Angst im Systemwechsel - Die Psychologie der Coronazeit. Jürgen Wächter

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Название Angst im Systemwechsel - Die Psychologie der Coronazeit
Автор произведения Jürgen Wächter
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991311676



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einen Streich gespielt und etwas unbemerkt auf meinen Wagen geklebt hatte. Niemals war ich rechts oder radikal gewesen. Wir gingen dann zum Auto und der Abteilungsleiter zeigte auf einen Aufkleber mit einem Thorhammer. Den habe ich tatsächlich am Wagen, da ich nicht christlich bin, sondern an die germanischen Götter glaube. Ich erklärte ihm, dass das ein religiöses Zeichen ist. ‚So was benutzen aber auch Rechtsradikale.‘ ‚Rechtsradikale gehen auch in den Supermarkt, wenn Sie dort sind, trotzdem sind Sie deshalb noch kein Rechtsradikaler‘, konterte ich. Schließlich akzeptierte er mein Glaubensbekenntnis. Aber die Schikanen gingen weiter. Haarsträubende Dinge wurden gesucht. Im September erhielt ich dann die Erklärung, dass mein zum Jahresende auslaufender Vertrag nicht verlängert würde; es seien fachliche Gründe dafür entscheidend, nicht die Maskenbefreiung, hieß es offiziell. Jeder im Betrieb wusste, dass es wegen der Maskenablehnung war. Seitdem trägt hier jeder widerstandslos eine Maske, ich war also das Exempel, das statuiert wurde, um alle zu disziplinieren. Ab Januar bin ich arbeitslos, aber meine Würde habe ich behalten.“153

      In der Masse kann der Einzelne jede Schweinerei begehen. Er selbst tut es ja nicht, er ist kein verantwortliches Individuum mehr. Die Verantwortung liegt bei der Masse, der er nur gehorcht. Klar, dass hinterher alle sagen konnten, sie hätten in der Nazizeit nicht mitgemacht. Dazu brauchte es jedoch keines Abzeichens und keiner Parteimitgliedschaft. Ein schrecklicher Charakter reicht, um sich in einer Masse ausleben zu können. Doch dadurch machen sie sich erst recht zum Helfershelfer von Unterdrückung und Boshaftigkeit.

      „Ich war mit Maske in einem Baumarkt, kaufte aber nichts und wollte hinausgehen. Ich musste an der Warteschlange an der Kasse vorbei, wie man das so mit dem üblichen ‚Darf ich mal vorbei‘ so macht. Plötzlich stellte ein Mann seinen Wagen quer, sodass ich nicht weiterkam, und schrie mich an ‚Abstand halten!‘ Solche Frechheiten sind mir früher nicht geschehen.“

      „Gestern in einem Laden. Ich beim Betreten gehe zwei Meter rückwärts … Bodenmarkierung übersehen. Oje. Da blafft die Verkäuferin: ‚Sie müssen Ihre Maske aufsetzen.‘

      Ich: ‚Ich habe eine Befreiung.‘

      Sie: ‚Sie brauchen einen Korb.‘

      Ich: ‚Ich brauche keinen Korb.‘

      Sie: ‚Das ist wegen der Anzahl.‘

      Ich: ‚Ja, ja, das ist besonders wichtig in einem total leeren Laden.‘

      Sie: ‚Ich mache nur meine Arbeit.‘

      Ich: ‚Ja, das machen wir alle.‘

      Sie zu der einzigen anderen Kundin im Laden: ‚Die sterben hoffentlich alle.‘

      Ich: ‚Ich habe das gehört.‘