Название | Drei Dichter ihres Lebens |
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Автор произведения | Stefan Zweig |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783750242401 |
Ja, aber nur beinahe, und dieses »beinahe« markiert unbarmherzig die Fraktur für Casanovas vielfältiges Talent. Er ist alles beinahe, ein Dichter und doch nicht ganz, ein Dieb und doch kein professioneller. Er streift hart bis an die höchste geistige Sphäre, hart gleichfalls an die Galeere, aber keine einzige Begabung, keinen einzigen Beruf füllt er völlig aus. Als der vollendetste und universalste Dilettant weiß er viel von allen Künsten und Wissenschaften, sogar unglaublich viel, und nur ein Kleines fehlt ihm, um wirklich produktiv zu werden: der Wille, die Entschlossenheit und die Geduld. Ein Jahr hinter den Büchern, und man fände keinen bessern Juristen, keinen geistreicheren Geschichtsschreiber, er könnte Professor werden jeder Wissenschaft, aber Casanova denkt niemals daran, irgend etwas gründlich zu tun. Er will nichts sein, ihm genügt, alles nur zu scheinen: der Schein trügt ja die Menschen, und Betrügen bleibt für ihn die ergötzlichste Betätigung von allen. Er weiß, daß, um die Narren zu täuschen, nicht viel profunde Gelehrsamkeit sich als nötig erweist; in welcher Materie er nur ein Quentchen Kenntnis hat, da springt ihm sofort ein herrlicher Helfer bei: seine ganz kolossalische Unverfrorenheit. Stellt Casanova was für eine Aufgabe immer, niemals wird er zugeben, in diesem Fache ein Neuling zu sein, sofort wird er die allerernsteste, fachmännischste Miene aufsetzen, als geborener Schwindler geschickt lavieren, und sich fast immer mit Anstand auch aus der anrüchigsten Affäre ziehen. In Paris fragte ihn der Kardinal de Bernis, ob er etwas vom Lotteriewesen verstünde. Natürlich hat er keine blasse Ahnung, aber ebenso natürlich für den Mauldrescher, daß er ernst die Frage bejaht und vor einer Kommission mit seiner unerschütterlichen Suada Finanzprojekte entwickelt, als wäre er zwanzig Jahre schon gerissener Bankier. In Valencia fehlt der Text für eine italienische Oper: Casanova setzt sich nieder und dichtet ihn aus dem Handgelenk. Würde man ihm angeboten haben, auch die Musik zu schreiben, er kratzte sie zweifellos aus alten Opern geschickt zusammen. Bei der Kaiserin von Rußland erscheint er als Kalenderreformer und gelehrter Astronom, in Kurland inspiziert er als rasch improvisierter Fachmann die Bergwerke, der Republik Venedig empfiehlt er ein neues Verfahren zum Färben von Seide, in Spanien tritt er auf als Bodenreformer und Kolonisator, dem Kaiser Joseph II. überreicht er ein umfangreiches Elaborat gegen den Wucher. Für den Herzog von Waldstein dichtet er Komödien, der Herzogin von Urfé baut er den Baum der Diana und ähnliche alchimistische Gaunerstücke, der Madame Roumains öffnet er mit dem Schlüssel Salomons den Geldschrank, für die französische Regierung kauft er Aktien, in Augsburg figuriert er als portugiesischer Gesandter, in Bologna pamphletiert er über Medizin, in Triest schreibt er die Geschichte des polnischen Reiches und übersetzt die Ilias in Ottaverime – kurz, Hans Dampf in allen Gassen hat kein Steckenpferd, aber er weiß auf jedem zu reiten, das man ihm zwischen die Beine schiebt. Blättert man das Verzeichnis seiner nachgelassenen Schriften durch, so glaubt man, einen Universalphilosophen, einen neuen Leibniz erstanden. Da liegt ein dickleibiger Roman neben der Oper Odysseus und Circe, ein Versuch über die Kubusverdopplung, ein politischer Dialog mit Robespierre; und hätte von ihm jemand verlangt, theologisch das Dasein Gottes zu beweisen oder einen Hymnus auf die Keuschheit zu dichten, er hätte nicht zwei Minuten lang gezögert.
Immerhin, welche Begabung! In jede Richtung eingesetzt, in Wissenschaft, Kunst, Diplomatie, Geschäftstüchtigkeit, hätte sie genügt, Erstaunliches zu erreichen. Aber Casanova zersprengt bewußt seine Talente in den Augenblick, und der alles werden könnte, zieht vor, nichts zu sein, nichts – aber frei. Ihn beglückt Freiheit, Ungebundenheit, das lockere Schweifen unendlich intensiver, als Hausung und Heimstatt in irgendeinem Beruf. »Der Gedanke, mich irgendwo festzusetzen, war mir immer widerwärtig, ein verständiger Lebenswandel vollkommen gegen die Natur.« Sein wahrer Beruf, so fühlt er, ist: keinen Beruf zu haben, alle Metiers und Wissenschaften nur locker auszuproben und dann zu tauschen wie der Schauspieler Gewand und Rolle. Wozu auch sich festlegen: er will ja nichts haben und behalten, nichts gelten und nichts besitzen, denn nicht ein Leben, sondern Hunderte in dieser einen Existenz zu leben verlangt seine ungestüme Leidenschaft. »Mein größter Schatz ist«, sagt er stolz, »daß ich mein eigener Herr bin und nicht Angst vor dem Unglück habe« – eine männliche Devise, die diesen Tapfern mehr adelt als sein abgeborgter Chevalierstitel de Seingalt. Er denkt nicht daran, was die andern über ihn denken, er saust über ihre moralischen Hürden mit bezaubernder Sorglosigkeit hinweg; nur im Schwung, im Getriebensein spürt er die eigene Daseinslust, nie im Ruhen und behaglichen Rasten, und dank diesem leichten und ludrigen Dahin über alle Hemmungen, aus seiner Flugperspektive kommen ihm darum alle die braven Menschen recht lächerlich vor, die sich warm eingesponnen haben in ihre eine und immer dieselbe Beschäftigung: weder die Kriegsherren imponieren ihm, schnauzbärtig ihren Säbel klirrend und doch einknickend vor dem Anschrei ihres Generals, noch die Gelehrten, diese Holzwürmer, die Papier, Papier, Papier fressen aus einem Buch ins andere hinein, noch die Geldmenschen, ängstlich sitzend auf ihren Geldsäcken und schlaflos vor ihren Truhen – ihn lockt kein Stand, kein Land, kein Gewand. Keine Frau kann ihn in ihren Armen, kein Herrscher in seinen Grenzpfählen, kein Beruf in seiner Langeweile halten: auch hier bricht er kühn alle Bleidächer durch, lieber sein Leben wagend als es versauernd, übermütig im Glück und gleichmütig im Unglück, immer und überall aber voll Mut und Zuversicht. Denn Mut, das ist der rechte Kern von Casanovas Lebenskunst, die Begabung seiner Begabungen: er sichert nicht, sondern er wagt sein Leben; hier wirft sich einmal inmitten der Vielen und Vorsichtigen einer auf, der wagt, der alles wagt, sich selbst und jede Chance und jede Gelegenheit. Das Schicksal aber gibt den Frechen mehr als den Fleißigen, den Groben lieber als den Geduldigen, und so mißt es diesem einen Maßlosen mehr zu als sonst einem ganzen Geschlecht; es packt und wirft ihn auf und nieder, rollt ihn durch die Länder, schnellt ihn nach oben und stellt ihm im schönsten Sprunge das Bein. Es füttert ihn mit Frauen und narrt