn, der sie mit hochgezogenen Augenbrauen musterte, gar nicht zu bemerken, als sie sich torkelnd an mir festhielt.
Ich starrte sie entsetzt an. Wie viel Wein hatte sie bloß getrunken?
»Wo bleibst du denn? Ich hatte dir doch gesagt, das Buffet ist vorzüglich.« Sie rüttelte an meinem Arm. »Komm doch! Begleite mich! Du musst unbedingt auch davon kosten!«
Ich ließ mich bereitwillig von ihr mitziehen, nur um dem Mann mit den schwarzen Augen zu entkommen.
Fühlten sich die Leute ebenso, nachdem sie mir in die Augen geschaut und das leuchtende Gold bemerkt hatten? Wenn ja, würde ich ihnen künftig keinen Vorwurf mehr machen. Die schwarzen Augen, die mich suchend gemustert hatten und bei denen man die schwarze Iris nicht von den Pupillen hatte unterscheiden können, waren wahrhaftig unheimlich gewesen.
»Luce?« Evie schaute mich erwartungsvoll an.
Ich musterte erst sie, dann die Teller mit Speisen auf dem Buffet neben uns. Wir standen neben dem Tisch mit den Desserts, auf dem sich fluffige Törtchen neben sahnigen Teigtaschen und krossen Keksen stapelten. Meine Schwester musterte mich leicht verärgert.
»Kannst du mir mal zuhören?« Sie deutete auf ein hellbraunes Teigröllchen. »Sieh dir diese Köstlichkeiten an!« Sie nahm eines der Röllchen in die Hand und hielt es mir hin. »Ich weiß nicht, wie ihr Name lautet, doch sie sind fabelhaft. Unser neuer Koch ist ein Meister seines Handwerks!«
Zerstreut nahm ich das Röllchen und biss davon ab. Es hatte eine cremige Füllung, in der sich kleine Schokoladenstückchen tummelten. Ich schob mir den Rest der Rolle in den Mund.
»Was ist?«, fragte ich, denn Evie starrte mich so merkwürdig an. Als sich unsere Blicke begegneten, spürte ich ein heftiges Brennen in meinen Augen. Ich schloss sie schnell und rieb mir über die Lider.
Evie hickste laut und ich sah sie erneut an. »Wirklich, Evie, wie viel Wein hast du getrunken?«
Meine Schwester wirkte empört. »Keinen einzigen Schluck. Aber nun, da du es erwähnst, ich fühle mich tatsächlich ziemlich wackelig auf den Beinen.«
Ich nahm mir eines der Röllchen und schnüffelte daran. Rum! Das erklärte einiges.
»Das Gebäck ist wirklich sehr schmackhaft, besonders der Rum.«
»Rum?« Evie betrachtete schuldbewusst die Röllchen. »Das war mir nicht bekannt …«, fing sie an, sich zu rechtfertigen, doch was sie sonst noch sagte, hörte ich nicht. Mein Blick traf erneut auf zwei schwarze kalte Augen.
Der Earl of Holeweavers stand nicht weit von uns entfernt und fixierte mich.
»Du hörst mir schon wieder nicht zu«, beklagte sich Evie.
»Doch schon. Es ist nur …« Ich brach ab. Nur wieso? Ich hatte ihr doch immer alles erzählen können. Warum nicht auch das?
»Kann ich dir etwas anvertrauen?«
Evie runzelte die Stirn, vermutlich, weil mein Ton plötzlich so ernst war.
»Du weißt doch, dass du mir alles sagen kannst.« Sie klang, als wäre sie mit einem Schlag wieder nüchtern und ich war in diesem Moment unheimlich froh, jemanden wie Evie als Schwester zu haben.
Keine Ahnung, weshalb ich gerade jetzt daran dachte, aber sie war so oft die Einzige gewesen, die mir zugehört und mich verstanden hatte.
Auch wenn meine Eltern und Florence es niemals zugegeben hätten, verunsicherten meine besonderen Augen sie. Ebenso wie die Zofen, die meine Mutter für mich aussuchte. Keine von ihnen ertrug meine Gegenwart länger als ein paar Wochen.
Nur Evie blieb mir. Sie hatte als Einzige kein Problem mit meinen strahlenden goldenen Augen.
Sie war nicht nur meine große Schwester und Spielkameradin, sie war vor allem meine beste Freundin und Vertraute. Als früher niemand mit dem Mädchen mit den seltsamen goldenen Augen spielen wollte, war es Evie gewesen, die alle Freundinnen, die ich verloren oder niemals gehabt hatte, ersetzte. Meine wunderbare Schwester war immer da, wenn ich sie brauchte, und über die Jahre hatte sich unser Band noch mehr verfestigt. Ich verdankte ihr so viel.
»Komm!« Evie griff nach meiner Hand und zog mich durch die Menge auf die Tür des Personals zu, die wir manchmal heimlich benutzten.
Ich stolperte hinter ihr her, rempelte einige Gäste an, die mir missbilligend nachsahen, und war froh, als wir endlich zwischen den engen Wänden des Dienstbotenganges an den alten Türen vorbeischlichen. Evie öffnete eine der Türen, die ein knarzendes Geräusch von sich gab, und schob mich in den Raum dahinter.
»Bin gleich so weit«, flüsterte sie und holte ein Streichholz aus einer Rockfalte. Sie riss es am Steinboden entlang an, entzündete drei Kerzen, die auf einem Regal standen, und schloss die Tür.
»Also? Welche Sorge bedrückt dich?«
Ich ließ mich auf einen der verstaubten Schemel in der Abstellkammer sinken.
»Ich weiß auch nicht recht«, setzte ich an und knetete nervös meine Hände. Mein Blick glitt durch die Abstellkammer und mich überkam ein warmes Gefühl, als ich an die Momente dachte, in denen Evie und ich uns vor dem Unterricht oder an den winterlichen Waschtagen hier versteckt hatten. An diesem Ort fühlte ich mich irgendwie geborgen.
»Vor diesem Mann graut es mir«, gestand ich schließlich und erzählte ihr von meinem Gespräch mit dem Earl of Holeweavers und seiner kalten, überheblichen Art. Ich verschwieg auch nicht, wie seine schwarzen unheimlichen Augen mich gemustert hatten, und dass er auf meine goldenen Augen überhaupt nicht reagiert hatte. Das fiel mir jetzt erst überhaupt auf.
Evie hörte mir wie bei all meinen Problemen ruhig zu und eine nachdenkliche Falte erschien auf ihrer Stirn.
»… er beobachtet mich die ganze Zeit. Auch als wir am Buffet standen«, jammerte ich.
Die Falte verschwand und ein kleines Lächeln zuckte über Evies Gesicht. »Womöglich ist er an dir interessiert. Ich habe nämlich gehört, er sei noch unverheiratet.«
»Evie!«, zischte ich sie an. »Das ist nicht witzig! Ich habe Angst vor diesem Mann.«
»Du und Angst?«, kicherte sie. »Das ist ja wie Feuer und Wasser.«
Verärgert stand ich auf. »Könntest du bitte so höflich sein und dich ein bisschen zusammennehmen, um mir hilfreiche Antworten zu geben?«
»Meine Antwort ist hilfreich«, Evie zog einen Schmollmund, »denn so abwegig mit dem Interesse ist das gar nicht. Als wir heute Nachmittag in der Eingangshalle auf dich und die Gäste gewartet haben, hat Vater mir und Florence mitgeteilt, dass er uns, dich eingeschlossen, gern vermählen würde. Er will uns in sicheren Händen wissen, so wie unsere anderen Schwestern und unseren Bruder, falls er vorzeitig sterben sollte. Der Earl steht im Rang zwar unter uns, doch er ist bestimmt ein wohlhabender und angesehener Mann, wenn Vater ihn eingeladen hat. Vielleicht denkt Papa, dass er eine von uns heiraten könnte?«