Mittendrin und am Rande – Lebenserinnerungen eines Vertriebenen. József Wieszt

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Название Mittendrin und am Rande – Lebenserinnerungen eines Vertriebenen
Автор произведения József Wieszt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991310266



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und gab uns Wasser oder einen Saft zu trinken. Angenehm unterschied er sich von unseren manchmal recht „bissigen“ Dörflern. Er gehörte zu den wenigen Menschen, die uns nicht spüren ließen, dass wir – wie anfangs für viele andere – unwillkommene ungarische „Zigeuner“ waren, die für alle Untaten im Dorf verantwortlich gemacht und entsprechend behandelt wurden.

      Einer, der eine ähnliche Haltung einnahm, war der Schmied des Dorfes. Als ich eines Tages etwas scheu und verlegen auf seinem Hof stand, winkte er mir zu und rief mich herein. Die Schmiede war ein rußschwarzer, nicht allzu großer Raum. Auf der Esse brannten Kohlen mit bläulichen Flammen, ein Stück Eisen steckte rotglühend darin. In dem Raum war es warm, es roch nach Kohlenrauch und Ruß. Der kräftige Mann nahm das glühende Eisen mit einer Zange aus dem Feuer und legte es auf den Amboss. Mit kräftigen Schlägen formte er das Eisen, von dem ab und zu glühende Teilchen wegsprangen. Als es nicht mehr heiß genug war, steckte er es wieder in das Feuer und blies die Glut mit einem riesigen Blasebalg wieder an. Fasziniert von der Kraft des Feuers und des kräftigen Mannes, der so gut damit umzugehen verstand, sah ich ihm mit großen Augen bei seiner Arbeit zu. „Schmiede das Eisen, solange es glüht“, sagte er mit strahlenden Augen, die aus seinem schwarzen Gesicht hervorleuchteten. Er fragte mich dann, wer ich sei, und ich sagte ihm meinen Namen. Ob es mir hier in der Schmiede gefalle, fragte er weiter. Als ich das mit heftigem Kopfnicken bejahte, lud er mich ein, wieder zu ihm in die Schmiede zu kommen, wann immer ich dazu Lust hätte. Das tat ich dann auch. Immer wieder staunte ich, wie er aus einem geraden Eisenstab schöne gebogene Teile für die verschiedensten Zwecke formte. Seine Auftraggeber waren die Bauern oder Handwerker des Dorfes, die ein gebrochenes oder verschlissenes Teil oder Werkzeug nachmachen ließen.

      Er stellte auch Hufeisen auf Vorrat her, für Pferde und für Kühe. Dass Pferde beschlagen wurden, wusste ich schon. Dass aber auch Kühe eiserne Schuhe bekamen, war mir neu. Das lag daran, dass es im Dorf nur wenige Pferde und nur einen Traktor gab, und dass die kleinen Bauern Kühe als Zugvieh einsetzten. Als Paarhufer bekamen sie andere Hufeisen als Pferde. Es waren nierenförmige flache Eisen, die vorne mit Nägeln und hinten mit einer umgebogenen Lasche an den Hufen der Tiere befestigt wurden. Für mich war es immer aufregend, beim Beschlagen der Tiere zuzusehen. Es wunderte mich sehr, dass die Tiere offenbar keinen Schmerz empfanden, wenn ihnen das heiße Eisen angepasst wurde, zischend stinkender Dampf aufstieg und Nägel in den Huf eingeschlagen wurden. Hatten die denn keine Schmerzen?

      Als ich den Schmied einmal danach fragte er, lächelte er nur: „Die haben kein Gefühl im Huf. Hufe sind aus Horn wie auch ihre Hörner oder deine Fingernägel. Es tut ja auch nicht weh, wenn deine Mutter sie dir schneidet.“ Was das Letztere angeht, so hatte meine Mutter kaum Gelegenheit dazu, denn ich kaute in meiner Kindheit heftig an meinen Fingernägeln. Später, als sich unsere Maria mit der Tochter des Schmiedes befreundete, war ich oft in seinem Haus und in der Schmiede, wo man mir stets freundlich begegnete. Wichtig war auch, dass ich dort erfahren konnte, wie ein liebevoller Umgang in einer Familie aussah. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie uns für unwillkommene Eindringlinge hielt. Auch der Schmied hatte Vertriebene aufgenommen, an die ich aber keine Erinnerung mehr habe. Die abwertende Bemerkung „ungarische Zigeuner“ habe ich in der Familie des Schmieds nicht gehört. Auch das bei einigen im Dorf betont zur Schau gestellte Mitleid mit uns „armen Kindern“, das nicht weniger verletzend und demütigend war, kannten sie nicht.

      Als ich zur Mittelschule ging, lernte ich eine Sinti-Familie kennen, die in unserem Nachbarstädtchen ein kleines Haus am Rande des Waldes bewohnte. Die Familie Weiß lebte dort mit zehn Kindern. Die Eltern waren Überlebende von Auschwitz. Der größte Teil ihrer Verwandtschaft war in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau vernichtet worden. Vater Weiß war ein Schrotthändler. Er fuhr über Land und sammelte Metallabfälle ein, die er an einen Großhändler weiterverkaufte. Ich kannte einen der Söhne und war gelegentlich in dem Haus. Dass Klassenkameraden von mir auch dort verkehrten, habe ich nicht gehört. Mit „Zijeinern“ wollten die Einheimischen nichts zu tun haben, die „klauten doch“ und man konnte sich leicht „Ungeziefer holen“. Die Weiß-Leute waren nette Menschen. Immer wenn ich da war, boten sie mir etwas zu essen und zu trinken an. Sie fragten mich, woher ich käme. Als sie hörten, dass ich aus Ungarn war, sprachen sie über ermordete Verwandte dort, aber auch, dass Ungarn „a so a scheenes Land“ sei. Sinti waren und sind in Ungarn nicht häufig. Heute leben dort überwiegend Roma.

      Der Hof der Familie diente als Sammelplatz für Schrott. Wenn genügend beisammen war, fuhr ihn Herr Weiß zum Großhändler. Für mich und meinen Verwandten Lorenz K. war der Hof eine wahre Fundgrube. Wir fanden immer Kleinigkeiten, die wir gebrauchen konnten, und die Familie Weiß schenkte uns das großzügig. Fotos von ihren ermordeten Verwandten hatten sie damals nicht. Nichts war gerettet worden. Fotos ganz andere Art brachte Herr Weiß eines Tages mit nach Hause. Sie steckten in einem ein braunen Lederalbum. Er hatte es irgendwo beim Schrott gefunden. Zunächst zögerte er, es mir zu zeigen. Doch dann setzte er sich an den Tisch, rief mich hinzu und schlug das Album auf. Lauter Soldaten in schwarzen Uniformen waren auf den Bildern zu sehen. „Sieh dir das an Junge, die SS, waren doch scheene große Menschen, sahen so gut aus und haben so schlimme Verbrechen begangen. Und jetzt missen se sich verstecken.“

      28 Damals war die Benutzung dieses Begriffs üblich. Die Namen Sinti und Roma kannte keiner von uns. Die Bezeichnung „Zigeuener“ wurde in Perbál nicht als diskriminierend empfunden. Wir sind ihm mit als Bestandteil unseres Dialekts aufgewachsen. Das waren halt Zigeuner, die zogen umher und stahlen. Man musste aufpassen, das war alles.

      Unser Vater

      Der Liebling seiner Mutter

      Wie oben erwähnt, wurde unser Vater am 21. Juli 1917 in Perbál geboren. Dass seine Eltern arme Kleinbauern waren, habe ich schon gesagt. Er hat das Schicksal aller Kinder von Kleinbauern in Perbál geteilt: ein Leben in Armut mit harter Arbeit. Als Erstgeborener