Название | Unser Moritz |
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Автор произведения | Bernd Naumann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991311386 |
Ich gehe mit Helga zurück in den Garten. Helgas Augen verraten Anspannung und Freude. „Mal sehen“, sagt sie, „vielleicht wird eines von den dreien unser Kätzchen!“
Dies ereignete sich im Sommer 1989. Meinem Notizkalender kann ich den genauen Tag entnehmen und daraus auf die Woche schließen, in der unser Moritz unter einem alten Holzstoß zur Welt kam. Es war die zweite Woche des Sommermonats Juli.
Frankenberg, 22. Juli.
Das Haus von Frau Petzold ist schon seit Jahresbeginn unbewohnt. Trotzdem ist unser Vorhaben heute illegal. Es ist nur deshalb möglich, weil uns Frau Petzold den Schlüssel überlassen hat. Sie sieht es gern, wenn sich jemand um ihr Haus und das Grundstück kümmert, denn sie kann es von ihrem neuen Wohnort, dem 150 km entfernten Cottbus, nicht mehr.
Noch immer sind wir ohne Kaufvertrag. Wir müssen Enttäuschungen und Rückschläge in dieser Angelegenheit hinnehmen. Wir ärgern uns über die jetzige Besitzerin des Hauses, über ihre Unschlüssigkeit, das Hinhalten und versuchen, gelegentlich etwas Druck auszuüben. Mit ihrer halben Zustimmung haben wir den ersten Möbeltransport organisiert. Nun steht uns schon ein bewohnbarer Raum zur Verfügung – das Schlafzimmer. Wir nutzen die Gelegenheit für die erste Übernachtung in unserem neuen Heim und hoffen, dabei nicht erwischt zu werden. Wir sitzen mit Sektgläsern im Bett und sind sehr glücklich. Das kühle, sprudelnde Getränk und die Hoffnung, hier bald ganz legal wohnen zu können, bringen uns in die richtige Stimmung. Helga hat schon ganz konkrete Vorstellungen, wie die Wohnung eingerichtet werden soll.
Wir entwerfen die ersten Pläne zur Gestaltung des ausgedehnten Grundstücks. Und bald sind unsere Gedanken wieder bei den Kätzchen, die unter dem alten Holzstoß zu Hause sind. Erwartungsvoll sehen wir unserem nächsten Besuch in Erlabrunn entgegen. Wir beraten den Termin und einigen uns auf das nächste Wochenende.
Das sommerliche Wetter ist seit Wochen beständig. Unter den Strahlen der hoch stehenden Julisonne wirkt die kleine Wohnsiedlung meiner Eltern bei unserer Ankunft einladend und freundlich. Ich steuere den alten dunkelroten Lada um die Hausecke herum und nach hinten auf den Wäscheplatz. Mutti hat uns schon entdeckt und winkt uns vom Fenster aus zu. Wir winken zurück, doch wir haben uns zuerst um eine wichtige Sache zu kümmern. Es sind nur ein paar Schritte von dem am Garten abgestellten Auto bis zu dem alten Holzstapel. An seiner Rückseite entdecken wir Kinder und, halb unter die dicken Knüppel geschoben, einen kleinen Milchnapf. Es ist ein gutes Zeichen. Nur die Kätzchen bekommen wir nicht zu sehen.
„Sind die Kätzchen denn noch da?“, fragt Helga. „Ja“, antwortet ein kleines Mädchen aufgeregt, „sie sind da drunter – aber sie kommen nicht heraus!“ „Wie viele Kätzchen sind es denn?“, setze ich das neugierige Fragen fort. „Zwei. Eins ist gestorben“, erhalten wir als Antwort von einem schon etwas älteren Jungen. Er bückt sich, kriecht an der langen Rückseite des Holzstapels herum, um die beiden ausfindig zu machen. Aber er kann uns nicht helfen. Als nach einigen Minuten von den Kleinen immer noch jede Spur fehlt, brechen wir unsere Erkundung erst einmal ab. Wir nehmen die Taschen wieder auf und machen uns auf den Weg. Die Eltern werden sich gar nicht denken können, wo wir so lange bleiben.
Noch vor dem Kaffeetrinken versuche ich es mit Helga ein zweites Mal. Und diesmal haben wir Glück. Eine kleine Gruppe von Kindern drängt sich um das Mädchen, das uns vorhin so bereitwillig Auskunft gegeben hat. Liebevoll hält sie ein ganz kleines Kätzchen im Arm, und von allen Seiten wird sie bedrängt: „Ah, gib mir es mal!“ „Nein, mir!“ „Mir bitte!“
Helga tritt an die Kindergruppe heran und bittet das arg in Bedrängnis geratene Mädchen sehr freundlich, doch ihr einmal das kleine Kätzchen zu zeigen. Sofort stellen alle ihre Ansprüche zurück, und Helga bekommt das Kätzchen zuerst.
Es ist ein graues Kätzchen, ein ganz liebes kleines Ding. „Sieh mal!“, sagt Helga und weist auf die schwarze Zeichnung im Fell. Ich sehe nun deutlich die feinen schwarzen Linien und verstehe Helgas Freude. Sie hat eine genaue Vorstellung, wie unser Kätzchen aussehen soll. Ein Fell mit solch einer Zeichnung nennt man „grau getigert“. Man muss sich so die Urform unserer Hauskatzen vorstellen. Das Fell dieser Tiere war grau getigert, bevor der Mensch durch Züchtung die Vielfalt der Fellfarben und Zeichnungen hervorbrachte, wie wir sie jetzt kennen. Aber die graue Hauskatze blieb die Häufigste. Hunderttausend solcher Allerweltskatzen rennen herum. Ich hätte mich eher für eine Katze entschieden, die man weniger leicht mit anderen verwechseln kann. Aber es war nun einmal Helgas Herzenswunsch – grau getigert. Und ich war mir sicher, dass man zu guter Letzt ein unauffälliges graues Kätzchen ebenso lieb haben konnte wie ein weißes mit gelben Flecken oder ein schwarzes mit weißen Pfötchen.
Die Kinder müssen warten. Helga übergibt das kleine Ding nun erst einmal mir. Zart und zerbrechlich liegt es in meinem Arm. Es ist so klein, dass ich es gar nicht richtig streicheln kann. „Ein hübsches Gesicht hat das Kleine“, sage ich zu Helga. „Gefällt es dir?“ „Ja, sehr!“
Nun ist aber noch eine Frage zu beantworten: Katzenweibchen oder Kater? Aus Gründen, die leicht einzusehen sind, möchten wir uns einen kleinen Kater zulegen. Ich halte das Kätzchen hoch, und Helga versucht, eine Antwort auf diese Frage zu finden. „Was meinst du?“ Aus ihren Worten klingt Unschlüssigkeit. Aber ich kann es nicht besser beurteilen. „Sie sind eben noch zu klein!“ „Na, ich glaube doch, es ist ein Katzenweibchen!“, meint Helga und streichelt liebevoll über den kleinen grauen Kopf.
„Wo ist denn nun eigentlich das zweite Kätzchen?“, frage ich die Kinder. Das freundliche Mädchen bückt sich und fummelt mit einem kleinen Stock unter den alten Rundhölzern herum. „Es ist noch da drunter – es kommt nicht raus!“ Dann schiebt sie den kleinen Milchnapf noch ein Stück weiter unter den Holzstoß.
„Na, vielleicht hat das Kätzchen Angst vor euch!“, spricht Helga in einem Ton, als wäre sie die Lehrerin der kleinen Kinderschar. „Gehen wir doch alle mal ein bisschen weg. Vielleicht kommt es dann!“
Und Helga behält recht. Kaum ist für ein paar Minuten Ruhe vor dem Holzstoß eingezogen, lugt schon das zweite Kätzchen hervor. Ein wenig misstrauisch, aber von Neugier getrieben, bewegt es sich in der Nähe des Milchschälchens und untersucht aufmerksam so ziemlich alles, was in den Weg kommt. Aber nähern wir uns, verschwindet das Kleine sofort wieder unter dem Holzstoß. Das Spielchen wiederholt sich ein paarmal, und wir müssen viel Geduld aufbringen, um das Kätzchen endlich zu erwischen. Behutsam halte ich es in den Händen. Das ganze Ebenbild des Kätzchens, das wir uns eben betrachtet haben. Dass es Geschwister sind, ist nicht zu übersehen. Nur einen winzigen Unterschied bemerken wir. Das graue Köpfchen ist etwas größer. „Ich glaube, das ist ein kleiner Kater!“, sagt Helga. Aber ganz schlüssig sind wir uns wieder nicht. Und es ist auch niemand hier, der sich besser auskennt und es uns sagen könnte.
Das Kätzchen wird unruhig. Ich übergebe es Helga. Sie nimmt es auf ihren Arm, und ich streichle mit zwei Fingern über das graue Köpfchen mit den kleinen spitzen Ohren. Zwischen den Ohren laufen vier dünne schwarze Linien, und auffallend sind die schwarzen Streifen im Fell, die die Beine wie Ringe umschließen.
Zum ersten Mal vernimmt der kleine Kerl unsere Stimme. Er spürt die zärtliche Zuwendung und mustert uns mit seinen gelbgrünen runden Augen. Wir machen uns mit ihm ein wenig vertraut und geben ihn dann an die Kinder zurück. Die Kinder sind glücklich, dass sie nun beide Kätzchen zurückhaben. Besorgt um das Schicksal der Kätzchen, versuche ich auf sie einzureden: „Passt gut auf sie auf, damit ihnen niemand etwas zuleide tut!“ Ich bemerke Resonanz und sehe in ihren Gesichtern, wie ernst sie meine Worte nehmen. Man kann ihnen vertrauen – sie sind wie die meisten Kinder warmherzig und tierlieb.
Nur selten bin ich Kindern begegnet, die für Tiere nichts übrig haben oder gar zur Tierquälerei neigen.
Schlimm ist es, wenn sich junge Menschen schon durch Brutalität und Verrohung