Die Sanduhr in meinem Kopf. Michael Bohm

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Название Die Sanduhr in meinem Kopf
Автор произведения Michael Bohm
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783956691737



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David, der Erbe des Heiligen Blutes, auf einem Esel neben Lazarus aus dem Dorf in Richtung Massalia. Aus welchem Grunde Lazarus ihn von den Frauen wegholte, habe ich nicht erfahren.

      Kaum war David weg, zog sich Mirjam in die Höhle zurück, wie sie es von Zeit zu Zeit tat. Sie war für Mirjam ein Rückzugsort, an dem sie Zwiesprache mit ihrem Gefährten hielt, wie ich vermutete.

      Irgendwann, David war schon länger nicht mehr da, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und wagte es, Mirjam in der Höhle aufzusuchen, sie in ihrer Ruhe zu stören. Ich meinte, sie trotz des schwachen Lichts lächeln zu sehen, als ich im Eingang meine Entschuldigung stotterte. Mirjam lud mich zum Sitzen neben ihr auf dem harten Boden ein. Lange schwiegen wir. Dann begann sie von dem Mann zu erzählen, den sie Rabbi nannte, von seinem Leben als Wanderprediger, seiner radikalen Gewaltlosigkeit. Sie malte mit Worten die Bilder vieler Menschen am Hang eines Berges, wo er von der Nächstenliebe predigte und die Leute fragten, »wer bist du?«.

      »Ich bin der Menschensohn und immer da.«

      Nach seinen so unverständlichen wie aufwühlenden Worten speiste er die Menge mit ein wenig Brot und einer Handvoll Fische.

      Mirjam starrte an die Höhlenwand, wo sie in den springenden Schatten ihre Erzählung lebendig sah. Ich wusste von ihren Visionen, kannte diesen abwesenden Blick.

      Sie sprach auch von der Hochzeit in einem Ort mit Namen Kana, wo es lustig zugegangen und voller Übermut gefeiert worden war. Ich fragte mich im Stillen, ob es ihre Hochzeit mit dem Rabbi gewesen war.

      Mirjam sagte mir, ich dürfe immer zu ihr in die Höhle kommen, um mit ihr zu schweigen und auf ihre Worte zu hören. Einmal war ich bei ihr, als sie sich traurige, fast sehnsuchtsvolle Gedanken um ihre früheren Kameraden, den Jüngern des Herrn, machte. Wo waren Andreas, Simon, Philippos, Johannes, Jakobus, Thomas geblieben? Diese Namen habe ich mir gemerkt. Es können auch mehr gewesen sein.

      Noch viel später, ich war längst zu einem Vertrauten geworden, sprach sie häufig über das Mysterium des Kreuzes. Diese mir dennoch rätselhaft gebliebene Frau betrachtete dieses Marterholz als ein göttliches Symbol. Für sie war es kein Zeichen des Todes sondern vielmehr eines des Lebens. Sprach sie solche Worte aus, leuchtete Mirjam von innen.

      Viele Jahre gingen über unsere friedliche Gegend und sie erscheinen mir heute wie ein schöner langer Tag. Ich durfte diese Zeit nicht neben ihr, aber ganz in der Nähe Mirjams sein. Sie war zu einer bekannten Frau geworden und schon rankten sich Legenden um sie. Was da an Erzählungen entstand, hatte mit dem, was ich erlebte und hörte, nicht viel gemein. Die Menschen brauchen Leitbilder und schaffen sich aus besonderen Menschen gern Märchenfiguren. Ich weiß, dass es nicht wenige gibt, die im Namen Maria Magdalenas, meiner Mirjam, in Nöten den Himmel anrufen.

      Eines Tages habe ich Mirjam in der Höhle gefunden. Obwohl mir der Weg, früher ein Katzensprung, viel Mühe, auch Schmerzen bereitete, verließ ich voller Freude mein kleines Haus. Es war mir nach den vielen Jahren Dienst zum Geschenk gemacht worden. Zudem war ich jetzt ein Römer. Ich hatte mir beides wahrlich verdient.

      Mirjam lag im hellen Bereich der Höhle, nahe dem Eingang. Ihre blauen Augen sahen direkt in den ebenso blauen Himmel. Auf ihrem noch immer schönen Gesicht war ein Lächeln zurückgeblieben. Kein Zweifel, sie war freudig hinübergegangen in das unbekannte Land, das sie ewiges Leben nannte.

      Wo ist Mirjam jetzt? Ist sie bei ihrem Gefährten, dem, der gesagt hat, »ich bin der, der ich bin«, dem von den Toten auferstandenen Rabbi?

      Wenn ich heute auf meiner Bank über Mirjam nachdenke, geht mein Blick ebenfalls in eine helle Zukunft. Ich habe meine Angst vor dem Tod verloren. Im Jenseits werde ich Mirjam wiedersehen und für immer in ihrer Nähe bleiben.

      Mein Bild von Roxane

      Die Prinzessin aus der Wüste

      Roxane.

      Ich habe Roxane gesehen. Das war vor zwei Tagen. Mir gelingt es nicht, ihr Bild festzuhalten. Sie widersetzt sich dem Stift, erst recht dem Pinsel, will sich partout nicht auf Papier oder Leinwand sehen.

      Seit dem flüchtigen Moment im Mark Twain hat sie mein Herz in der Hand und sitzt in meinem Kopf. Was hat sie dagegen, dass ich sie malen will? Wer ist sie überhaupt?

      Roxane?

      Auf den ersten Blick habe ich sie erkannt. Da kann sie noch so schnell geflohen sein. Natürlich hat sie mein Erstaunen bemerkt, und gewusst, was es bedeutete.

      Ich werfe den Stift auf den Holzboden, sodass er bis auf Kniehöhe wieder hochspringt. Es ist eine Mischung aus Zorn und Verzweiflung, die mich so heftig werden lässt.

      Spontan lasse ich alles stehen und liegen, eile hinüber ins Seniorenheim, finde den Professor im Café. Dort sitzt er meist, mit einem Buch oder einer Zeitung, immer alleine, immer mit einer leeren Tasse Kaffee vor sich.

      »Herr Professor, erzählen Sie mir von Roxane«, fordere ich mehr als ich bitte gleich nach meinem Gruß.

      »Schau ins Internet, mein Junge.«

      »Ach, das Internet. Ich traue ihm nicht. Sagt es mir die Wahrheit, so wie Sie es tun werden?«

      Er macht eine Bewegung mit der Hand, bietet mir den Platz ihm gegenüber an. Also setze ich mich, sehe den weißhaarigen, hageren alten Mann an.

      »Wie kommst du auf Roxane, Simon?«

      »Ich habe sie getroffen, Professor.«

      »Roxane ist seit ungefähr 2300 Jahren tot. Wo willst du sie getroffen haben?«

      »Vor zwei Tagen im Mark Twain.«

      »Sie hat gesagt, sie sei Roxane? Das ist ein Name, Simon. Aber ich gebe zu, viele Frauen heißen nicht so.«

      »Machen Sie sich nur lustig, Professor. Sie hat nicht mit mir gesprochen. Ich habe sie angesehen und sofort erkannt.«

      »Woher willst du Roxane kennen?«

      »Vom Fresko in der Villa Farnesina in Rom.«

      »Und sie ist dir entwischt und du möchtest sie wiedersehen?«

      »Natürlich möchte ich sie wiedersehen. Das ist aber nicht das Problem.«

      »Sondern?«

      »Ich habe versucht, sie zu zeichnen, auch auf die Leinwand zu bringen. Immer wenn ich glaube, sie vor Augen zu haben, entzieht sie sich, verschwindet in einem Dunst. Ich bekomme es einfach nicht hin. Was ich auf dem Papier sehe, das ist sie nicht.«

      »Diese Schwierigkeiten sind dir doch nicht neu.«

      »Das hier ist was anderes. Sie hat meinen Stift und den Pinsel störrisch gemacht.«

      »Und was versprichst du dir davon, wenn ich dir von Roxane erzähle?«

      »Dass sich dadurch der Zauber löst und ich sie malen kann.«

      »Du bist ein Spinner, Simon.« Der Professor lächelt mich an. »Wer Roxane war, weißt du?«

      »Die Frau von Alexander dem Großen. Sie stammte aus dem heutigen Afghanistan.«

      »Das ist doch schon mehr als nichts. Gut«, sagt er, »höre also:

      Roxane war eine baktrische Prinzessin, die Tochter des Fürsten Oxyartes. Andere Quellen sagen, sie sei eine Tochter des Perserkönigs, der Name fällt mir gerade nicht ein, gewesen, der sie

      Alexander als Friedensangebot zugeführt haben soll. Es gibt viele Geschichten um Roxane. Neben der Gattin des persischen Großkönigs nannte man sie die schönste Frau der damaligen Welt. Auch gibt es die krude Geschichte, sie habe versucht,

      Alexander zum Islam zu bekehren. Zu dieser Zeit lag der Islam noch in weiter Ferne.

      Zu stimmen scheint,