Название | Die Farbe der guten Geister |
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Автор произведения | A. A. Kilgon |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742761583 |
Tilda steckte den Brief in ihre Handasche. In ihrem Kopf war vollkommene Leere. Da war nichts, an das sie gerade dachte, was sie gerade beschäftigte. Nichts, einfach gar nichts. Am liebsten wäre sie den Flur hinunter nach draußen ins Freie gerannt, um endlich wieder atmen zu können. Bauchspeicheldrüsen-Krebs. Das war es also! Sie kannte sich zwar nicht besonders gut aus, aber es war ihr klar, dass das eine der schlimmsten Krebsarten war. Ludwig hatte einen Kollegen gehabt, der daran erkrankt war. Er war innerhalb von wenigen Wochen gestorben. Er hatte Chemotherapie bekommen und Bestrahlungen. Tilda war vollkommen verängstigt. Wieviel Zeit blieb ihr noch? Sie hatte ganz vergessen, danach zu fragen. Dr. Schnitzer hatte auch nichts darüber gesagt. Oder hatte er doch? Draußen, im Freien, fühlte sie sich besser. Sie atmete einige Male ganz tief durch, um sich etwas zu beruhigen. Bauchspeicheldrüsenkrebs! Wieso hatte sie das bekommen? Was hatte sie falsch gemacht oder was war die Ursache dafür? Wie konnte sie, die doch immer so gesund lebte, überhaupt Krebs bekommen? Sie rauchte nicht, sie trank so gut wie nie Alkohol. Sie aß ihrer Ansicht nach hauptsächlich gesunde Sachen, achtete auf ihren Zuckerkonsum. Warum also? Tilda war wie vor den Kopf geschlagen.
Das war also der Grund dafür gewesen, dass sie sich seit Monaten so schlecht fühlte. Und je länger die Sache gedauert hatte, desto größer waren ihre Befürchtungen geworden. Ihre Befürchtungen, dass etwas Schlimmes dahinter steckte. Sie hatte zwar versucht, positiv zu denken, aber ihr Bauchgefühl hatte im Grunde schon seit Wochen Alarm geschlagen. Spätestens nach den fünf Kilo unfreiwilliger Gewichtsabnahme war ihr klar, dass vermutlich etwas Schlimmes dahinter steckte. Wieviel Zeit blieb ihr jetzt noch?
Sie nahm die Abkürzung durch den Park. Die Frühlingssonne schien vom blassen Himmel herab und wärmte schon ein wenig. Es war Tildas Lieblings-Jahreszeit, wenn die Natur nach dem langen norddeutschen Winter ganz allmählich wieder zum Leben erwachte. Sie fand, dass der Frühling das Allerbeste vom Jahr war.
Einige Bänke im Park waren jetzt, um die Mittagszeit, leer. Tilda setzte sich auf eine von ihnen. Sie fühlte ihr Herz bis zum Hals schlagen. Verzweifelt versuchte sie, ruhig zu bleiben. Ihr Blick glitt über die rot gepflasterten Wege zu den ersten, kleinen Blüten in den Rabatten, hinüber zu den Sträuchern in hellem Grün und den großen Eichen weiter hinten. War das ihr letzter Frühling? Würde es ihr letzter Sommer sein? Sie war wie vor den Kopf geschlagen. Es war zweifellos die schlimmste Nachricht, die Tilda in ihrem bisherigen Leben je erhalten hatte. Wie sollte es jetzt nur weiter gehen? Wie eine riesige Flutwelle brach die Furcht vor dem, was jetzt auf sie wartete, über sie herein und riss sie erbarmungslos mit ins Bodenlose. Tilda lockerte den bunten Schal um ihren Hals, weil sie das Gefühl hatte, zu ersticken. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Ihr war kalt und heiß gleichzeitig. Als eine leichte Windböe kam, schloss sie die Augen. Ihr gesamter Körper bebte. Sie wollte nicht sterben.
Das Bewusstsein bestimmt das Sein. Dieser Satz tauchte plötzlich wie aus dem Nichts in ihrem Kopf auf. Es war diese Theorie, die sie für sehr überzeugend hielt, seit sie die Bücher von Rupert Sheldrake und seine Darstellungen zum morphogenetischen Feld gelesen hatte. Das hieß in letzter Konsequenz aber auch, dass ihr Bewusstsein und ihr Unterbewusstsein darüber entscheiden würden, ob ihr Körper die Krankheit besiegen konnte oder ob er daran zugrunde gehen würde. Es war zweifellos schwer, das eigene Bewusstsein wirklich dahin gehend zu programmieren, dass der Körper den Krebs überwinden konnte. Wenn sie doch nur eine Ahnung davon gehabt hätte, warum sie diesen Krebs bekommen hatte! Vielleicht hätte sie dann auch eine Idee gehabt, wie sie ihn wieder loswerden konnte. Tildas Kopf war bis zum Bersten angefüllt mit Zweifeln und Befürchtungen.
Eine junge Mutter spazierte mit ihrem Kinderwagen vorbei. Die fremde junge Frau lächelte ihr freundlich zu. Augenblicklich schossen Tilda erneut die Tränen in die Augen. Sie wollte auch immer eine Familie haben! Dafür war es jetzt wohl zu spät. Der Arzt hatte nicht gerade viel Hoffnung ausgestrahlt. Und wenn sie nun die Chemotherapie machen würde, die das Krankenhaus ihr anbot? Was würde das Gift in ihrem Körper dann anrichten? Nein, Chemotherapie war überhaupt nicht das, was Tilda sich vorgestellt hatte. Doch welche Alternativen hatte sie? Im Park war es nun ganz still. Nur weiter hinten fuhren zwei kleine Jungen beaufsichtigt von ihrem Vater mit kleinen Kinderrädern die Wege entlang. Ein Hund bellte. Niemand war in ihrer Nähe. Nur die Bäume rauschten leise und einige brummende Insekten machten sich neben der Bank an den ersten Blüten im Beet zu schaffen. Alles wirkte so entspannt, aber Tilda hatte überhaupt keinen Blick mehr dafür.
Um diese Zeit war sie normalerweise in der Schule und würde vermutlich jetzt, zur Mittagszeit, im Lehrerzimmer wie immer einen Tee mit den Kollegen trinken. Verwundert stellte sie fest, dass es ihr so vorkam, als sei sie schon ewig nicht mehr dort gewesen. Als sei die Schule bereits aus ihrem Leben ausradiert. Dabei hatte sie vor zwei Tagen noch ganz normal unterrichtet. Es war, als habe ihr Unterbewusstsein schon damit abgeschlossen, Lehrerin zu sein. Merkwürdigerweise interessierte es sie diesmal gar nicht, wer von den Kollegen es war, der ihre Vertretungsstunden übernehmen musste oder wie es überhaupt beruflich für sie weitergehen würde. Nur ihre Großmutter, die hatte immer gesagt, dass im Leben letzten Endes alles einen Sinn machen würde. Tilda fragte sich jetzt natürlich, was für einen Sinn es machen würde, wenn sie im Alter von dreißig Jahren sterben würde. Sie konnte nicht einen einzigen Grund finden, wozu das gut sein sollte. Mit dieser Weisheit hatte Omi wohl nicht Recht gehabt. Aber vielleicht war es noch zu früh. Vielleicht würde sie den Sinn ihrer Krankheit noch herausfinden. Vielleicht brauchte sie einfach Zeit, um hinter das Geheimnis ihres Lebens zu kommen. In diesem Augenblick hoffte sie ganz stark, dass ihr die Zeit zur Erkenntnis noch bleiben würde.
Verunsichert dachte Tilda darüber nach, ob die Frage vielleicht gar nicht die war, wie sie mit der Botschaft des Krebses in ihrem Körper umgehen sollte, sondern vielmehr zunächst eine andere: Wie sollte sie es anstellen zu überleben? War es am Ende eine Schicksalsfrage, die den Sinn ihrer Krankheit ausmachte? Es wäre das einzige gewesen, was in Tildas Augen überhaupt einen Sinn gemacht hätte. Jetzt zu sterben machte für sie jedenfalls keinen Sinn.
Schließlich blieb also immer noch die Frage, wie sie es schaffen sollte, den Krebs zu überleben, während fast alle anderen daran starben. Tilda versuchte sich an alle Freunde und Bekannten zu erinnern, die irgendwann einmal in ihrem Leben Krebs gehabt hatten. Es dauerte eine ganze Weile und es waren nicht wenige die ihr einfielen. Letzten Endes waren sie aber alle gestorben oder es ging ihnen mittlerweile so schlecht, dass das Schlimmste für sie zu befürchten war. Manche waren schon kurz nach ihrer Diagnose gestorben und manche erst nach einigen Jahren, als sie sich schon geheilt wähnten. Doch irgendwann dann war der Krebs zu ihnen zurückgekehrt wie ein Flächenbrand in einen trockenen Wald und dann hatte es keine Rettung mehr für sie gegeben. Sie alle hatten Chemotherapie bekommen. Die meisten von ihnen hatten zusätzlich Bestrahlungen erhalten. Es war eine beängstigende Statistik, die sich da in Tildas Kopf zusammenfügte. Da gab es nur die beiden Kolleginnen, die ihren Brustkrebs schon mehr als 10 Jahre überlebt hatten. Vielleicht waren sie tatsächlich geheilt. Eine von ihnen war Margarete, die an ihrer Schule Mathematik unterrichtete und die andere, Marion, war inzwischen bereits im Ruhestand. Soviel Tilda wusste, ging es ihr immer noch gut. Wenn Margarete und Marion die einzigen Personen waren, die überlebt hatten, was bedeutete dann der Tod all der anderen für sie? Und was bedeutete es überhaupt, wenn die moderne Medizin sagte, Krebs sei heutzutage „gut behandelbar“? Heilbar war damit jedenfalls offenbar nicht gemeint.
Ein Paar im Alter ihrer Eltern lief gemächlich an der Bank vorbei, auf der Tilda immer noch saß. Sie sah den beiden nach, bis sie hinter der hohen Ligusterhecke verschwunden waren, die den neuen vom alten Teil des Parks