Название | Die Macht der Geimbünde |
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Автор произведения | Walter Brendel |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754962060 |
Diese Verschwörungstheorien hatte zwar insofern einen realen Kern, als die Feinde der Revolution wie die königliche Familie, der Hochadel und der romtreue Klerus tatsächlich häufig insgeheim mit dem Ausland in Verbindung standen und ausgesprochen katholisch waren. Der paranoide Anteil wird aber zum Beispiel an der so genannten „Verschwörung des Auslands“ deutlich, als im Herbst 1793 radikale Jakobiner hingerichtet wurden, die sich angeblich vom Ausland hätten dafür bezahlen lassen, durch absichtlich übersteigerte Maßnahmen die Republik zu Grunde zu richten. Der Historiker Geoffrey T. Cubitt bescheinigt Robespierre deshalb nachgerade eine „conspiratorialobsession“, eine „Bessessenheit von Verschwörungen“.
19. Jahrhundert: Revolution versus Reaktion
Die massiven antikatholischen Angriffe durch die Aufklärer und die Verfolgungen in der Revolution führten einige konservative Theoretiker dazu, die Verschwörungstheorie einfach umzudrehen. Der ehemalige Jesuit Abbé Augustin Barruel und der schottische Gelehrte John Robison stellten um 1798 die Gegenthese auf, nicht die Jesuiten hätten eine Verschwörung gestartet, sondern ihre Feinde, die aufklärerischen Philosophen, die Freimaurer und vor allem die Illuminaten. Der Illuminatenorden Adam Weishaupts bot sich besonders an, weil er – im Unterschied zur politisch und religiös grundsätzlich toleranten Freimaurerei – tatsächlich die radikaldemokratische Umgestaltung der Gesellschaft mit den Mitteln eines Geheimbunds zum Ziele gehabt hatte. Zwar war er bereits 1785, also vier Jahre vor der Revolution, zerschlagen worden (andernfalls hätten Barruel und seine deutschen Quellen auch gar nicht aus seinen geheimen Papieren zitieren können), doch schien manches für seine Weiterexistenz zu sprechen: Zum einen war das ehemalige Mitglied Johann Joachim Christoph Bode, ein sächsisch-weimarischer Geheimrat, ausgerechnet wenige Wochen vor Ausbruch der Revolution nach Paris gereist – eine Koinzidenz, an der kein Verschwörungstheoretiker vorbeigehen kann. Auf der anderen Seite existierte in Frankreich selbst eine freimaurerartige Bruderschaft namens Les Illuminés, die zwar eher konservativ-mystisch ausgerichtet war und mit den bayrischen Illuminaten nur den Namen gemein hatte, doch schien das auszureichen. Seit dem beginnenden 19. Jahrhundert jedenfalls ist das Bild des politischen Verschwörers von links, der international vernetzt ist, überall Werte wie Vaterland, Glaube und Familie unterminiert und versucht, Revolutionen anzuzetteln, fester Be-standteil des konservativen Diskurses. Dies Bild steht auch deutlich hinter den Karlsbader Beschlüssen von 1819, mit denen der österreichische Kanzler Metternich überall so genannte Demagogen verfolgen, zensieren und einsperren ließ.
20. Jahrhundert: Antisemitismus und die Folgen
Eine Übertragung dieser Verschwörungstheorie auf die Judenlässt sich mit Sicherheit erst für das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts nachweisen, als der französische Rechtskatholik Henri Roger Gougenot des Mousseaux 1869 in dem Werk Le Juif, le judaisme et la judaisation des peuples chrétiennes die Freimaurerei zu einer Deckorganisation der Juden erklärte.
Diese kombinierte Verschwörungstheorie wurde 1921 von der britischen Autorin Nesta Webster noch erweitert, die sämtliche nicht- oder nicht orthodox christlichen Strömungen seit der Antike von den Gnostikern, über Assassinen, Illuminaten und Freidenkern bis hin zu Lenin und den russischen Revolutionären zu einer einzigen weltumspannenden Verschwörung wahlweise unter jüdischem oder unter satanistischem Vorzeichen zusammenstellte. Diese verschwörungsideologische Großkonstruktion wurde in den zwanziger Jahren von Erich Ludendorff, dem ehemaligen Generalquartiermeister des kaiserlichen Heeres, zum Wahnbild einer „jesuitisch-freimauererisch-jüdischen Weltverschwörung“ erweitert.
Ihre ganze mörderische Potenz gewannen antisemitische Verschwörungstheorien Anfang des 20. Jahrhunderts, als der russische Geheimdienst unter Verwendung von Schauerliteratur und einer französischen liberalen Polemik gegen Napoléon III., die einfach umgedreht wurde, die Protokolle der Weisen von Zion fabrizierte. Diese Fälschung sollte einer der Schlüsseltexte des Antisemitismus werden. In diese antisemitische Verschwörungstheorie, die im Kern immer noch starke Ähnlichkeit mit ihrem antijesuitischen Urbild hat, wurden nach der Oktoberrevolution noch antibolschewistische Elemente eingefügt.
Das so entstandene Gerücht eines Weltjudentums, das seine Feinde im „Zangenangriff“ durch amerikanischen Finanzkapitalismus einerseits, sowjetischen Kommunismus andererseits halte, bildete den Kern von Hitlers Weltanschauung, der sich in „Mein Kampf“ explizit auf die Protokolle der Weisen von Zion berief. Daher wird der Nationalsozialismus von einigen Historikern als eine große Verschwörungstheorie betrachtet. Diese war noch mörderischer als die anderen, weil sie davon ausging, dass die vermeintlichen Verschwörer nicht durch Absprache, sondern durch Abstammung Teil der Verschwörung geworden seien.
Verhängnisvoll aufgeladen war die antisemitische Verschwörungsthese noch durch die Dolchstoßlegende: Bereits kurz nach dem Ersten Weltkrieg hatte die Oberste Heeresleitung verbreitet, Schuld an der deutschen Niederlage wäre nicht etwa die materielle, technische und zahlenmäßige Überlegenheit der Alliierten spätestens seit dem Kriegseintritt der USA gewesen, sondern die Wühltätigkeit der deutschen Sozialdemokratie, die dem angeblich „im Felde unbesiegten“ deutschen Heer mit der Novemberrevolution in den Rücken gefallen sei.
Das verschwörungsideologische Denken der Nationalsozialisten zeigte sich auch während des Krieges. Hitler erklärte zum Beispiel den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stets mit angeblichen Machenschaften des Judentums, dessen „Agent“ Winston Churchill sei: Der Mann, der es gemixt hat, ist Churchill; hinter ihm das Ju-dentum, das sich seiner bedient..
Heinrich Himmler begründete in seiner bekannten Posener Rede vom 4. Oktober 1943 die „Ausrottung des jüdischen Volkes“ mit der Befürchtung, die Juden würden sonst als Fünfte Kolonne der Feindmächte fungieren: Wir wissen, wie schwer wir uns täten, wenn wir heute noch in jeder Stadt – bei den Bombenangriffen, bei den Lasten und bei den Entbehrungen des Krieges – noch die Juden als Geheimsaboteure, Agitatoren und Hetzer hätten. Wir würden wahrscheinlich jetzt in das Stadium des Jahres 1916/17 gekommen sein, wenn die Juden noch im deutschen Volkskörper säßen.
Auch heute noch werden Versatzstücke aus dem Text „Protokolle der Weisen von Zion“ zur Untermauerung antisemitischer Verschwörungstheorien verwandt. Sie sind z. B. integraler Bestandteil der Ideologie der Hamas. Eine andere Version der Theorie von der jüdisch-freimaurerisch-atheistischen Weltregierung findet sich im Umfeld der katholischen Piusbruderschaft.
Verschwörungstheoretische Elemente im Marxismus-Leninismus
Zwischen den Weltkriegen zeitigte das verschwörungsideologische Weltbild auch in der Sowjetunion Stalins verheerende Folgen. Während des „Großen Terrors“ von 1934 bis 1939 „gestanden“ fast alle Altbolschewiken und die übergroße Mehrheit des Offizierskorps der Roten Armee in Schauprozessen, unter der Einwirkung von Folter stehend, sie seien Teil einer antisowjetischen, entweder von Trotzki oder vom kapitalistischen Ausland gesteuerten Verschwörung.
Ob Stalin tatsächlich diesem Wahn anhing, dem mehrere Millionen Menschen zum Opfer fielen, oder ob er seine Verschwörungstheorie in kühlem Kalkül nur deswegen propagieren ließ, um potentielle Rivalen ausschalten zu können, ist ungeklärt. In den 1950er Jahren startete der Diktator dann eine ebenfalls verschwörungsideologische antisemitische Kampagne gegen so genannte „wurzellose Kosmopoliten“.
In jüngerer Zeit wurde vereinzelt versucht, den gesamten Leninismus als eine Verschwörungstheorie zu begreifen. Der deutsche Historiker Gerd Koenen etwa argumentiert, Lenins Imperialismustheorie enthielte, ebenso wie die verwandte Stamokap-Theorie, in ihrem Kern die Behauptung, Vertreter von Bank- sowie Industriekapital, die fusioniert hätten, nähmen als so genannte „Monopolherren“ zunehmend Einfluss auf den Staat und seine Entscheidungsstrukturen. Durch geheime Lobby-Arbeit, wechselseitigen Personalaustausch zwischen Wirtschaft und Politik, sowie institutionalisierte Bündnisse („Sozialpartnerschaft“) würden die „Monopolherren“ zunehmend Einfluss auf die Staatsleitung gewinnen,