Damals im Café Heider. Martin Ahrends

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Название Damals im Café Heider
Автор произведения Martin Ahrends
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783742777737



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und ging. Am nächsten Abend das Gleiche.

      Der verleugnete Sohn war dann im Westen und wurde zum „Mauerspringer von Berlin“. Peter Schneider hat diese Erzählung daraus gemacht.

      A: In der Erzählung von Stephan Heym gehen die beiden Jungs mehrmals über die Mauer.

      Das stimmt eben nicht. In beiden Geschichten nicht. Die sind einmal rüber und nicht wieder. Der eine ist hier geblieben, der andere in den Westen gegangen und wurde der „Mauerspringer“. Er hat die DDR-Führung vom Westen aus erpresst: Wenn ihr meine Schwester nicht raus lasst, spring ich am 7. Oktober, dem Nationalfeiertag der DDR, über die Mauer, vor den Kameras der westlichen Welt. Die sind darauf eingegangen. Seine Schwester und dieser Anarchist, der versucht hatte, durch den Teltowkanal zu schwimmen, sind wirklich beide rausgekommen auf diesem Weg.

      Nach der Wende nahm ich Akteneinsicht in den OV „Demagoge“, habe einige Klarnamen der IM’s herausbekommen. Ich hab viel zur Staatssicherheit publiziert, die Namen aber nicht preisgegeben, das hätte ich, wenn jemand versucht hätte, auf hohem Niveau wieder politisch tätig zu werden. Meine IM’s waren nicht die engsten Freunde. Klaus Behnke, der Psychologe, hat als Mitbetroffener mit den IM’s tiefschürfende Gespräche geführt, ich hab mich einmal daran beteiligt: mit derjenigen, die uns damals die Durchschriften gezeigt hat, damals Krankenschwester, dann Kulturhausmitarbeiterin. Ein unerfreuliches Gespräch, sie hat erst abgestritten, später zugegeben: ‚Ja, ich war Sozialistin’. Haben wir gesagt: ‚Wir doch auch’. Sie: ‚Aber keine richtigen, hat mir mein Führungsoffizier gesagt. Die haben mich erpresst, wegen häufig wechselnden Geschlechtsverkehrs wollten sie mir das Kind wegnehmen. Und ich hatte so wenig Geld, hab im Winter gefroren, da kam der Führungsoffizier und hat mir einen Mantel geschenkt...’ So ging das, die ganze Litanei der Ausreden.

      Ein IM kam im Auftrag der Stasi mit Westbüchern an, die ich weitergeben sollte, wie es üblich war, damit man was gegen mich in der Hand hatte, um juristisch gegen mich vorzugehen. Ich bin nicht rachsüchtig, spüre keinen Haß gegen die IM’s, die tun mir eher leid. Ich hab meine Akte mit hohem Interesse gelesen, ist ein Teil meiner Biographie, vieles hatte ich vergessen, die Beschreibung von Feten, von Biermann-Abenden. Hab ich da wiedergefunden, hat mich erfreut, das zu lesen. Im Lesesaal gab es Leute, die in Tränen ausbrachen und schrien: „Du Schwein, du hast mich verraten!“ – Mir ging es nicht so. Es gab eine Stelle, die mich mitgenommen hat, und zwar... Eine Zeitlang überwachten sie meine Post, 24 Stunden täglich hingen irgendwelche Stasileute auf meinen Spuren, und in dieser Zeit ist meine Großmutter in West-Berlin gestorben, unter schrecklichen Umständen. Meine Mutter durfte zu ihr, ein Funktionär, den sie kannte, hat das geregelt. Die Briefe, die meine Mutter mir vom Sterbebett meiner Großmutter schrieb, hab ich in meiner Akte gefunden. Das hat mich emotional mitgenommen. Die einzige Stelle. Ansonsten war die Aktenlektüre ein Genuss.

      Ich sollte IM werden. Nachdem ich von der Uni geflogen bin, hatte ich keine Aufenthaltsgenehmigung mehr in Berlin. Lebte dort illegal. War lange arbeitslos. Eines Tages bekam ich eine graue Karte, ich solle mich zur Klärung eines Sachverhalts bei der Polizei in Potsdam melden. Das war die Polizeiwache an der Puschkinallee, nahe der Russischen Kolonie. Bin da hin, als Arbeitsloser, illegal in der Hauptstadt wohnend. Es erwarteten mich zwei Männer, die gleich sagten: Wir sind nicht von der Polizei, sondern von der Staatssicherheit. Ich bin mehrere Stunden verhört worden. Immer wieder der Satz: Sie können uns nichts verschweigen, wir wissen alles über Sie. Vor allem meine intimen Beziehungen hätten sie bestens dokumentiert, ob ich wolle, dass sie das öffentlich machen. Das konnte mich nun überhaupt nicht erschüttern. Ich versuchte, niemanden zu belasten, lediglich über Leute zu reden, die schon im Westen waren. Das durchschauten die. Am Ende, als ich damit rechnete, in Handschellen nach Bautzen gefahren zu werden oder in die Lindenstraße, da haben sie gesagt: Sie sehen, Ihre Lage ist hoffnungslos, ihr Urteil steht schon fest, drei Jahre Zuchthaus wegen Spionage, oder Sie gehen den Weg der Wiedergutmachung und arbeiten für uns. Ich nahm meinen Mut zusammen und sagte nein: „Ich lehne aus moralischen Gründen ab, mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammenzuarbeiten.“ – Das hab ich schriftlich niedergelegt, mit zitternder Hand geschrieben auf meinen besonderen Wunsch, was die nicht gut fanden. Und dieses Blatt ist in meinen Stasiakten drin. So kann man beweisen, dass man nein gesagt hat. Denn im Protokoll, das die geschrieben haben, stand nichts von Erpressung. Das hieß da: Kontaktgespräch zur Anbahnung weiterer Zusammenarbeit... Und das liest sich anders. Ich sagte, dass ich gläubiger Christ bin und vor solch schwerer Entscheidung mit meinem Pfarrer reden muss. Dekonspiration nennt man sowas. Sie ließen mich laufen. Sagten allerdings: Hätten Sie für uns gearbeitet, Sie wären schnell Professor geworden, Reisekader, etc. Nun werden Sie nie in der DDR Karriere machen. Und das haben sie durchgehalten, ich durfte eine Zeitlang nicht mal ins sozialistische Ausland. In den Westen schon gar nicht. - Die Vorwürfe waren zuerst ideologischer Art: Falsch denken und darüber reden. Später kam das mit der Spionage. Hatte ich nun wirklich nicht gemacht. Ich hab in Polen und Ungarn verbotene Literatur besorgt, teilweise selbst abgeschrieben, verborgt... Damit sind sie mir aber nicht gekommen. Das wäre vielleicht beweisbar gewesen. Aber Spionage... Gewiß nicht. Insofern war es mir leichter, nein zu sagen. Weil ich wusste: das können sie mir nicht nachweisen.

      An der Humboldt-Uni gab es wieder eine staatsfeindliche Gruppierung, hauptsächlich bei den Bibliothekswissenschaftlern. Die sind aufgeflogen, teilweise zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden. In diesem Zusammenhang ist an der Sektion Geschichte groß reinegemacht worden. Es wurden alle überprüft, zu Gesprächen geladen. Und in diesem Zusammenhang kamen sie mir auf die Spur. Erst gab es ein FDJ-Verfahren mit Ausschluß aus der FDJ, ein Tribunal. Die saßen mir alle meine Kommilitonen gegenüber, und jeder hat mir irgendwelche Vorwürfe gemacht: Du bist ein Feind des Sozialismus, denn du hast gesagt... Man hatte zum Beispiel über Jahre gesammelt, was auf den Besucher-Zetteln an meiner Wohnungstür gestanden hatte. Zum Schluss erhob sich ein Professor Engel und legte los, Schaum vor dem Mund: Sie sind ein Feind... Dass ich dazu nichts gesagt hab, wurde mir strafverschärfend ausgelegt: ich hätte verbohrt geschwiegen, wo ich hätte Reue zeigen können. Das ging über mehrere Stufen weiter bis zur Verdrängung aus der Universität. Ich sollte mich in der Produktion bewähren. Bewarb mich bei zig Betrieben, und keiner hat mich genommen, obwohl sie erst gesagt hatten: Ja, wir brauchen jemanden...

      A: Das kenne ich gut. Gut, wenn man nicht allein dasteht mit diesen Geschichten, die glaubt einem heute kaum jemand im Osten.

      Ich hab doch noch eine Stelle gefunden. Im Heider kam ein Mädchen auf mich zu: ich hab gehört, du hast keine Arbeit, mein Vater ist Direktor eines Baukombinats, ich sprech mit dem, der stellt dich sicher ein. Und so war es. Eine Woche später war ich Mitarbeiter des Wasserstraßenbaus. Da fegte ich morgens den Hof und war dankbar, wieder einen Job zu haben und mich also in der Produktion bewähren zu können. Drei Jahre arbeitete ich dort. Bei der Akteneinsicht erfuhr ich, dass dieses Mädchen IM war, und mich die Staatssicherheit auf niedrigem Niveau re-integrieren wollte. Das war denen offenbar sicherer. Auch eine Heidergeschichte. Und ein Argument, die Akten offenzuhalten. Man muss sein Leben anders interpretieren, wenn man die ganze Wahrheit kennt.

      Das Heider war für uns ein Lebensmittelpunkt. Wenn man da abends nicht hingehen konnte, hatte man Entzugserscheinungen.

      A: Viele sprechen davon wie von einem Substitut, einem Ersatz für etwas anderes und also etwas süchtig machendem. Von etwas, das einen, weil es Ersatz ist, nicht wirklich sättigt, weshalb man immer wieder und mehr davon haben muss. Weil es den Hunger steigert, anstatt satt zu machen.

      Hätten wir andere Möglichkeiten gehabt, hätten wir zum Beispiel reisen können, wäre das Heider wohl nicht so wichtig gewesen.

      A: Einer nennt es sein Paris, mancher preist die Synergien, die dort loderten. Mein Verdacht ist, dass sie dort verpufft sind und nur dort, nicht rausgetragen wurden, es sei denn als betrunkene Geilheit und als solche ausschweifend bestattet. Von Bestattung redet man ungern, es war ja die eigene Jugend. Und es war heiter dort im Heider.

      Es war toll gewesen, ich denk gern daran zurück. Es gab keine Wirkung nach außen. Ersatzfunktion ist nicht falsch, es hatte etwas Spannendes und Entspannendes. Von dort aus entwickelten sich die Partys, diese Orgien. In der DDR gab es eine eigene Feier-Subkultur. In der Literatur viel zu wenig beachtet. Um zehn machte das Heider zu. Bis halb elf musste klar gemacht werden, wo