Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Название Krieg und Frieden
Автор произведения Leo Tolstoi
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754188620



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in lebhafter Erregung.

      Alle Geschütze waren ohne Befehl auf die Feuersbrunst gerichtet. Als wenn sie einander antreiben wollten, schrien die Artilleristen bei jedem Schuß: »Das war geschickt! So ist's recht, so ist's recht! Siehst du wohl ... Ausgezeichnet!« Das Feuer, vom Wind weitergetragen, breitete sich schnell aus. Die französischen Kolonnen, welche schon aus dem Dorf herausmarschiert waren, zogen sich wieder zurück. Aber wie wenn er sich für diese arge Schädigung rächen wollte, stellte der Feind rechts vom Dorf zehn Geschütze auf und begann aus ihnen auf Tuschin zu feuern.

      In ihrer kindlichen Freude über die Feuersbrunst und in ihrem Eifer, recht tüchtig in die Franzosen hineinzupfeffern, bemerkten unsere Artilleristen diese Batterie erst dann, als zwei Kugeln und nach diesen noch vier andere zwischen den Geschützen einschlugen, von denen eine zwei Pferde niederwarf und eine andre einem Munitionsfahrer das Bein wegriß. Aber das lebhafte Treiben, das nun einmal in Gang gekommen war, wurde dadurch nicht beeinträchtigt; es erhielt nur eine andre Stimmung. Die Artilleristen ersetzten die Pferde durch andre von einer Reservelafette, trugen den Verwundeten beiseite und wendeten ihre vier Geschütze gegen die zehn Kanonen der feindlichen Batterie. Der andere Offizier, Tuschins Kamerad, fiel gleich zu Anfang dieses Artilleriekampfes, und im Verlauf einer Stunde wurden von den vierzig Mann der Bedienung siebzehn kampfunfähig; aber die übrigen blieben ebenso munter und eifrig, wie sie vorher gewesen waren. Zweimal bemerkten sie, daß nicht weit von ihnen, unten am Fuß des Berges, sich Franzosen zeigten, und beschossen sie dann mit Kartätschen.

      Der kleine Mann mit den schwächlichen, ungeschickten Bewegungen ließ sich fortwährend von seinem Burschen »noch ein Pfeifchen bei der Arbeit« geben, wie er sich ausdrückte, und dann lief er nach vorn, wobei er in seinem Eifer das Feuer aus der Pfeife wieder verschüttete, und sah unter seiner kleinen Hand hervor nach den Franzosen hinüber.

      »Feuer, Kinder!« kommandierte er einmal nach dem andern und griff selbst mit in die Räder der Geschütze und drehte die Schrauben auf.

      Mitten in dem Pulverdampf, halbtaub von den unaufhörlichen Schüssen, bei denen er jedesmal zusammenzuckte, lief Tuschin, ohne sein Stummelpfeifchen aus dem Mund zu lassen, von einem Geschütz zum andern, indem er bald visierte, bald die Ladungen zählte, bald die Beseitigung getöteter und verwundeter Pferde und die Anschirrung anderer anordnete, und mit seiner schwachen, hohen, unsicheren Stimme dabei schrie. Sein Gesicht wurde immer munterer und lebhafter. Nur wenn jemand von seinen Leuten getötet oder verwundet wurde, machte Tuschin ein finsteres Gesicht, wandte sich von dem Getroffenen ab und schrie zornig die Mannschaften an, die, wie sie das immer tun, zauderten, den Verwundeten oder den Leichnam aufzuheben. Die Soldaten, größtenteils hübsche, stramme Burschen (wie das bei der Artillerie immer der Fall ist), zwei Köpfe größer und noch einmal so breit als ihr Hauptmann, blickten, wie Kinder in schwieriger Lage, alle auf ihren Kommandeur, und der Ausdruck, den sein Gesicht zeigte, spiegelte sich unverändert auf den ihrigen wider.

      Infolge dieses furchtbaren Lärmes und Getöses und der Notwendigkeit, aufzupassen und tätig zu sein, verspürte Tuschin nicht das geringste unangenehme Gefühl von Furcht, und der Gedanke, daß er getötet oder schwer verwundet werden könne, kam ihm gar nicht in den Sinn. Im Gegenteil, es wurde ihm immer fröhlicher zumute. Der Augenblick, wo er den Feind zuerst gesehen und den ersten Schuß abgefeuert hatte, schien ihm schon weit zurückzuliegen, beinah als ob es gestern gewesen wäre, und das Stückchen Feld, auf dem er hier postiert war, kam ihm wie ein längst bekannter, vertrauter Platz vor. Obgleich er an alles Nötige dachte, alles richtig erwog und alles tat, was nur der beste Offizier in seiner Lage tun konnte, befand er sich doch in einem Zustand, der mit dem eines Fieberkranken oder Berauschten Ähnlichkeit hatte.

      Aus dem betäubenden Donner seiner Geschütze, der bald rechts, bald links von ihm erscholl, aus dem Pfeifen und Einschlagen der feindlichen Geschosse, aus dem Anblick seiner Mannschaft, die mit geröteten, schweißbedeckten Gesichtern hastig an den Geschützen hantierte, aus dem Anblick des Blutes der Menschen und der Pferde, aus dem Anblick der Rauchwölkchen bei der Batterie des drüben stehenden Feindes (nach deren Erscheinen jedesmal eine Kugel herübergeflogen kam und entweder sich in den Erdboden einbohrte oder einen Menschen, ein Geschütz oder ein Pferd traf), aus alledem hatte er sich in seinem Kopf eine Art von Phantasiewelt zurechtgemacht, an der er in dieser Zeit seine Freude hatte. Die feindlichen Kanonen waren in seiner Phantasie nicht Kanonen, sondern Tabakspfeifen, aus denen ein unsichtbarer Raucher in einzelnen Wölkchen den Rauch in die Luft gehen ließ.

      »Sieh mal, da hat er wieder einen Zug getan«, flüsterte Tuschin vor sich hin, als von dem gegenüberliegenden Berg ein Rauchwölkchen aufstieg und durch den Wind in Form eines Streifens nach links getrieben wurde. »Jetzt haben wir so einen kleinen Ball zu erwarten und müssen auch einen zurückwerfen.«

      »Was befehlen Euer Wohlgeboren?« fragte der Feuerwerker, der neben ihm stand und hörte, daß er etwas murmelte.

      »Ach, nichts Besonderes; nimm eine Granate ...«, antwortete er.

      »Na, nun kommt unsere Matwjewna heran«, sagte er vor sich hin. Matwjewna hatte er in seiner Phantasie eine große Kanone von altmodischem Guß getauft, die an dem einen Ende der Batterie stand. Die Franzosen bei ihren Geschützen erschienen ihm als Ameisen. Der Kanonier Nummer Eins beim zweiten Geschütz, ein hübscher Bursche und arger Trunkenbold, hieß in Tuschins Welt »der Onkel«; Tuschin blickte nach ihm häufiger hin als nach den andern Leuten und freute sich über jede seiner Bewegungen. Der Klang des bald ersterbenden, bald wieder stärker werdenden Gewehrfeuers am Fuß des Berges erschien ihm wie das Atmen eines Menschen, und er horchte darauf, wie diese Töne leiser wurden und wieder anschwollen.

      »Sieh mal an, jetzt atmet er wieder kräftig, recht kräftig!« sagte er vor sich hin.

      Er selbst kam sich wie ein starker Riese vor, der den Franzosen mit beiden Händen Kanonenkugeln zuschleuderte.

      »Nun, Matwjewna, Mütterchen, laß es nicht an dir fehlen!« sagte er, von dem Geschütz zurücktretend, als dicht über ihm eine fremde, ihm unbekannte Stimme erscholl:

      »Hauptmann Tuschin! Hauptmann!«

      Erschrocken sah Tuschin sich um. Es war derselbe Stabsoffizier, der ihn in Grund aus dem Marketenderzelt herausgejagt hatte. Dieser schrie ihm atemlos zu:

      »Was machen Sie denn? Haben Sie den Verstand verloren? Zweimal ist Ihnen befohlen worden, sich zurückzuziehen, aber Sie ...«

      »Na, warum schilt der mich denn?« dachte Tuschin und sah den Vorgesetzten ängstlich an.

      »Ich ... ich habe nichts ...«, stotterte er, indem er zwei Finger an den Mützenschirm hielt. »Ich ...«

      Der Oberst wollte noch etwas sagen, kam aber nicht dazu, es auszusprechen. Eine in nächster Nähe vorbeifliegende Kanonenkugel veranlaßte ihn, sich zu ducken und auf das Pferd hinabzubiegen. Er schwieg und wollte gerade von neuem ansetzen, als noch eine Kugel ihn einhalten ließ. Er wandte sein Pferd um und jagte davon.

      »Zurückgehen! Alle zurückgehen!« rief er von weitem.

      Die Soldaten lachten laut auf. Eine Minute darauf kam ein Adjutant mit demselben Befehl angesprengt.

      Dies war Fürst Andrei. Das erste, was er erblickte, als er auf das Plateau geritten kam, auf welchem Tuschins Kanonen standen, war ein ausgespanntes Pferd mit durchschossenem Bein, das neben den angespannten Pferden wieherte. Aus seinem Bein floß das Blut wie aus einer Quelle. Zwischen den Protzwagen lagen mehrere Tote. Während er heranritt, flog eine Kanonenkugel nach der andern über ihm vorbei, und er fühlte, wie ihm ein nervöses Zittern den Rücken entlanglief. Aber der bloße Gedanke, daß er ja Furcht habe, genügte, um seinen Mut wiederzubeleben. »Ich, ein Mann wie ich, darf keine Furcht haben«, sagte er sich und stieg zwischen den Geschützen langsam vom Pferd. Er überbrachte den Befehl, ritt aber dann nicht von der Batterie weg. Er hatte den Entschluß gefaßt, persönlich zuzusehen, wie die Geschütze ihre Stellung verließen und sich zurückzogen. Mit Tuschin zusammen trat er über die Leichen hinweg und ließ unter dem furchtbaren Feuer der Franzosen die Geschütze zum Rückzug fertigmachen.

      »Eben war schon ein andrer Offizier hier«, sagte der Feuerwerker zum Fürsten Andrei. »Aber der hat sich schnell