Название | Die Verlängerung |
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Автор произведения | Theo Beck |
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Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783960086086 |
Als er seine Visionen schließlich nicht mehr selbst sehen kann, ist es am Ende sein Bewusstsein, das ihm erzählt, was er sieht.
Wer beim Lesen den Eindruck bekommt, dass sein Bericht manchmal unordentlich oder unverständlich ist, sollte es ihm nicht allzu übel nehmen. Das ist nur die Folge seiner Demenz, die jedem von uns eines Tages über den Weg laufen kann.
1. Es war einmal
Ganz langsam, schleichend langsam kriecht Licht in das Bild. Nicht vom Rand zur Mitte oder sich von der Mitte aus verteilend, sondern ganzflächig durchdringt es die Dunkelheit im Schneckentempo.
„Es werde Licht“, geht mir durch den Kopf, „es werde Licht!“ Genauso war es wahrscheinlich auch am Weltanfang.
Schon nach wenigen Minuten kommen Strukturen in die milchigweiße Fläche. Grautöne bleiben stehen, erste Farbtöne werden sichtbar. Meine Augen strengen sich immer mehr an in der Hoffnung, ein deutliches Bild zu erkennen. Was ist das? Was bedeutet es? Die verschwommene Fläche verbirgt etwas, das ich nicht verstehen kann.
Natürlich erkenne ich es nicht. Ich kenne meine Augenkrankheit lange genug. Das ist wieder der grüne Star! Das Normaldruckglaukom verschleiert mir das Bild! Wie schon die ganze lange Zeit seit dem verhängnisvollen Besuch bei Dr. Meinhardt.
„Ihr Augendruck ist in Ordnung. Auch die Perimetrie“, hat der Augenarzt damals gesagt, nachdem er den Schlitten seiner Spaltlampe zur Seite geschoben hatte. „Nur …“ Er zögerte und dimmte das Raumlicht wieder hoch. Dr. Meinhardt lehnte sich etwas zurück und sah mich besonders freundlich an. „Nur Ihre Nerven sind schwach. Bei der Blickfeldkontrolle waren Sie rechts etwas unaufmerksam. Macht aber nichts. Es gibt noch keine Nervenleitausfälle. Das ist gut. Es ist noch am Anfang. Beginnendes Glaukom. Obwohl Ihr Augendruck normal ist, was üblicherweise gegen diese Diagnose spricht.“
Er sah noch einmal auf die Karteikarte. „Normaldruck, so wie in den letzten Jahren auch.“
Dr. Meinhardt zögerte wieder. „Verdacht auf Normaldruckglaukom. Das muss weitergehend untersucht werden. Noch sind keine Ausfälle da. Das ist gut. Das wollen wir so erhalten. Aber Ihre Nerven sind schwach.“
Ich erinnere mich sehr gut. Danach ist es ständig bergab gegangen. Ich wurde Dauergast bei den Augenärzten. Und dennoch ist das Bild, das mir meine Augen gaben, ganz, ganz langsam immer undeutlicher geworden.
Aber – wieso jetzt nicht? Im Gegenteil! Es wird mit der Zeit immer deutlicher! Was ist nun?
Vorsichtig, fast ängstlich sehe ich wieder hoch und erkenne freudig erregt einen ungewohnt deutlichen Raum. Kahl, hell und steril sieht er aus. Mit einem einzelnen Bett neben dem Nachttisch. In der hinteren Ecke steht ein kleiner quadratischer Tisch mit einem Blumenstrauß. Rote und weiße Rosen gemischt. Gerade so wie aus meinem Garten. Hamburger Farben hatte ich auf dem kreisrunden Beet an der südwestlichen Ecke des Bungalowgrundstücks gesetzt. Gleich nachdem mein Schatz gestorben war, meine geliebte Hamburger Deern, habe ich die Rosen gesetzt.
Erwartungsvoll wandert mein Blick wieder durch den Raum. Wieso ist das jetzt kein Glaukom-Bild? Alles ist scharf und deutlich zu erkennen. Und – was ist das? Da liegt einer im Bett! Wer liegt da? Das bin ja ich! Igitt, wie eklig.
Ich sehe mich in dem weiß lackierten Stahlbett liegen, mit den chromglänzenden Geländern am Fuß- und Kopfende, mit dem rohrförmigen Galgen darüber, an dem die lebensverlängernden Gaben hängen und der nun, obwohl eigentlich unnötig, immer noch nicht zur Seite gedreht ist.
Nein, es ist kein schöner Anblick, sich so liegen zu sehen. Der Schlauch, der aus dem Mund kommt und dafür sorgen soll, dass man nicht an seinem eigenen Speichel erstickt, vibriert immer noch leicht auf der rechten Unterlippe. Warum? Wohl weil die Pumpe noch läuft. Warum diese Energieverschwendung? Als Nachweis der ärztlichen Bemühungen? Wahrscheinlich nur die übliche Nachlässigkeit.
Der Mund ist schief und weit offen. Wenigstens die Lider hat Schwester Angela zugedrückt. So kann ich mir wenigstens nicht mehr in die Augen sehen. Der Kopf hängt zur rechten Bettseite rüber, die Kabel, die von den Sensoren an der Brust, dem Bauch und den Armen kommen, sind immer noch zusammengebunden und gehen lose liegend zu dem Überlebenscomputer. Die Arme und Hände sind mit den Flachbändern ans Bett gefesselt. Die Beine auch. Wenigstens die Decke haben sie mir wieder übergelegt, unter der ein Urinschlauch hervorkriecht. Er kommt aus dem Penis. Daran kann ich mich gut erinnern. Etwas hat dort sehr lange Zeit gescheuert. Der Schlauch geht in das Sammelgefäß am Bettrand.
Am schlimmsten aber sind die Schmerzen in den Füßen. Erst war es nur der rechte große Zeh, der nicht mehr richtig durchblutet wurde. Er war von der Spitze her erst rot, dann blau geworden. Mit den beißenden Schmerzen hatte es dort angefangen. Dann war der Fuß dick geworden und die Färbung war mit den Schmerzen nach oben gewandert. Schließlich hatte das Gleiche auch in den Zehen des anderen Fußes angefangen. Natürlich werden sie die Färbung auch erkannt haben, aber ich konnte ihnen nicht mitteilen, wo die Schmerzen auftraten und wann. Und wozu sollten sie einen Bewusstlosen noch mit Analgetika belasten oder gar eine Rückenmarkstimulation vornehmen?
Aber sonst haben sie alles getan, was sie konnten, sagten sie. Nur weggeschafft haben sie mich nicht. Immer noch nicht. Obwohl ich doch offensichtlich tot bin, sonst könnte ich mich doch nicht sehen, oder?
Dabei habe ich ihnen immer wieder gesagt, sie sollten mich gehen lassen, aus diesem exzellenten Haus, qualitätsgesichert und überhaupt vorbildlich. Vielleicht haben sie nicht richtig zugehört. Oder sie haben mich nicht verstanden, obwohl ich immer sehr darum bemüht war, sie zu überzeugen. Wirklich, ich habe alles versucht! Und doch ließen sie mich nicht, sondern tun für mich alles, was möglich ist, wie sie immer sagen.
Und überhaupt! Wieso liege ich da eigentlich? Gerade das wollte ich doch vermieden haben. Genau! Deshalb hatte ich mich doch verabschiedet. Ich wollte nicht mehr! Vor allem aber wollte ich nicht abhängig werden, nicht betütert, mildtätig versorgt oder geschäftsmäßig gestreichelt werden. Ich wollte nur, dass es zu Ende ist. Deswegen mein ganzer, sorgfältiger Aufwand der Vorsorge. Also, noch einmal, wie bin ich bloß hierhergekommen? Wieso bin ich … Jetzt stört der mich beim Nachdenken.
„Hallo!“
Das ist der Mohr. Habe ich schon oft gesehen. Kommt gerade vorbei, der Stationsarzt. Ihn könnte ich fragen.
„Hallo!“
Aber das geht ja gar nicht. Der sieht und hört mich nicht. Für den bin ich gar nicht da. Außerdem würde er sowieso nicht die Wahrheit sagen. Herr Doktor Mohr hat die Wahrheit nie bei anderen gesucht, eher bei sich oder im Himmel. Und natürlich ist Schwester Angela hinter ihm. Sie folgt immer seinem Kittel. Früher, fällt mir ein, früher, in der ersten Zeit meines Aufenthaltes hier, hing aus dem Kittel immer sein Stethoskop heraus. Inzwischen trägt Angela es für ihn, als Statussymbol der Oberschwester.
Was machen sie denn nun? Jetzt schließen sie doch wieder das mobile EEG an! Jetzt noch eine Hirnstrommessung? Das Verkabeln macht Angela, ordnet noch die Strippen, will sie mit Leukoplast befestigen.
„Schon gut“, sagt er ungeduldig. Er hat es immer besonders eilig, das unterstreicht seine Wichtigkeit. „Kaum messbar.“
„Eigentlich gar nichts“, sagt sie.
„Schon richtig“, sagt er, „aber die Messtoleranzen! Es ist nicht auszuschließen, dass er noch da ist. Wir wissen ja von der Forschung, dass nicht messbare Restströme immer noch einer Reanimation dienen könnten.“
„Ja, aber wann sonst?“
„Es sind auch Fälle von Nahtoderscheinungen bekannt. Wenn auch selten, aber immerhin.“
Er lässt sich auch durch Widerspruch nicht beirren. Seine Selbstsicherheit ist mir schon oft aufgefallen.
„Er