Название | Augenschön Das Herz der Zeit (Band 3) |
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Автор произведения | Judith Kilnar |
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Серия | |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783964640079 |
Fragend blickte ich sie an.
»Ich muss leider los. Es ist ein einziges Elend, diese Verpflichtungen.« Wehmütig ließ sie ihren Blick durch mein Zimmer streifen und drückte mich dann noch einmal an sich. »Denk daran, du bist stark«, flüsterte sie mir vor dem Gehen noch einmal ins Ohr.
Offensichtlich sah sie das anders als ich.
Mit einem Klicken fiel die Tür ins Schloss, und ich blieb allein zurück. Das Licht brannte noch hell, und das Sofa war lange nicht so bequem, wie mein Bett es sein würde, doch ich fühlte mich so kraftlos und konnte mich nicht aufraffen. Also zog ich nur matt die Beine an den Bauch und starrte, auf die Seite gelegt, den Tisch an.
In Rose’ Abwesenheit kam ich mit der Stille nicht gut klar. Schon bald verlor ich den schwach gefochtenen Kampf gegen mich selbst und sah Raum und Zeit vor mir verschwinden.
Ich vergrub die Hände tiefer in den Taschen meines dunklen, gefütterten Anoraks, der mir bis zu den Schenkeln reichte, und trat mit meinen hohen Stiefeln fest auf den Kies auf. Obwohl ich, laut Rose, vierzehn Stunden auf dem Sofa gelegen hatte, war die Erschöpfung noch nicht ganz gewichen, und ich wäre am liebsten zurück in die Wohnung gegangen. Doch das hatte meine Freundin nicht zugelassen. Sie hatte den gestrigen Abend auch damit verbracht, mir Herbst- und Winterkleidung zu besorgen, etwa den Anorak und die hellbraunen Lederstiefeletten, die ich gerade trug.
Ich schaute auf den Boden, während der Wind kühl durch meine schwarz glänzenden Locken wehte, die offen über meine Schultern und die Kapuze fielen. Rose hatte mich daran gehindert, sie als Pferdeschwanz unter meiner Kapuze zu verstecken, und gemeint, je früher sich alle daran gewöhnten, umso besser wäre es für mich. Ich hatte nicht widersprochen und bereute es jetzt auf dem Weg zur Westwiese.
Schon im Frühstückssaal hatten mich alle angestarrt. Rose hatte gesagt, dass sie es auch getan hätten, wenn ich wie früher ausgesehen hätte. Schließlich war ich durch die Reise zu einer Berühmtheit geworden. Doch beruhigt hatte es mich keineswegs. Ich hatte nur einen halben Apfel gegessen, denn obwohl ich einen unbändigen Hunger hätte haben müssen, verspürte ich keinen Appetit und hätte am liebsten gar nichts gegessen.
»Rose? Ich muss mal.«
»Das nehme ich dir nicht ab, Lucy. Du warst heute schon mindestens zweimal auf dem Klo. Denk dir schlauere Methoden aus, um das Training zu schwänzen.«
Ich seufzte. »Ehrlich Rose, ich muss wirklich auf die Toilette.«
Rose verdrehte die Augen, blieb aber schließlich stehen. »Na gut. Ich warte hier auf dich, und wenn du in nächster Zeit nicht auftauchst, dann erzähle ich allen, dass sich neben deiner Haarfarbe auch deine Gehirntätigkeit verändert hat. Wobei, das glaubt mir bestimmt niemand. Vor der Reise warst du auch nicht gerade die Hellste.«
Ich streckte ihr die Zunge raus und lief zurück über den Hof.
In dieser Schleife hatte sich neben dem Wetter noch einiges mehr verändert. Jedes Augenschön hatte inzwischen einen strikten Tagesplan. Verschiedene Trainingseinheiten, überall auf dem Gelände, mit unterschiedlichen Ausbildern. Die unterirdischen Hallen waren für die anderen Schleifenwesen zum Trainieren reserviert, weshalb wir Augenschönen draußen trainieren mussten.
Abends fanden Versammlungen in der Veranstaltungshalle statt, bei denen nach Rose’ Erzählungen Taktiken sowie Änderungen am Trainingsplan besprochen wurden und Gruppenumformungen stattfanden. Zudem hatte man die Magieübungen an das hintere Ende der Ostwiese verlegt, weil auf der Südwiese die Behausungen für die noch erwarteten Schleifenwesen errichtet wurden. Ich hatte noch nicht vorbeigeschaut, lediglich den von den Bauarbeiten herrührenden Lärm vernommen.
Meinen Mitreisenden – selbst dieser ihn umschreibende Gedanke tat schrecklich weh – hatte ich seit gestern nicht mehr gesehen. Ich war Rose außerordentlich dankbar dafür, dass sie es geschafft hatte, mich davor zu bewahren, zusammen mit ihm bei den Neles Bericht erstatten zu müssen.
James war ich ebenfalls noch nicht begegnet, was mich eigentlich nicht weiter hätte stören sollen in Anbetracht seines Benehmens, bevor wir von ihm getrennt worden waren. Allerdings hatte ich ihn auf der Reise besser kennengelernt und vermisste ihn irgendwie als zwar nervigen, aber doch auch guten Freund. Das Einzige, was mir über ihn zu Ohren gekommen war, hatte mir Rose erzählt. Und es handelte nur davon, wie er die laufenden Vorbereitungen organisierte und sich darum kümmerte, dass alles richtig verlief. Auch der Wochenplan, den meine Freundin mir gegeben hatte, stammte von ihm.
Ich lief durch die Eingangstür und dann schnell die Treppe hinauf zu meiner Wohnung. Rose traute ich alles zu und wollte ihr keinen Anlass geben, mir einen kleinen Streich zu spielen. Als ich die Tür aufschloss und eintrat, stutzte ich kurz. Irgendetwas war seltsam. Nachdenklich sah ich mich um, während ich aus den Stiefeletten schlüpfte. Hatte ich die Tür zum Schlafzimmer nicht hinter mir geschlossen, als ich nach dem Anziehen zurück ins Wohnzimmer gegangen war? Und die Badezimmertür war doch sicherheitshalber offen gewesen, falls mich eine weitere Übelkeitsattacke überkommen sollte. Stirnrunzelnd bemerkte ich auch eine offene Schublade an meiner Kommode. War jemand hier drin gewesen?
Kopfschüttelnd ging ich ins Bad. Wahrscheinlich hatte Rose doch recht gehabt, und in meinem Gehirn war etwas zu Schaden gekommen. Das bildete ich mir alles sicherlich nur ein.
Als wir etwas später an der Westwiese ankamen, stellte Rose fest, dass ich nicht zusammen mit ihr zum Schwertkampf eingeteilt war, sondern auf der Ostwiese schießen üben sollte. Auch in meinem weiteren Wochenplan war ich zu keiner Übungseinheit mit dem Hantieren von Waffen oder Speeren eingeteilt. Auf Rose’ vielsagende Bemerkung, dass beim Erstellen meines Plans wohl jemand ziemlich genau über meine Vorlieben oder Kampftechniken Bescheid gewusst und sie auch berücksichtigt hatte, ging ich nicht ein, sondern verschwand ziemlich erleichtert über das frostüberzogene Gras nach Osten.
Es schien noch weitere Augenschöne zu geben, die auf das Bogenschießen spezialisiert waren, denn die Gruppe war ziemlich groß. Der Leiter hieß David, war neunzehn oder zwanzig und mir deutlich sympathischer als Xavier. Er hatte als Erster versucht, mir Kampftechniken beizubringen, und war dabei eindeutig zu selbstverliebt gewesen.
Ich stand allein am Rand der Gruppe und wich den neugierigen Blicken der anderen aus, während David uns begrüßte. Er teilte uns mit, dass wir die Pfeilgruppe A waren und es noch zwei weitere Gruppen B und C gab. Allerdings betonte er, dass der Buchstabe der Gruppe nichts mit dem Können seiner Mitglieder zu tun hatte.
So langsam entstand ein Bild in mir, wie die Vorbereitungen auf den Kampf abgelaufen waren und noch immer abliefen. Da niemand genau gewusst hatte, wann wir kommen würden beziehungsweise wann der Kampf beginnen sollte, hatten alle alles trainiert. Rose hatte sich über die vielen Übungen im Speerkampf und im Klettern im Südwald heftig ausgelassen und sich darüber gefreut, sich mit ihrem neuen Wochenplan endlich auf den Schwertkampf konzentrieren zu können. Verrückt, dass sie gerade diese Kampfart so toll fand.
Durch das, was ich von ihr erfahren hatte, kam ich zu dem Schluss, dass man die Augenschönen auf verschiedenste Arten vorbereitet hatte und jetzt, da die Zeit so knapp geworden war, Elitegruppen für die jeweiligen Spezialgebiete bildete.
»Ihr werdet in Teams zu zweit zusammenarbeiten, die ich nachher einteile«, erläuterte David. »Zum Aufwärmen schießt jeder zehn Pfeile auf die Scheibe, danach versucht ihr euch im Wald an speziellen Zielpunkten wie der Gabelung eines Astes oder einem Loch in einem Baum. Wer die Möglichkeit und Lust hat, kann auch versuchsweise ein kleines Tier erlegen. Passt auf, dass ihr euch nicht gegenseitig trefft, das würde Zeit kosten, die wir nicht haben. Eine halbe Stunde könnt ihr im Nordwald üben, danach versammeln wir uns noch einmal hier.« David beendete seine Anweisungen und verteilte an jeden einen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen.
Ich meinte zu bemerken,