Название | Mit Leichtigkeit ins neue Leben |
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Автор произведения | Beatrice Bellmann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991310709 |
4. November
Metin und ich hatten uns eine Woche nicht gesehen und gesprochen. Er hatte nur eine Nacht zu Hause geschlafen. In der Post war ein Nachsendeantrag für ihn. Ich bekam einen erneuten Adrenalinstoß. Ich konnte durch das Brieffenster seine neue Adresse lesen. Sie war in einem Bezirk, in dem die meisten Türken in Berlin wohnen. Ich zitterte und weinte, als ich den Brief öffnete und mich vergewisserte. Ich beschloss, dort hinzufahren, wenn es dunkel war. Er war wirklich ausgezogen! Ich konnte nicht mehr klar denken und kaum noch atmen. Um 16.30 Uhr stand ich vor seinem Haus. Zwei Türken kamen aus einem Laden, der sich im Erdgeschoss befand. Ich fragte sie nach ihm, sie sagten mir, er wohne im Hinterhaus im Erdgeschoss. Als ich durch den Hof ging, konnte ich in ein Zimmer schauen, in dem das Licht brannte, und sah ihn. Vor dem Fenster gab es keine Gardinen. Ich ging zur Wohnungstür, wollte klingeln und spähte vorher durch den großen Spion. Ich sah den Flur, der in ein Zimmer mündete. Ich sah ihn umhergehen, dann sah ich eine schwarze Katze. Metin hasste Katzen. In diesem Moment kam eine junge Frau mit schulterfreiem T-Shirt und hochgesteckten Haaren aus einer Tür, die rechts vom Flur abging. Es war wahrscheinlich das Bad. Ich konnte nicht mehr atmen und war wie gelähmt. Sie ging zu ihm. In diesem Moment erhielt er einen Anruf und sagte danach auf Türkisch zu ihr, dass seine Frau vor fünf Minuten hier gewesen wäre. Anscheinend hatte ihn einer der Männer informiert. Er verzog das Gesicht. Sie sahen sich einen Moment schweigend an. Ich klingelte. Es dauerte einen Moment, bis er die Tür öffnete. Ich war wie panisch und stürmte an ihm vorbei durch den Flur in das Wohnzimmer, von dem aus die offene Küche und das Schlafzimmer abgingen. Ich sah sie nicht. Ich sah nur ein leeres Wohnzimmer mit einem Fernseher und einigen Flaschen auf dem Boden, eine leere Küche und im Schlafzimmer eine Matratze und einige Tüten. Er schrie: „Was machst du hier?“ Ich riss die Badezimmertür auf, und da saß sie auf dem Wannenrand. Sie war Türkin und sah aus wie Anfang zwanzig, das heißt zirka fünfzehn Jahre jünger als er, und ich fand sie ausgesprochen unattraktiv. Ich fragte sie, ob sie Deutsch versteht. Sie nickte. Ich fragte Metin, wie lange das schon ginge mit ihr. Er sagte: „Zwei Wochen.“ Ich schrie ihn an, dass er letzte Woche noch Sex mit mir haben wollte. Er schrie zurück, dass wir seit zwei Monaten getrennt wären.
Er wollte mit mir auf die Straße gehen, wo wir weitersprachen. „Ich habe gesagt, dass ich allein leben wollte. Ich habe gesagt: Ruf mich in einem Jahr an.“ Ich fragte: „Liebst du sie?“ Er antwortete: „Nein, aber ich probiere. Ich bin schon alt, und wir hatten kein Kind.“
„Ich bin schockiert. Erst sagst du, du willst allein leben, dann hast du schnell eine andere Frau.“
„Das ist mein Leben! Wir leben nicht zusammen. Die Wohnung gehört mir allein.“
„Sie hat eine Katze. Wenn die Katze auch da ist, wohnt sie bei dir.“
Ich redete ohne Zusammenhang: „Ich bin erstaunt, wie schnell das bei einer türkischen Frau geht. Oder du kennst sie schon länger und hast mich angelogen. Ich dachte, du hättest mehr Geschmack, sie ist sehr hässlich. Eine Frau mit Stil und Verstand macht das nicht.“
Als ich wieder in meinem Auto saß, rief ich Patrizia an und erzählte unter Tränen das soeben Erlebte. Sie war tief bestürzt und konnte es nicht glauben. Sie und Metin hatten sich auch immer gut verstanden. Danach rief ich Metin nochmals an, und wir hatten im Prinzip denselben Dialog wie wenige Minuten zuvor auf der Straße.
Ich konnte nicht wegfahren, ich musste noch einmal zurück- gehen, spähte noch mehrmals durch den Spion und die Fenster und drehte zwischendurch immer eine Runde um den Block, um meine Gedanken um das Gesehene, das so unfassbar war für mich, irgendwie zu ordnen. Einmal liefen beide herum und räumten etwas auf, das andere Mal sah ich beide, sich umarmend, auf der Matratze liegen. Dann stand er auf und hängte Handtücher vor die Fenster.
Irgendwann fuhr ich nach Hause. Mein Martyrium fing jetzt erst an. Solange wir noch zusammen wohnten, hatte ich auf einen Neuanfang gehofft, aber nun war er weg, noch dazu mit einer anderen Frau, und die Realität war schockierend.
Ich trank eine ganze Flasche Rotwein, fing an zu rauchen und weinte stundenlang. Mein Schmerz kannte keine Grenzen.
5. November
In der Nacht machte ich kein Auge zu. Ich dachte nur an ihn und sie und machte mir ohne Ende Vorwürfe, dass ich auf allen Ebenen versagt hätte und dass er jetzt heiße Nächte mit ihr verbringen würde. Der Gedanke, dass er eine andere Frau umarmte und mit ihr schlief, war unerträglich. Mein Magen schmerzte, und ich lief wie ein Tiger in der Wohnung hin und her, unfähig zu einem klaren Gedanken. Mittags rief ich ihn an. Ich rechtfertigte mein gestriges Kommen: Ich hatte durch die Post von seiner Wohnung erfahren und wollte ihn sprechen. Woher sollte ich wissen, dass er nicht allein war?
„Ich wollte nicht, dass du weißt, wo ich wohne. Es ist schon vorbei mit ihr.“
„Bist du traurig?“
„Nein. Ich habe heute überlegt, ich gehe schnell in die Türkei zurück.“
„Du schläfst mit einer anderen, und ich wasche noch deine Wäsche.“
„So war das nicht.“
„Du kannst mir glauben: Das ist das Schlimmste, was man einem Menschen antun kann.“
„Ja, das glaube ich.“ Dann sagte er noch: „Du respektierst meine Mentalität nicht.“
Der Tag war ein Albtraum. Ich machte einen Plan bis zu meinem Auszug: Ich musste einige Möbel verkaufen und weiter ausmisten. Am Schlimmsten war es, die Couch zu sehen, auf der er oft gelegen hatte, und seine leere Kleiderschrankhälfte.
Verena hatte mir einen Brief geschickt mit einem selbst verfassten Gedicht über den trüben November, Kummer und Schmerz. Es endete: „Denn wenn die dunklen Nebelschleier sich demnächst auch wieder heben, ist jeder Tag wie eine Feier, und weiter geht das schöne Leben.“ Das Gedicht war zwei A4-Seiten lang. Wie viel Mühe hatte sie sich gegeben …
6. November
Es ging mir so schlecht, dass ich mittags das Büro verlassen musste. Ich hatte starke Magenschmerzen, nicht mehr an mich halten können und meiner Kollegin Anita von der Trennung erzählt. Meine schlechte Verfassung war ihr schon seit Wochen aufgefallen. Sie umarmte mich und lud mich zu sich nach Hause ein, um einen entspannten Nachmittag mit ihrer Familie zu verbringen. Ich dankte und sagte ab – ein intaktes Familienleben war das Letzte, was ich gerade gebrauchen konnte. Sie lud mich ein, immer zu kommen, wenn ich mich schlecht fühlte, und sie bot sich an, mit ihrem Mann vorbeizukommen, wann immer ich Hilfe bei den anstehenden Wohnungsarbeiten bräuchte. Sie war so lieb, und das tat gut.
Als ich vor meinem Wohnhaus ankam, kam Metin die Treppe herunter. Er lud seine Sachen in das Auto seines Freundes. Als er mich sah, sagte er: „Entschuldigung, ich wollte nicht, dass du das siehst mit der Frau.“ Ich ging nach oben, er kam hinterher. Es ging um die Dolby-Surround-Anlage und den Fernseher.
„Ich habe gestern einen Fernseher gekauft. Ich wollte noch mal sagen: Sie wohnt nicht bei mir. Ich habe sie zweimal getroffen.“
„Aber ihre Katze ist bei dir.“
„Ich soll eine Woche auf ihre Katze aufpassen. Ich sage ihr, in drei Tagen soll die Katze weg. Ich will auch nicht mehr. Nochmal Entschuldigung. Ich komme noch einmal und hole den Rest. Ich schaffe nicht alles.“
„Wenn du nochmal kommst, kannst du das Auto nehmen. Es ist vollgetankt.“
„Ich nehme deine Sachen nicht. Ich komme morgen und hole den Rest.“
Ich glaubte nicht, was er gerade über sie gesagt hatte.
Dann ging er. Es war wohl einer der schlimmsten Momente bei einer Trennung: wenn die Haustür zufällt, und der andere ist definitiv weg. Ich stand noch lange regungslos da, aber mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Aus seiner Sicht war es richtig, dass er ging. Er war konsequent und brauchte Freiheit.
Abends