Die Schatten von Paradell. Sebastian Müller

Читать онлайн.
Название Die Schatten von Paradell
Автор произведения Sebastian Müller
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991300939



Скачать книгу

von ihnen zu entdecken. „Muuum, Daaad“, rief er. Keine Antwort. Dabei war das ein billiges transportables Klohäuschen, die hätten ihn da drin hören müssen. Seine Panik wuchs ständig weiter. Allen logischen Erklärungsversuchen zum Trotz schaffte er es nicht, sich dagegen zu wehren.

      Im Traum rannte er zunehmend hektischer umher und rief nach seinen Eltern, während die Panik ins Unermessliche stieg.

      – 4 –

      Im Bett in der Gegenwart warf sich Simon wild umher und zerwühlte das ganze Bettzeug. Schweißgebadet wachte er auf.

      „Muuum, Daaad!“, rief er nochmal kräftig in die Dunkelheit seines Zimmers. Seine Tante Olivia kam an die Tür, steckte den Kopf durch den Spalt und fragte: „Simon, alles in Ordnung? Ich habe dich rufen gehört.“

      „Alles klar, es war nur ein Alptraum“, beruhigte Simon sie. Er selbst war alles andere als beruhigt. „Okay, dann ist alles wieder in Ordnung? Kann ich dir noch irgendetwas bringen?“, fragte seine Tante. „Nein, ist schon gut. War nur ein Traum“, bestätigte er erneut, auch um sich selbst zu vergewissern.

      „Na dann schlaf gut weiter, mein Junge“, sagte Olivia mit sanfter Stimme.

      Nach Schlaf war ihm nicht zu Mute. „Oh Mann, davon habe ich ja seit Ewigkeiten nicht mehr geträumt. Und wenn, dann nie so lebhaft“, dachte er sich.

      „Und an die Schatten erinnere ich mich erst recht nicht“ er erschauderte und zog sich die Decke weiter bis ans Kinn. „War das mein Kopf, der die heutigen Erlebnisse im Traum mit dem Tag vor drei Jahren verbunden hat? Waren die damals wirklich da und ich habe das im Licht all der Ereignisse später vergessen?“

      Er wusste nur eins, an dem Tag hatte er so lange gerufen, bis er die Aufmerksamkeit der Leute erregt hatte. Der Sicherheitsdienst des Volksfestes hatte ihn im weiteren Verlauf befragt und zu guter Letzt die Polizei gerufen. Doch auch die waren machtlos. Man hatte seine Eltern ausgerufen und die Polizisten hatten das ganze Volksfest durchsucht. Nachdem alle Gäste am Abend das Festgelände verlassen hatten und von seinen Eltern keine Spur zu finden war, hatte man sie offiziell als vermisst gemeldet und seine Tante Olivia angerufen.

      Leider war das auch schon alles gewesen. Man hatte sie nie gefunden. Nicht mal irgendwelche Hinweise hat es in den folgenden Jahren gegeben.

      Seither lebte Simon bei seiner Tante Olivia Gideon. Die Schwester seines Vaters hatte nach ihrer Scheidung wieder ihren Mädchennamen angenommen und wohnte seitdem in ihrer Nähe. Simon hatte bereits davor eine enge Beziehung zu seiner Tante gehabt. Danach setzte sie alles daran ihm die erste Zeit zumindest erträglicher zu gestalten, bis er sich damit abgefunden hatte, dass seine Eltern für immer weg waren.

      Er grübelte, da ihm eine spezielle Frage keine Ruhe ließ. Haben die komischen Wesen, die er an dem Tag mit seinen Freunden gesehen hatte, irgendetwas mit dem Verschwinden seiner Eltern zu schaffen? Oder hatte ihm sein Gehirn einen blöden Streich gespielt. Er grübelte, bis die Müdigkeit langsam zurückkam.

      Er gähnte ausgiebig und beim Einschlafen schaute er kurz auf die Gitarre in der Ecke, bevor ihm die Augen wieder zufielen. Der letzte Gedanke, der ihm durch den Kopf schwebte, war: „Mein kleiner Rockstar bekommt heute alles, was er sich wünscht …“ Er schlief mit einem Lächeln ein, aber eine einsame Träne floss ihm aus dem Augenwinkel.

      – 5 –

      Am nächsten Morgen waren die Schrecken der Nacht verblasst. Simon stand erst gegen halb zehn Uhr auf. Als er in die Küche kam, fand er Müsli, eine Schüssel sowie eine Packung Milch für ihn bereitgestellt. Seine Tante stand deutlich früher auf und hatte bereits gefrühstückt. Bestimmt war sie zum Markt gefahren.

      Simon holte sich etwas frischen Saft aus dem Kühlschrank und setzte sich an den Küchentisch. Sein Platz wurde von der Sonne erwärmt und er träumte gelassen, ohne konkrete Gedankengänge, vor sich hin, während er frühstückte.

      Als er fertig war, holte er sein Handy heraus und schrieb im Gruppenchat:

      @Simon> Hey Leute, seid ihr wach?

      @Simon> Wollen wir nachher in den Park? Es ist schließlich die letzte Ferienwoche, das sollten wir nutzen, oder?

      Die anderen waren einverstanden und planten, sich um ein Uhr zu treffen.

      Simon ging ins Bad und stand eine Weile vorm Spiegel. Er duckte sich etwas. Da er mit 1,88 deutlich größer als seine Tante war, hing der Spiegel für ihn zu tief. Er betrachtete seine zotteligen gewellten rotbraunen Haare, die nach Bettfrisur aussahen. Das war aber seine normale Frisur. Einen Kamm sahen die nur sporadisch.

      Er warf sich eine Hand voll Wasser ins Gesicht, was ihn gleich mehr aufweckte. Beim Anblick seiner Haut, die am Ende der Ferien noch recht blass war, dachte er: „Na, ausreichend braun werde ich ja nie, das ist echt unfair.“

      Simon war schlank und drahtig. Ganz der Sportler. Er warf sich ein zweites Mal Wasser ins Gesicht und kam langsam in die Gänge. Er putzte sich flink die Zähne und sprang unter die Dusche. Als er fertig war, suchte er sich ein weißes lässiges T-Shirt und eine dunkelblaue Jeans heraus. Die Surfer Halskette, die er immer trug, holte er sich vom Nachttisch und damit war er bereit.

      Der Weg zum Park war für ihn nur zehn Minuten mit dem Fahrrad, somit wäre er zu früh dort gewesen, wenn er sofort losgefahren wäre. Aber er konnte da auf die anderen warten. Das war besser, als bei dem Wetter länger drinnen zu bleiben.

      Er legte seiner Tante einen Zettel hin und machte sich auf den Weg.

      Er nahm die Pfade durch die Hinterhöfe seines Wohngebiets. Das war besser, als an der Hauptstraße Fahrrad zu fahren. Zwischen den ganzen Wohnblöcken gelangte die Sonne nie komplett bis auf den Boden. Als er das Viertel verließ und zum alten innerstädtischen Flugplatz kam, der mittlerweile als Park genutzt wurde, hellte sich alles merklich auf und er dachte: „Das wird nochmal ein wunderschöner Sommerferientag.“

      Er fand eine einzelne Baumgruppe auf der weiten offenen Rasenfläche und wählte diesen Platz. Mangels Fahrradständer wurde sein altes Gefährt unter den Baum gelegt und er platzierte sich daneben in den Schatten. Er schloss die Augen und genoss einen Luftzug, der sehr erfrischend war.

      „Hi Simon“, riss ihn nach Kurzem eine hohe Stimme aus seinen Gedanken. Er machte die Augen wegen der Sonne langsam auf. „Ah Marie, hi, wie geht’s?“

      „Gut“, antwortete Marie. „Ist sonst keiner da?“, fragte sie.

      Simon antwortete mit einem verschmitzten Lächeln. „Na du bist wie immer pünktlich wie die Maurer.“ Und mit einem kurzen Blick auf die Handyuhr ergänzte er: „Dreiviertel eins, du kennst die andern. Maximal von Ben könnte man erwarten, dass er bis ein Uhr hier ist. Aber die beiden Turteltäubchen wären in einer halben Stunde noch pünktlich für ihre Verhältnisse. Ich weiß nicht, wer von den beiden länger für seine Haare braucht.“

      „Ah, stimmt“, murmelte Marie und lächelte verlegen. Sie hatte eine eigene Decke dabei, die sie auf dem Boden ausbreitete und sich draufsetzte. Marie trug ein unauffälliges beigefarbenes Kleid. Es war knielang mit kurzen Ärmeln. Sie saß still auf ihrer Decke und schaute über die weite Grasfläche des Parks.

      „Bist du hergelaufen?“, fragte Simon. „Ja, ich war noch in der Bibliothek und die liegt auf halbem Weg.“

      „Hast du was Interessantes zum Lesen gefunden?“, fragte er weiter.

      „Ach, ich habe schonmal was wegen der Schule für nächste Woche geschaut. In Geschichte kommen nach den Ferien die Napoleonischen Kriege dran“, antwortete Marie verlegen.

      Simon ließ sich grinsend zurück ins Gras fallen. „Ach Mariechen, du bist unverbesserlich. Noch sind Ferien. Genieß das, solange du kannst.“

      Da kam Ben um die Ecke auf die beiden zu und winkte fröhlich. „Hi Leute, da seid ihr ja. Seid ihr schon lange da?“, fragte Ben.

      „Ich bin erst gekommen“, antwortete Marie. „Simon faulenzt hier schon eine Weile im Gras rum.“ Marie wirkte gleich auffällig lebendiger, seit Ben da war.

      „Puh,