Augenschön Das Ende der Zeit (Band 1). Judith Kilnar

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Название Augenschön Das Ende der Zeit (Band 1)
Автор произведения Judith Kilnar
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Год выпуска 0
isbn 9783964640017



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Gegend die Mode entwickelt, mindestens einmal im Jahr eine Gesellschaft zu veranstalten und alle Adligen und wichtigen Persönlichkeiten aus der Umgebung einzuladen, um Kontakte zu pflegen. Meiner Ansicht nach hatte das Ganze jedoch nur einen Zweck – mit seinem Reichtum zu prahlen.

      Man führte die Gäste an den eleganten Spiegelsälen vorbei, servierte die feinsten Speisen, kleidete sich mit den edelsten Samt- und Seidenstoffen und untermalte das ganze Spektakel mit kostspieliger Musik aus Paris. Wer Geld und Macht hatte, zeigte beides gern und ließ sich von den anderen dafür bewundern und beneiden.

      Oft genug hatte ich die zusammengekniffenen Lippen bemerkt, mit denen die Besucher alles genau beobachteten, um ihr eigenes Fest noch besser zu gestalten und das vorige zu übertrumpfen. Den größten Reichtum hatte man jedoch durch sich und seine Familie. Je hübscher die Gesichter, je seidiger die Haare und je perfekter geformt der Körper in den prächtigen Kleidern, desto größer die Anerkennung der Leute. Nur deswegen wurden meine Schwestern und ich auf das Herrlichste hergerichtet. Damit wir herumgeführt werden und mein Vater und meine Mutter sagen konnten: »Dies hier ist unsere hinreißende Tochter Lucy.«

      Daraufhin wurde ich von meinem jeweiligen Gegenüber begutachtet, wie von einem Forscher, der seinen neuesten Fund bewertet, und bekam einen anerkennenden, oft von Eifersucht begleiteten Blick. Florence hingegen, die nicht die Schönheit in Person war, und deren Kleider einige Nummern größer waren als meine, erntete meist nur ein amüsiertes Lippenkräuseln und ein sarkastisches: »Ja, ja, sehr schön«, und dann wurden wir schon weitergewinkt, um dem Nächsten vorgeführt zu werden.

      Man könnte eigentlich meinen, ich müsste das Ganze toll finden, da ich wie alle hübschen Mädchen nur gelobt wurde, aber das war falsch.

      Nach den bewundernden und neidischen Blicken, setzten die meisten Leute an, um etwas zu sagen, und sahen mir so, wie die Höflichkeit es verlangte, in die Augen. Sofort kam das verwunderte Augenbrauenhochziehen und das irritierte Stirnrunzeln, denn im Gegensatz zu den meisten Menschen hatte ich keine normalen grünen, braunen oder blauen Augen, sondern goldene. Als wäre das nicht genug, strahlte meine goldene Farbe auch noch so hell, dass jeder sie bemerkte. Ich hatte keine Ahnung, woher diese ungewöhnliche Färbung kam. Jedenfalls wandten sich die Leute schnell ab und versuchten, das unbehagliche Gefühl loszuwerden, das sie beim Anblick meiner Augen überkam. Selbst wenn sie versuchten, es sich nicht anmerken zu lassen, konnte ich ihr Befremden und ihre Ablehnung deutlich spüren.

      Ich kniff die Augen fester zusammen und zog mir ein weiteres Daunenkissen über den Kopf.

      Um möglichst wenig mit meinen Augen aufzufallen, versteckte ich mich immer so lange in meinem Zimmer und versuchte nicht an die Besucher zu denken, bis es jemandem auffiel und man mich holen ließ.

      Leise pochte es an meine Tür.

      »Lucy?«, hörte ich Evies gedämpfte Stimme durch das Kissen.

      »Grmph«, antwortete ich und drehte mich auf den Rücken. »Was willst du?«

      »Verzeih bitte, dass ich störe«, entschuldigte sich meine Schwester und ließ sich auf die Bettkante sinken, »aber Mutter bat mich, dich zu holen.«

      »Prächtig!«, grummelte ich sarkastisch und funkelte Evie wütend an, was eigentlich ungerecht war, denn sie war ja nicht schuld an meiner schlechten Laune.

      Sie seufzte. »Ich weiß, du magst diese Besuche nicht, aber es gibt wirklich vorzügliches Essen. Und denke daran, dass morgen alles vorbei sein wird, und niemand mehr an dich denkt!«

      »Ich weiß.« Gereizt setzte ich mich auf. »In ein paar Wochen jedoch werden wir wieder bei jemandem eingeladen sein. Die ganzen Qualen werden von vorn beginnen. Welch einen Sinn soll das deiner Meinung nach haben?«

      Als Evie nicht antwortete, murrte ich: »Siehst du, habe ich es doch gewusst«, und ließ mich wieder auf den Rücken fallen.

      »Nein, ich weiß es auch nicht«, gab Evie zu und stand auf, »doch was ich weiß, ist, dass das heutige Fest auch Schönes bringen wird. Es gibt ein Buffet mit Speisen unseres neuen wunderbaren Kochs, und die Musikanten aus Paris werden die Herzen zum Schmelzen bringen.«

      Ich rührte mich nicht vom Fleck.

      »Abgesehen davon gilt es, Vater und Mutter nicht zu enttäuschen. Das wäre unverzeihlich.«

      Mit diesem Argument bekam mich Evie immer herum. Meine Eltern lagen mir am Herzen und ich wollte ihnen nicht mehr Unannehmlichkeiten bereiten, als ich es ohnehin schon tat. Ich gab mich geschlagen und stand auf.

      Evie hielt mir die Zimmertür auf und sah mich aufmunternd an.

      Ich schnitt eine Grimasse und sie lachte.

      »Wie gut du gelaunt bist!«, spottete sie und zog mich an der Hand den Flur entlang zur Treppe. Auch die Gesichter auf den Gemälden schienen mir hämisch zuzugrinsen und die Stufen unter unseren Füßen knarzten unheilvoll.

      Hätte ich auch nur geahnt, was geschehen würde, dieses Mal wäre ich nicht mit Evie mitgegangen.

      Als wir den Spiegelsaal betraten, war das Fest bereits in vollem Gange. Vor den hohen Wänden bogen sich die Tische unter der Last des Buffets.

      Lachen und Geplauder erfüllten den Saal und übertönten die sanften Melodien, die die Musiker aus Paris zum Besten gaben.

      Meinen Vater entdeckte ich zwischen einem alten Herrn und einer korpulenten braunhaarigen Dame mittleren Alters, die wild gestikulierend auf ihn einsprach. Papas Blick fand meinen und ich verstand seine stumme Bitte darin. Ich schlängelte mich um die Leute herum zu ihm durch, nachdem Evie mit einem kurzen Winken in Richtung Buffet davongeeilt war.

      »… wahrhaftig, mein lieber Ferris, Ihr habt vollkommen recht. Es ist tatsächlich ein echter Rubin!«, sagte die Frau gerade zu meinem Vater. Dabei schwenkte sie ihre dicke, klirrende Kette mit einem roten Anhänger vor seiner Nase herum.

      Als mein Vater mich neben ihr erblickte, huschte ein erleichtertes Lächeln über sein Gesicht und er zog mich vor sich.

      »Eine wundervolle Rubinkette besitzt Ihr da, Lady Mephins«, erwiderte er freundlich und deutete dann auf mich. »Ihr erinnert Euch noch an meine Tochter Lucy Elizabeth? Sie ist inzwischen siebzehn Jahre alt und noch unverheiratet.«

      Was sollte das jetzt heißen? Hatte er etwa vor, mir einen Bräutigam zu suchen?

      Lady Mephins musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. »Oh tatsächlich, ein wahres Prachtstück«, tönte sie, während ihr Blick eifrig über meinen Körper wanderte und sie jede Einzelheit gierig aufzunehmen schien. Dann streckte sie ihre pummelige Hand aus und grapschte sich meine.

      »Ihr seid wahrhaftig eine Augenweide, mein Kind«, piepste sie mit ihrer näselnden Stimme.

      Ich atmete erleichtert auf. Da Lady Mephins mir nur bis zur Brust ging, konnte sie meine Augen gar nicht erkennen.

      »Sehr freundlich, Mylady«, leierte ich so höflich wie möglich meine Erwiderung herunter und entzog meine Hand schnell ihrem verschwitzten Händedruck.

      Lady Mephins wandte sich wieder an meinem Vater. Sie hatte wohl das Interesse an mir verloren.

      »Hatte ich erwähnt, dass mein Schneider mir Bernsteine in das Kleid eingearbeitet hat? Das trägt man jetzt überall in Paris«, verkündete sie stolz und zupfte an ihrem zu engen schlammbraunen Kleid herum.

      Ich drehte mich weg. Meine Schuldigkeit hatte ich getan.

      Doch als ich mir durch die vielen Menschen einen Weg zum Buffet bahnen wollte, von dem Evie so geschwärmt hatte, legte sich mir unerwartet eine kalte Hand auf die Schulter. Erschrocken und genervt zugleich wandte ich mich um.

      Vor mir stand der Earl of Holeweavers.

      Ich fragte mich, warum er noch immer seinen Mantel trug, und fühlte mich gleichzeitig unwohl unter seinem prüfenden Blick.

      »Sie müssen die junge Lady de Mintrus sein«, sagte er mit seiner kühlen Stimme, die leicht überheblich klang.

      Ich richtete mich auf und reckte