Stille Pfade. Philipp Lauterbach

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Название Stille Pfade
Автор произведения Philipp Lauterbach
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Год выпуска 0
isbn 9783944771311



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Und als die verbliebenden Magier die körperliche Überlegenheit ihrer Gegner nicht mehr ausgleichen konnten, überschritten diese die Meerenge und unterwarfen die Fünf Provinzen. Die Einungskriege waren verloren. Dies war nun 72 Jahre her.

      „Die Magie wird nicht einfach zurückkehren“, bemerkte Stanislaw bitter, „selbst wenn ihr es schafft, die Kaiserlichen über die Meerenge zurück in ihr Land zu drängen.“

      „Das muss sie auch nicht.“ Stefanie blickte zwischen Wolf und ihm hin und her. „Ich beabsichtige vielmehr die Stärke der Kaiserlichen durch Masse zu schlagen.“

      „Aber du weißt nicht wie viele Kaiserliche es gibt.“

      „Aber ich weiß, wie viele Kaiserliche sich in den Fünf Provinzen befinden“, wehrte die Vorsitzende Stanislaws Einwand barsch ab. „Und ich weiß, dass sich niemand auch nur vorstellen kann, wieviel Waffen wir durch unsere Maschinen wirklich produzieren können. Freistadt kann innerhalb von einer Woche ganze Landstriche unter Waffen stellen. Und ich sprechen nicht von einem Schwert oder Speer für jeden Soldaten“, fuhr Stefanie nahezu hysterisch fort. „Ich spreche von einer vollen Schutzrüstung samt Haupt- und Nebenwaffe. Mit Helm, Schild und Pflegematerial. Alles, was dazugehört.“ Sie war inzwischen aufgestanden und beugte sich über den schweren Eichentisch. „Ein solches Meer aus gepanzerten Soldaten und Klingen wird die kaiserliche Armee einfach hinwegfegen.“ Stanislaw schauderte es.

      „Also plant ihr die Akademie der Zauberkünste in eurer Strategie gar nicht erst mit ein, richtig?“, hakte er spitzfindig nach. „Etwa, weil ihr sie für ebenso veraltet befindet wie König und Ständeordnung?“ Er spürte, wie sich Stein neben ihm spannte. „Sind wir möglicherweise die nächsten, die nach König und Kaiserin auf eurer Liste stehen? Immerhin beherbergt die Akademie eine Menge Traditionalisten, die eine gewisse Nähe zum Königshof pflegen.“

      „Zu denen du nicht gehörst“, bemerkte Stefanie.

      „Zu denen ich nicht gehöre“, bestätigte Stanislaw. Steins Ledermantel raschelte verdächtig, als dieser beiläufig seine Hand unter dem Kleidungsstück verschwinden ließ. Auch Stanislaw verstärkte den Griff um seinen Gehstock und die vertraute Wärme magischer Energie waberte seinen Arm empor.

      „Die Akademie steht auf keiner meiner Listen“, antwortete Stefanie schließlich in die Spannung der Situation hinein. „Ich möchte weder dich, meinen alten Lehrmeister, noch einen anderen Magier, noch die Akademie der Zauberkünste zum Feind. Um ehrlich zu sein war dies der Grund, warum ich dich von Anfang an in die Konsultationen mit dem Kaiserreich einbinden wollte.“ Stanislaw glaubte ihr. „Ich möchte alle Bewohner der Fünf Provinzen in einer Nation, bestehend aus Freien, vereinen“, beschwor sie ihn. „Und was die Nähe mancher Magier zu Wieland III. angeht … diese Magier müssen eine Entscheidung treffen: für die Nation oder für König und Kaiserin.“

      8

      Entspannt trat Ismail vor dem Hinkenden Stoffel auf den Gehsteig, blickte in die Sonne und schloss die Augen. Er atmete tief durch. Nach der düsteren, wolkenverhangenen Nacht erschien Freistadt in diesem Sonnenschein wie eine völlig andere Stadt. Die Spatzen sangen auf den Dächern, hüpften auf den Dachrinnen umher und wann immer sie konnten, flatterten diese runden, doch flinken, Spitzbuben zwischen die Bewohner auf die Straße und pickten blitzschnell alles auf, was fallengelassen wurde. Die Stadt war wie neu geboren. Ein Gefühl, welches der Waldläufer nach einer Nacht in einem richtigen Bett und einem heißen Bad am Morgen, in gewissem Maß teilte.

      Neugierig betrachtete Ismail die Fußgänger vorm Hinkenden Stoffel. Freistadt war im gesamten Königreich dafür bekannt, alle Rassen der Fünf Provinzen mit offenen Armen zu empfangen und in sich zu vereinen. Soweit er sehen konnte, waren die Menschen dabei jedoch klar in der Überzahl – was aber nicht wirklich verwunderlich war. Zum einen gab es einfach weitaus mehr Menschen als Alben und Zwerge im Königreich, zum anderen lebten die letzteren meist lokal sehr verankert unter sich.

      Der Großteil der Zwerge etwa, siedelte in den einem der großen Gebirgszüge des Königreiches: dem Götterkamm oder dem Goldenen Acker. Beim Götterkamm handelte es sich zweifelsfrei um das größte und höchste Gebirge. Es bedeckte beinahe die gesamte Westliche Provinz. Lange Zeit das Armenhaus des Königreiches, erlebte es in den letzten Dekaden einen Aufschwung, dem niemand ihm zugetraut hatte. Es waren wohl die enormen Kohlevorkommen dort, welche die Provinz lange Zeit zum Gespött und heute zum unentbehrlichen Rohstofflieferanten machten. Das zweite Gebirge, in dem traditionell viele Zwerge lebten, war der Goldene Acker und lag in der Nördlichen Provinz. Ein Vielfaches kleiner als sein großer Bruder im Westen, barg es nicht weniger wertvolle Schätze. Der Goldene Acker besaß zwar keine Kohle, dafür jedoch die bedeutendsten Gold- und Edelsteinvorkommen im gesamten Königreich. Seine Bedeutung für die Reichen und Mächtigen ergab sich somit ganz von alleine.

      Während die Zwerge inzwischen nahezu vollkommen in die Belange der Menschen eingebunden waren, war die Situation der Alben eine ganz andere. Grob konnte man diese in zwei Gruppen herunter brechen: jene Alben, die etwas mit den anderen Rassen zu tun haben wollten und jene Alben, auf die dies nicht zutraf. Die erste Gruppe lebte oftmals friedlich mit Menschen und Zwergen zusammen, meist in Städten oder kleineren Ortschaften überall in den Fünf Provinzen. Die zweite Gruppe hingegen lebte in nomadischen Familienverbänden, tief zurückgezogen im Schattenforst, dem mächtigsten und gefährlichsten Wald des Königreichs. Manche Stimmen behaupteten sogar, die Alben der Freien Stämme hätten den Schattenforst einfach niemals verlassen, da ihre Wurzeln in dieser unbezwungenen, lebensfeindlichen Wildnis lägen. Ismail wusste nur, dass er selbst als erfahrener Waldläufer die Tiefen des Schattenforstes fürchtete.

      Er trat nun vom Gehsteig und folgte der Straße nach links. Im Gegensatz zu den Außenbezirken Freistadts, war der Mittlere Ring mit Kopfsteinpflaster ausgelegt und verfügte über eine Gosse, welche in einer ausgebauten Kanalisation mündete. Ein Regenschauer hatte hier also ganz andere Auswirkungen als im Äußeren Ring, nicht zuletzt im Hinblick auf den Geruch, der einem auf der Straße entgegen schlug. Als der Waldläufer beiläufig einen großen, runden Gullydeckel in der Straßengosse inspizierte, fiel sein Blick unweigerlich auf seine abgetragenen Lederstiefel. Es ist zum verrückt werden, dachte er wütend. Kaum hat man die Dinger richtig eingelaufen, muss man damit schon wieder zum Schuster. Während der Waldläufer noch die Kosten für die Reparatur abschätzte, wog er zähneknirschend seinen Geldbeutel in der Hand. Ich sollte lieber erst einmal das Wolfsfell verkaufen … Wie war nur der Name dieses verdammten Geschäftes, von dem die beiden Trottel am Stadttor mir erzählt haben?, überlegte Ismail angestrengt während er die vorbeiziehenden Geschäfte auf eine Verkaufsmöglichkeit für das Fell auf seinem Rücken prüfte. Der Waldläufer wollte sich auf keinem Fall über den Tisch ziehen lassen, so dringend er das Geld auch benötigte.

      Da Fenriswölfe überaus schwer zu erlegen waren, wurden ihre Felle im gesamten Königreich zu hohen Preisen gehandelt. Andererseits wollte er die Stadt nach dem Zwischenfall mit den Stadtwachen so schnell wie möglich wieder verlassen und musste aufpassen, dass er auf dem Fell nicht sitzenblieb. Das Feilschen mit Händlern war noch nie einer seiner Stärken gewesen.

      Ismail entdeckte eine offizielle Niederlassung der Gilde zu seiner Rechten. Und wie bei allen offiziellen Niederlassungen, prangte auch über dessen Eingangstür das Symbol der Handelsgilde: die goldene Kaufmannswaage auf schwarzem Grund. Im Gegensatz zu den Handwerkern mussten sich die Händler im Königreich nicht in städtischen Zünften organisieren, sondern durften weitestgehend unabhängig und auf eigene Rechnung handeln – bis auf jene, die Geschäfte mit der Handelsgilde machten oder von dieser dazu gezwungen wurden. Mit ihrem rücksichtslosen Vorgehen hatte es die Handelsgilde in den vergangenen Jahrzehnten geschafft, ein weit verflochtenes Netz von offiziellen und inoffiziellen Vertragshändlern im gesamten Königreich zu weben. Die Gilde war einfach überall und handelte mit allem, was einen Erlös versprach. In diesem Geschäft würde er sein Fell auf jeden Fall verkaufen können, doch wurde Ismail schon übel, wenn er nur an den Verkaufspreis dachte.

      „Mein Herr, bitte nur eine Reichsmark für eine arme Frau und Mutter.“ Die Bettlerin hatte sich dem Waldläufer aus einer schmalen Gasse hinter im genähert.